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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Der Oberburgsteiner war in das Haus des Bezirksrichters gebracht und lag noch immer regungslos und mit geschlossenen Augen da. Seine Lippen waren fest auf einander gepreßt, seine Brust athmete schwer.

Der Arzt, der zu dem Kranken gerufen war, hatte constatirt, daß denselben ein Schlaganfall getroffen, und zu dem Richter hatte er offen gesprochen, daß er wenig Hoffnung auf eine Genesung des Oberburgsteiners habe.

„Ich vermuthe, es wird schnell mit ihm zu Ende gehen,“ hatte er hinzugefügt. „Und es ist vielleicht das Beste für ihn, denn den Verlust seines Gehöftes würde er doch nicht überwinden.“

Moidl war bei ihrem Vater und wich nicht von dessen Lager. Schrecken und Angst hatten sie zwar sehr mitgenommen, es lebte in ihr Alles noch wie ein wüster, entsetzlicher Traum, aber sie raffte sich gewaltsam zusammen, um dem Kranken beizustehen.

Nicht ohne Sorge dachte sie an den Geliebten, der, ohne sich zu besinnen, sein Leben für sie gewagt hatte. Ihre Rettung durch ihn erschien ihr wie ein Wunder, und wie sie geschehen war, konnte sie sich kaum noch entsinnen. In ihren Ohren klang nur noch das wilde Brausen des Wassers und der laut keuchende Athem Hansel’s, der in der Verzweiflung Uebermenschliches geleistet hatte.

Sie wagte nicht, nach Hansel zu fragen. Aber der Bezirksrichter errieth, was in ihr vorging, und ohne ihr Wissen stieg er hinauf zu dem Gehöft des Haidacher’s.

Als er zurückkehrte, war sein Gesicht heiter und er ließ Moidl in sein Zimmer rufen.

„Ich soll Dich von dem Hansel grüßen,“ sprach er zu der Eintretenden.

Des Mädchens bleiches Gesicht übergoß plötzlich eine dunkle Röthe.

„Sie sind bei ihm gewesen?“

„Ja.“

„Und wie geht es ihm?“

„Gut, Moidl! Er muß zwar noch still liegen, weil er arg zerschunden ist, aber es hat nicht die geringste Gefahr, und er schaut so lustig drein, als ob das ganze Dorf ihm gehöre. Und die Besitzung des Haidachers ist ohne Schaden davon gekommen. Das Wenige, was das Wasser angerichtet hat, läßt sich in acht Tagen wieder herstellen.“

Mit angehaltenem Athem hatte Moidl dem Richter zugehört, seine lustigen Augen sagten ihr deutlich, daß er die Wahrheit sprach.

Der Schrecken, den sie durchlebt, und das Unglück, welches ihren Vater betroffen hatte, waren noch nicht im Stande gewesen, ihre Thränen hervorzurufen. Es war ihr, als ob in ihrer Brust Alles erstarrt wäre. Jetzt weinte sie vor Freude und die Thränen schienen zu lösen, was sie so beängstigend bedrückt hatte.

Der Oberburgsteiner starb nach wenigen Tagen, ohne daß er noch einmal zum Bewußtsein zurückgekehrt war.

Es war ein neuer, schwerer Schlag für Moidl, aber sie fand in dem Bezirksrichter einen väterlichen Beistand.

„Du mußt es ertragen,“ sprach er in seiner ruhigen Weise zu ihr. „Dein Schmerz wird sich mildern, wenn Du daran denkst, was Deinem Vater vorbehalten gewesen, wenn er wieder genesen wäre. Den Verlust seines Gehöftes, auf das er stolz war, würde er nicht überwunden haben. Daß er denselben verschuldet hat, kann sich Niemand verhehlen. Der Bergsturz würde nimmer erfolgt sein, wenn er den Wald unterhalb seines Gehöftes nicht gefällt und in Acker verwandelt hätte. Die Bäume, deren Wurzeln fest in den Felsen eingedrungen waren, hielten die Erdschicht und gewährten dem Gehöft den sichersten Schutz. Er hörte nicht, als Andere ihn warnten und darauf aufmerksam machten, er folgte nur seinem eigenen eigensinnigen Kopfe, er lachte über die Warner, als der Acker reiche Ernten trug, mit Stolz blickte er auf sie herab, und wie schwer hat dieser Stolz sich gerächt! Ich habe kein Recht, ihm einen Vorwurf zu machen, und auch Du wirst es nicht thun, denn er hat nach seiner Ueberzeugung gehandelt, und es lag vielleicht in der Abgeschiedenheit seines Gehöftes, in der er aufgewachsen war, daß er nur seinem eigenen Kopfe traute. Aber wenn er am Leben geblieben wäre, so würde er selbst diesen Vorwurf sich gemacht und viel trübe Stunden sich bereitet haben. Es ist so am besten für ihn – und auch für Dich!“

Das Alles war zwar nicht im Stande, den Schmerz des armen Mädchens zu verwischen, aber es milderte ihn doch. Und Eines hatte vor Allem beruhigend auf sie gewirkt, der Richter hatte zu ihr gesagt:

„Du bleibst in meinem Hause. Ich werde Deine Angelegenheiten in die Hand nehmen und mit aller Gewissenhaftigkeit ordnen.“

Der Oberburgsteiner wurde mit allen ihm zukommenden Ehren begraben. Hatte er auch im Leben durch seinen harten Kopf Manchen zurückgestoßen, so hatte doch das ihn betroffene Unglück ihm die Theilnahme Aller verschafft, und alle Bauern des Thales gaben ihm das letzte Geleit.

Hansel fehlte in der Zahl derjenigen, welche dem Sarge folgten, denn er lag noch immer darnieder. Aber wenige Tage später, als die Herbstsonne wieder in all ihrer Freundlichkeit über den Bergen leuchtete, konnte er die Sehnsucht nicht länger beherrschen. Vergebens suchte seine Mutter ihn zurückzuhalten, auf einen Stock gestützt, stieg er langsam in’s Thal. Der Weg wurde ihm schwer, die Füße schmerzten, was that es! In ihm jubelte es laut.

Selbst als er den Blick nach der Stelle richtete, wo der Oberburgstein gestanden und ihm nur das graue Gestein des Berges entgegenstarrte, wurde seine lustige Stimmung nicht getrübt. Er hatte Moidl ja nie des Besitzes wegen geliebt, er hatte auch nie daran gedacht, daß der Oberburgstein sein Eigenthum werde, sondern er hatte sich stets nur ausgemalt, wie er das Gehöft seines Vaters freundlicher gestalten wolle, wenn er die Geliebte einst heimführe, und dieser Gedanke hatte seit dem Tode des Oberburgsteiners eine immer festere Gestalt für ihn gewonnen.

Jetzt konnte er schon die Monde zählen, bis sie die Seinige wurde, und er hatte sich in den letzten Tagen Vieles im Geiste zurecht gelegt, wie es werden solle. Der letzte Sommer hatte ihn schon tüchtig weiter gebracht, und seine Lust zur Arbeit war noch gewachsen.

Als er in das Dorf gelangte und die Verwüstung sah, welche das Wasser angerichtet hatte, als er die Stelle erblickte, wo er Moidl durch das wilde Wasser getragen, da zuckte er doch leicht zusammen, denn er begriff jetzt selbst nicht, woher er die Kraft genommen. Der Weg, den er mit der Geliebten durch das Wasser zurückgelegt, war nicht lang, er hatte vielleicht nur wenige Minuten dazu nöthig gehabt, aber es war ihm, als ob er eine Stunde gebraucht habe, denn die Angst hatte die Secunden zu Minuten ausgedehnt.

Hunderte von Händen waren beschäftigt, den Schutt fortzuräumen, und wo er vorüber kam, eilten Männer und Frauen auf ihn zu, um ihm die Hand zu schütteln.

„Das macht Dir Keiner nach, Hansel!“ rief ihm der Sägemüller zu.

„Geb’ Gott, daß es auch Keiner wieder nöthig hat,“ gab er zur Antwort.

Er eilte zur Geliebten. Zum ersten Male durfte er sie offen besuchen. Und als die Moidl ihn kommen sah, da eilte sie ihm entgegen und warf sich an seine Brust. Sie konnte es ja jetzt allen Leuten zeigen, daß ihr Herz ihm gehörte.

Sie hatten einander viel mitzutheilen, und der Richter ließ sie geraume Zeit allein. Dann trat er zu ihnen.

„Hansel, nun hab’ ich auch noch mit Dir zu reden,“ sprach er. Ich bin Moidl’s Vormund, und ein Jahr mußt Du sie mir schon noch lassen, ehe Du sie zu Dir hinaufholst. Ich habe aber schon Verschiedenes mit ihr besprochen, womit auch Du wohl einverstanden bist. Die Kühe ihres Vaters stehen noch auf dem Unterburgsteine; wähl’ Dir soviel aus, wie Du gut durch den Winter bringen kannst, die übrigen werde ich verkaufen. Ich weiß aus dem Hypothekenbuche, wie viel Geld ihr Vater auf anderen Grundstücken stehen hat, das ist ihr Eigenthum. Ich werde es kündigen und auf die Besitzung Deines Vaters schreiben lassen. Dann kannst Du alle Schulden Deines Vaters abtragen und wirst Luft bekommen. Die Felder und Wiesen des Oberburgsteins sind verloren, und ich glaube nicht, daß sie je wieder herzustellen sind, aber in dem Walde steckt noch ein großer Werth. Ich kann mich nicht darum kümmern, was dort oben geschieht, die Moidl ist deshalb damit einverstanden, daß Du ihn übernimmst und bestimmst, wie viel dort geschlagen werden soll. Meine Meinung geht dahin, daß Du Alles daran wendest, das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_627.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2023)