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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

viele Leute und Pferde fortriß, wurde von Manchen als eine unglückliche Vorbedeutung aufgefaßt, nicht so aber vom Sultan und Wesir. In Belgrad trafen am 12. Mai Gesandte Tököly’s mit den Türken zusammen und übergaben ihnen den Plan zum Vormarsche nach Wien. Feierlich überreichte dann der Sultan seinem Kara Mustapha die grüne Prophetenfahne, sowie den Säbel und Schmuck etnes Seraskiers, mit der Ermahnung, gegen die Feinde des Korans tapfer zu kämpfen und damit das Paradies zu verdienen.

In Ungarn angekommen, zogen die Türken, wie billig, auch ihren Freund Tököly zum Kriegsrathe bei, in welchem er sich jedoch gegen die sofortige Belagerung Wiens und vorerst nur für die Eroberung von ganz Ungarn aussprach, nach welcher die Einnahme Wiens leicht sein würde.

Ehe wir zur Schilderung der Belagerung selbst übergehen, werfen wir einen Blick auf das uns bildlich dargestellte Wien von 1683. Bekanntlich ist das Vindobona der Römer während der Stürme der Völkerwanderung zwar aus der Geschichte verschwunden, aber schwerlich ganz verödet gewesen. Wenn aber auch der feste Ort schon unter Karl dem Großen bestand und zur Zeit der Ungarneinfälle und ihrer Niederlage auf dem Lechfelde (955) eine Rolle spielte, so kommt er mit dem Namen „Wien“ doch erst in einer Urkunde von 1137 vor. Von Bedeutung muß gleichwohl die Stadt schon gewesen sein, sonst würde, als Kaiser Friedrich der Erste dem fürstlichen Geschlechte der Babenberger die Ostmark verlieh, der erste Herzog von Oesterreich, Heinrich Jasomirgott, dieselbe nicht zur bleibenden Residenz gewählt haben. Nach dem Aussterben der Babenberger benutzte König Ottokar von Böhmen seine kurze Herrschaft (1251 bis 1276), um die Befestigungen Wiens so weit hinauszurücken, daß die Innerstadt die Gestalt erhielt, die sie mehrere Jahrhunderte lang behalten hat.

Dasjenige Bauwerk, ohne welches Niemand heutzutage sich Wien vorstellen kann, der Stephansdom, verdankt seine Entstehung erst dem vierzehnten und die Vollendung des Thurmes dem fünfzehnten Jahrhundert (1433). In derselben Zeit war die Universität gegründet und die Burg zum Hauptsitz der gesammten herzoglichen Familie erhoben worden. Die Stadt hatte das Bedürfniß, sich auszubreiten. Da aber die Innerstadt noch in ihren alten Gürtel von Wallgräben, Mauern und Thürmen eingeschnürt war, so wagte man sich vor die Mauern und baute Vorstädte, deren Bewohner in Kriegsgefahr in der Innerstadt Schutz suchten.

In der langen Friedenszeit, die seit der Thronbesteigung Rudolph’s von Habsburg Wien genoß, genügte dies, und die Vorstädte wuchsen und manches Dorf schloß sich ihnen an. Als aber in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts Wien mehrmals (dreimal vom König Matthias Corvinus von Ungarn) belagert worden war, wobei die offenen Vorstädte ungeheuren Schaden gelitten hatten, suchte man diesem Uebelstande dadurch für die Zukunft abzuhelfen, daß man nicht nur die Mauern der innern Stadt erhöhte, mit einem Wallgang versah und nette Bastionen errichtete, sondern auch die Vorstädte mit Bollwerken ausrüstete.

So glaubte man sich vor jeder Gefahr gesichert, als Wien von einem Feind bedroht wurde, gegen dessen Heeresmassen und Kriegsausrüstung die gepriesene Befestigung nicht Stand halten konnte: Sultan Soliman der Zweite zog zur Unterjochung des Abendlandes heran und stand am 23. September 1529 vor der Stadt. Jetzt zeigte es sich, daß auch für die stärkste Besatzung die Vertheidigung der Stadt und der Vorstädte eine Unmöglichkeit sei, ja daß, um die Hauptstadt mit ihren Schätzen und ihrer Bedeutung als östlicher Schlüssel zum Reich zu retten, die Vorstädte geopfert werden müßten. Und so geschah es. Der ganze Kranz der Vorstädte mit ihren Palästen und Kirchen wurde niedergebrannt, aber durch dieses außerordentliche Opfer und den heldenmüthigsten Kampf Wien und Deutschland gerettet.

Die ungeheure Größe dieser Gefahr erweckte im ganzen Reiche zum ersten Male wieder den Gemeinsinn. Die Wichtigkeit Wiens als Bollwerk war erkannt und von allen Seiten brachte man Beisteuern, um diese Stadt in eine starke Festung zu verwandeln. Den neuen Bau leitete der Ingenieur Hirschvogel. die Kosten desselben beliefen sich auf anderthalb Millionen Gulden.

Trotz dieses Aufwandes war es nicht möglich, die Angst und Sorge vor den Türken zu mildern. Beide dauerten fort im ganzen sechszehnten und in’s siebenzehnte Jahrhundert hinein und forderten zu immer neuen Opfern für die Befestigung der Kaiserstadt auf. Und als während des Dreißigjährigen Krieges die Schweden zweimal bis an die Vorstädte Wiens vorgedrungen waren und neue Stürme der Türken bevorstanden, mußte endlich der letzte Schritt zur möglichsten Sicherung der Innerstadt gethan werden. Kaiser Leopold beauftragte den Feldmarschall Marquis Gonzaga mit den neuen Befestigungsarbeiten. Dieser aber hielt es für unweigerlich nothwendig, den Raum vor allen Bastionen frei von allen Bau-Anlagen zu halten. Und so wurden denn, auf des Kaisers Befehl, alle Gebäude, welche bis auf zweihundert Schritte von der Contrescarpe hinaus standen – es waren deren zweihundertdreißig – niedergerissen und jeder Neubau dort verboten.

So entstand das später sogenannte „Glacis“ – und so zeigt uns unsere Abbildung die Festung Wien, wie sie im Jahre 1683 den letzten Ansturm der Türken erwartete.[1]

Um das Andringen der Türken nach Möglichkeit aufzuhalten, bis die Hülfsvölker aus dem Reiche und aus Polen das Heer des Kaisers verstärkt hätten, stellte Herzog Karl seine Truppen gegen Ende Mai bei Komorn auf.

Der Herzog unternahm zuerst die Belagerung von Neuhäufel, wobei die ersten Zusammenstöße mit den Türken erfolgten, gab sie jedoch bald wieder auf, um dem Hauptheere des Feindes die Spitze besser bieten zu können. Er marschirte nun gegen Raab hin, um diese Stadt gegen die heranziehenden Türken zu schützen, welche, sengend und brennend, am 1. Juli im Angesichte der Kaiserlichen erschienen. Auf beiden Ufern der Raab standen sich 34,000 Kaiserliche und 310,000 Türken gegenüber, welche letztere Zahl aber durch die Truppen Tököly’s auf mehr als 400,000 vermehrt wurde. Als aber auch sogenannte Tataren aus Süd-Rußland sich den Türken anschlossen und in der ganzen Gegend mordeten und brannten, verzichtete Herzog Karl auf einen Kampf mit so ungleichen Kräften und trat den Rückzug an. Von Türken und Tataren verfolgt, welche ihrer Gewohnheit gemäß jedes passirte Dorf niederbrannten, aber bei jeder Wendung der Deutschen zur Flucht umkehrten und nur bei Petronell am 7. Juli einigen Erfolg hatten, kamen die Kaiserlichen ohne bedeutenden Verlust in Wien an.

Das türkische Hauptheer folgte nach, ließ sich aus Ofen alles zur Belagerung der Hauptstadt Nöthige nachführen und traf am 14. Juli vor Wien ein, das sie ohne Säumen von allen Seiten einschlossen. Herzog Karl hatte in der Stadt den größten Theil seiner Infanterie zurückgelassen und war mit der Reiterei auf das linke Donau-Ufer übergegangen, um hier den endlichen Anmarsch der äußerst langsam sich bildenden Hülfsvölker zu erwarten. Der Kaiser hatte sich nach Linz und dann nach Passau in Sicherheit begeben, verfolgt von dem Spott und Hohn des Landvolks.

Rastlos behielt Herzog Karl den Entsatz des bedrängten Wien im Auge. Mit tiefem Schmerze beobachtete er aus seinem Lager die Mord- und Brandthaten der Türken in der Umgebung Wiens und die Wegschleppung ganzer Bevölkerungen in die Sklaverei. Seiner Kühnheit gelang es, Preßburg der Uebermacht der Türken und Rebellen, die es überfallen und ausgeplündert hatten, wegzunehmen und sonst noch manche Vortheile über die Feinde zu gewinnen, während er zugleich Alles tat, den Anmarsch der Bundesgenossen zu beschleunigen.

Indessen erduldete die Stadt Wien schwere Tage. Viele Einwohner hatten schon vor Ankunft der Türken sich und ihre Habe nach auswärts geflüchtet, während dagegen die Landleute in Menge hinter den Wällen der Stadt Zuflucht suchten. Die äußerste Erbitterung herrschte gegen die Jesuiten, denen man mit Recht diese Bedrängniß zur Schuld anrechnete. Commandant der Stadt war Ernst Rüdiger Graf von Starhemberg, kaiserlicher Feldzeugmeister.

(Schluß folgt.)




  1. Auf unserer Abbildung sehen wir die Bastionen und Ravelins von der Löwelbastei bis zum Biber–Ravelin. Um die Uebersicht der Befestigungen zu vervollständigen, führen wir hier noch als auf der andern Stadtseite zwischen den beiden genannten Werken liegend an, von der Löwelbastion beginnend: die Melkerbastei, das Schottenthor und das Schotten Ravelin, die Elendbastei, das Neuthor und die Neuthorbastei, das Wasser–Ravelin, die Gonzagische Bastei, die Biberbastei und das Judenschänzel, das wieder an das Biber–Ravelin anschließt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_587.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)