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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Pflicht gethan hätte, die Seuche in ihren vereinzelten Anfängen isolirt und unterdrückt worden wäre, wie dies bei Einschleppung eines Pockenfalles in einer Stadt durch strenge Ahschtießung desselben und durch Revaccination der mit seiner Pflege betrauten Personen meist erfolgreich geschieht. Hier ist das „principiis obsta“, die Quarantaine des ersten Krankheitsherdes im Elternhause die Hauptsache.

Und nun das Resultat dieser Betrachtung: Die Quelle aller Uebel, welche unsere Schulkinder treffen, nur in der Schule zu suchen, ist ein durch Mode, Gewohnheit und Bequemlichkeit entstandener Irrthum. Die großen Fortschritte der Schulhygiene durch Einzelforschungen und Sammelschriften – es seien hier nur die Werke von Erismann, Baginsky, Guillaume neben Uffelmann erwähnt – zeigen deutlich, daß man auf die Verbesserung der Gesundheitsverhältnisse in der Schule ein wachsames Auge hat und eifrig bemüht ist, die Rücksicht auf die Körperpflege mit der Aufgabe der Geistespflege in Einklang zu bringen. Aber alles Heil von der Schule zu erwarten, das wäre thöricht. Man denke an Herder’s Worte:

„Ein Thor, der klaget
Stets Andere an.
Sich selbst anklaget
Ein halb schon weiser Mann.
Nicht sich, nicht andere klaget
Der Weise an.“

Nicht mit Anklagen, sondern mit Selbsthülfe, nicht mit dem Zuschieben der Verantwortlichkeit auf Andere, sondern mit Erkennung und Erfüllung der eigenen Pflichten ist hier zu helfen. Familie, Arzt und Schule müssen eben, sich unterstützend, in viel regerem Verkehr stehen, müssen Hand in Hand gehen und ihre eigenen Interessen an dem Gedeihen eines Kindes so viel wie möglich mit den Zielen harmonischer Ausbildung und allgemeinen Wohles in Uebereinstimmung zu bringen suchen.

Bekämpfen wir die Vererbung der Krankheiten von Geschlecht zu Geschlecht, sichern wir durch rechtzeitige Regeneration dem Menschen noch vor seinem Eintritt in’s Leben eine möglichst gesunde Constitution und leiten wir die Aufziehung des Kindes im Säuglings- und Spielalter nach rationellen Grundsätzen, suchen wir ferner das Gleichgewicht zwischen geistiger und körperlicher Uebung, zwischen Arbeit und Erholung außerhalb der Schule festzuhalten und Schädigungen zu verhüten, kurz, handeln wir nach dem Grundsatze: Schul- und Hausgesundheitspflege auf verschiedenen Wegen demselben Ziele zustreben zu lassen, dann wird der Lohn nicht ausbleiben. Zwischen dem Erzieher, dem Arzte und dem Elternpaar giebt es einen für Jeden gleich wichtigen Berührungspunkt: die Hygiene.

Pflegt sie nur einer dieser drei Factoren, dann ist die Arbeit umsonst; sind alle drei einig, dann wird ein kräftiges, gesundes Geschlecht heranblühen und die Frage der „Schulkrankheiten“ mehr und mehr von der Tagesordnung verschwinden.




Die Cholera in Aegypten.

Von Adolf Ebeling.
(Schluß.)

Als der Hakihm fortging, erinnerte er nochmals an die vergessene Aloepflanze, die auch schon nach einigen Tagen unter den Lampen des Portals hing; denn vierundzwanzig Stunden mußte sie vorher auf dem Grabe irgend eines Heiligen gelegen haben, um wirksam zu werden. Inzwischen war freilich der Kranke gestorben, obwohl ihn eine verständige ärztliche Behandlung, so hörten wir wenigstens von competenter Seite, sehr wahrscheinlich gerettet haben würde. Das Kismet war diesmal stärker als die Kunst und das Gebet des Hakihm gewesen.

Dies ist ein und überdies nur in kurzen Umrissen gezeichnetes Bild der arabischen Heilkunde von ihrer prakischen Seite; nur Eins von Hunderten, ja von Tausenden. In keinem Lande, wenigstens in keinem civilisirten, und dazu muß Aegypten doch wohl gerechnet werden, ist der Aberglaube so allgemein verbreitet wie dort, und er ist in seinen Folgen um so verderblicher, als er mit dem Fatalismus Hand in Hand geht; dieser ergänzt gewissermaßen jenen.

Als daher im Sommer des Jahres 1865 die Cholera in Aegypten auftrat, blieb man von oben her der Seuche gegenüber fast ganz unthätig, oder ergriff verkehrte Maßregeln, die noch dazu ganz kopflos oder auch gar nicht ausgeführt wurden. Allah hatte sie gesandt, und die Opfer und ihre Zahl waren ja vorher bestimmt. Was halfen also menschliche Vorkehrungen und Mittel gegen das unabänderliche Kismet! So wenigstens dachte und redete man im Volk.

In Kairo wie im ganzen Lande wüthete die Epidemie auf wahrhaft entsetzliche Weise. An manchen Tagen starben in vierundzwanzig Stunden zwischen zweitausend und dreitausend Menschen. Die Calamität und die allgemeine Verwirrung erreichten ihren Höhepunkt, als der Khedive Ismail, nachdem in seinem Palast zwei plötzliche Todesfälle vorgekommen waren, heimlich über Nacht Stadt und Land verließ und nach Europa flüchtete. Er war, dank seiner in Paris erhaltenen Bildung, viel zu „aufgeklärt“, um noch an das Kismet zu glauben. Hatte er sich doch sogar schon photographiren lassen, wie er auch mit dem Plane umging, seinem Großvater Mohammed-Ali und seinem Vater Ibrahim Denkmäler zu errichten – schwere Versündigungen gegen den Koran, der jedes menschliche Abbild streng verbietet, und mancher fanatische Ulema erklärte dies, im Verein mit sonstigen christlichen Neuerungen, als die eigentliche Ursache der Epidemie.

Die feige Flucht des Landesherrn, der sich selbst noch kurz vorher in seinen Proclamationen einen Landesvater genannt hatte, was die bezahlten französischen und italienischen Zeitungsschreiber begeistert als eine „neue Aera“ für Aegypten verkündet hatten, gab die Losung zu einem universellen „Rette sich, wer kann“, und während eines ganzen Monats herrschte fast vollständige Anarchie in der Khalifenstadt und im übrigen Aegypten.

Europäische Aerzte, darunter mehrere deutsche, und eine Anzahl europäischer Kaufleute, die den Muth hatten, zu bleiben, organisirten auf eigene Hand Ambulancen und eine Art von Sicherheitsdienst und retteten nicht wenige vom Tode, namentlich vom Hungertode, weil man unzählige Kranke ohne jeglichen Beistand gelassen, um nur sich selbst in Sicherheit zu bringen. Trotzdem hielt der „Schwarze Tod“ (denn für das ägyptische Volk sind noch heute Pest und Cholera gleichbedeutend) eine fürchterliche Ernte und raffte nach einer späteren oberflächlichen Schätzung mehr als ein Fünftheil der gesammten Bevölkerung hinweg.

Eine so entsetzliche Katastrophe trug denn doch für die Folgezeit mehrere gute Früchte, und wenn dieselben auch vielfach hinter den gehegten Erwartungen zurückblieben, so lag es diesmal wirklich weniger an dem guten Willen der Regierung (vorzüglich unter der Präsidentschaft Nubar-Paschas) als an dem Starrsinn, der Faulheit und der Unwissenheit der großen Mehrheit des ägyptischen Volkes. Wer die letztere, bei der unbestreitbaren Bildungsfähigkeit der Aegypter, auf dem Gewissen hat, weiß Der am besten, der im Jahre 1879 von seinem sogenannten Thron herabsteigen und in’s Exil wandern mußte, nachdem er das aus den Händen seines Vorgängers so blühend erhaltene Land nicht an den Rand des Abgrundes, sondern geradezu in denselben hinein gebracht hatte.

Auch in Aegypten rächen sich die Sünden der Väter an den Kindern, vorzüglich wenn die Kinder so schwach und unselbstständig sind, wie der jetzige Khedive, der als Privatmann gewiß gute und lobenswerthe Eigenschaften hat, der aber der ihm gewordenen, allerdings auch sehr schweren Regentenaufgabe keineswegs gewachsen ist. Er hat dies wenigstens bis jetzt und vom Beginn seiner Regierung an gezeigt, und die Engländer haben eben deshalb um so leichteres Spiel im Lande. Mit einem Mohammed-Ali wären sie jedenfalls nicht so leichten Kaufs fertig geworden.

Als sich nun im Mai dieses Jahres die ersten Cholerafälle in Damiette zeigten, die schon nach einigen Wochen so bedenkliche Proportionen annahmen, stieg bei Allen, die mit den ägyptischen Verhältnissen, mit Land und Leuten und mit der dortigen Regierungsweise und Beamtenwelt näher bekannt sind, sofort die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 558. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_558.jpg&oldid=- (Version vom 11.1.2024)