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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Die Leute hatten das Rechte errathen. Der Bezirksrichter stieg mit dem Gensd’armen zu dem Gehöfte des Haidachers empor.

Der alte Bauer saß mit Frau und Sohn beim einfachen Mittagsessen.

Die Frau fuhr erschreckt zusammen, und der Löffel entfiel ihrer Hand, als sie den Bezkrksrichter und den Gensd’armen in das Zimmer treten sah. Der Athem stockte in ihrer Brust, ängstlich glitt ihr Auge über das Gesicht ihres Sohnes hin, dasselbe war ganz ruhig.

Der Richter grüßte die beiden Alten freundlich.

„Was ist denn mit Dir geschehen?“ wandte er sich an Hansel. „Dein Gesicht ist ja arg zerschunden.“

„Ich bin gestürzt.“

„Wann denn?“ forschte der Richter weiter.

„In der Nacht zum Sonntag.“

„Wie ist denn das gekommen? Ich hab’ immer gemeint, Du kennst jeden Weg und Stein sehr genau. Wo bist Du denn gewesen?“

„Ich war im Thal, auf dem Rückwege bin ich gestürzt.“

„Wo bist Du im Thal gewesen?“

Hansel zögerte mit der Antwort.

„In dem ‚Elephanten‘,“ fiel seine Mutter ein. „Dort hat er mit seinen Freunden getrunken, und der Wein ist ihm zu Kopf gestiegen. Heutzutage ist es anders, als es früher war, die jungen Burschen wissen nicht mehr, wann sie aufhören sollen. Hansel ist sonst mäßig, aber er hätt’ sich durch den Sturz Schaden für seine ganze Lebenszeit zufügen können.“

„In dem ‚Elephanten‘ ist er nicht gewesen,“ unterbrach der Richter die Frau. „Nun sag’, wo Du gewesen bist?“ wandte er sich an Hansel.

Dem Gefragten schoß das Blut in das Gesicht. Sollten seine Zusammenkünfte mit der Moidl verrathen sein?

„Muß ich denn Rechenschaft geben, wohin ich geh’?“ warf er ein. „Ich denk’, das ist nicht nöthig, so lang’ ich Niemand zu nahe trete.“

„Ja, es ist nöthig,“ wiederholte der Richter ernst.

„Und wenn ich’s nicht thue?“

„Dann verhafte ich Dich!“

„Jesus Maria!“ schrie die Frau auf. „Hansel, was hast Du gemacht?“

„Nichts, Mutter!“ entgegnete Hansel ruhig. „Ich brauch’ nicht zu sagen, wo ich gewesen bin, und verhaftet kann ich deshalb nicht werden. Der Herr Bezirksrichter scherzt.“

„Ich scherze nicht, das ist meines Amtes nicht,“ fuhr der Richter unwillig fort. „Dann bist Du wohl auch nicht mit dem Unterburgsteiner zusammengetroffen?“

„Nein,“ gab Hansel ruhig zur Antwort.

„Und Du weißt auch nicht, wo er geblieben ist?“

„Nein.“

„Was ist mit dem Unterburgsteiner?“ fiel der alte Haidacher fragend ein.

„Verschwunden ist er seit der Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag, keine Spur ist von ihm zu finden, so viel auch nach ihm geforscht ist. Hansel steht in Verdacht, mit ihm zusammen getroffen zu sein, mit ihm gerauft und ihn erschlagen zu haben.“

„Jesus Maria! Mein Hansel!“ schrie die Frau laut auf und rang verzweiflungsvoll die Hände.

Bestürzt stand Hansel da und blickte den Richter starr an. Dann trat er auf seine Mutter zu.

„Sei ruhig, Mutter, das ist Alles nicht wahr!“ sprach er. „Es muß sich ja bald aufklären, daß ich es nicht gethan hab’.“

„Dann hast Du wohl auch vor wenigen Wochen nicht eine wilde Drohung gegen David ausgestoßen?“ fuhr der Richter fort. „Hast nicht das Weinglas auf den Tisch geschleudert, daß es in tausend Scherben zersprang, und ausgerufen, so solle es dem Unterburgsteiner ergehen, wenn er Dir begegne?“

„Doch, das hab’ ich gethan, ich war im Zorne, und wenn er mir an dem Tage begegnet wär’, so wüßt’ ich nicht, was geschehen wäre. Mein Blut hat sich bald beruhigt.“

„Und weshalb warst Du in Zorn? Was hat er Dir gethan?“ forschte der Richter.

Hansel schwieg. Daß David auf ihn geschossen, mochte er nicht sagen, und ein anderer Grund fiel ihm nicht ein, denn die schwere Beschuldigung, die auf ihm lastete, wirkte verwirrend auf ihn.

„Nun, Du wirst Dich schon besinnen,“ fuhr der Richter fort. „Glaub’ nur nicht, daß es Dir so leicht werden wird, mich zu täuschen. Ich kann Dir sogar sagen, wo Du in der Nacht zum Sonntag gewesen bist. Du bist zum Unterburgstein hinaufgestiegen und dann, eh’ Du ihn erreicht, links in den Wald gegangen. Es mag nach zehn Uhr Abends gewesen sein. Ist dem nicht so?“

Hansel schwieg.

„Gesteh, denn der Gaisbub’ des Unterburgsteiners hat Dich gesehen, Du bist an ihm vorüber gegangen, ohne ihn zu bemerken, denn er hatte sich hinter einen Felsen gedrückt. Was hast Du dort zu suchen gehabt?“

Hansel verlor immer mehr seine Fassung.

„In dem Walde sollte ein Rehbock stehen.“

„Den wolltest Du schießen?“

„Ja,“ gab Hansel, ohne zu überlegen, zur Antwort.

„Dann wundert es mich, daß Du Deine Büchse nicht mitgenommen, denn mit dem Stecken, den Du trugst, konntest Du nicht schießen. Wenige Minuten nach Dir ist der Unterburgsteiner von seinem Gehöft herabgekommen und hat denselben Weg eingeschlagen – willst Du noch behaupten, daß Du mit ihm in der Nacht nicht zusammengetroffen bist?“

„Ja. Ich hab’ ihn nicht gesehen.“

„Hansel, es wär’ besser für Dich, Du legtest ein offenes Geständniß ab, das mildert,“ mahnte der Richter.

„Ich hab’ ihn nicht gesehen,“ wiederholte der Bursch.

„Hansel – Hansel, gesteh’, wenn Du mit ihm gerauft hast,“ rief seine Mutter, indem sie schluchzend und händeringend an den Sohn herantrat.

„Ich hab’ ihn in der Nacht nicht gesehen – ich hab’ nicht mit ihm gerauft.“

„Dann hast Du ihn erschlagen!“ rief der Richter. „Dein eigenes Gesicht zeugt gegen Dich, die Spuren des Kampfes in ihm kannst Du nicht fortleugnen. Ich verhafte Dich im Namen des Gesetzes!“

Laut aufschreiend sank die Frau auf einen Schemel. Hansel zuckte bei den Worten des Richters zusammen, aber er faßte sich.

„Ich bin unschuldig,“ versicherte er und sah den Richter offen an.

„Das wird sich erweisen,“ gab der Richter zur Antwort. „Ich sollt’ Dir die Hände binden lassen, aber ich möcht’ Deinen armen Eltern die Schmach ersparen, daß ihr Sohn gefesselt aus ihrem Hause geführt wird. Willst Du willig folgen?“

„Ja.“

„Versuch’ nicht zu fliehen, das Gewehr des Gensd’armen ist geladen.“

„Ich fliehe nicht.“

Der alte Haidacher hatte schweigend und vor sich hinstarrend dagesessen. Er hatte soviel Unglück in seinem Leben erfahren, daß er gegen einen neuen Schlag des Mißgeschickes fast abgestumpft war. Seine Frau schluchzte laut und rang verzweiflungsvoll die Hände. Hansel stand erschüttert da.

„Komm,“ sprach der Richter.

Da trat Hansel auf seinen Vater zu und reichte ihm die Hand. Der Alte wandte das Gesicht ab.

„Vater, Du darfst mir dreist die Hand geben!“ rief er mit leise zitternder Stimme. „Ich hab’ nichts gethan, was unrecht wäre!“

Der Alte antwortete nicht und rührte sich auch nicht. Als Hansel zu seiner Mutter trat, sprang dieselbe empor und umschlang ihn mit beiden Armen.

„Ich laß Dich nicht!“ rief sie in leidenschaftlicher Erregung.

„Ich komm’ bald zurück, Mutter,“ sprach Hansel. „Du darfst nicht glauben, daß ich schuldig bin – Du nicht!“

„Nein, ich glaub’ es nicht!“ rief die Frau und küßte ihren Sohn auf die Wange.

Hansel riß sich von ihr los und eilte aus dem Zimmer, ohne daß der Richter ihn noch einmal aufzufordern brauchte, ihm zu folgen.

(Fortsetzung folgt.)



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_564.jpg&oldid=- (Version vom 11.1.2024)