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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Darstellung in äußerst lebenswahren Figuren. Links an der Rückwand sehen wir den Sprung Tell’s auf die Platte, wie er gerade mit bloßem Fuße das Schiff des Landvogts hinausstößt und dieser ebenso umsonst die Faust gegen den Geretteten ballt, wie sein großer Hund ihm nachkläfft. Blitz und Wogenbrandung machen aber jede Annäherung unmöglich. Rechts vom Altar endlich ist der Tod Geßler’s dargestellt, der nach empfangenem Pfeile in die Arme seines Begleiters sinkt, während ein Mönch herbeieilt, den Sterbenden zu trösten, hinten aber Tell mit der Armbrust in kühner Stellung sich zeigt, und vor dem Pferde des Landvogts Schiller’s Armgard aus der dumpfen Verzweiflung der Flehenden in die triumphirende Genugthuung übergeht.

Als der Dampfer an der Platte unter den Klängen der mitfahrenden Musik, dem traulichen Geläute des Glöckleins der Capelle und den nervenerschütternden Mörserschüssen anlegte, begaben sich die leitenden Mitglieder des Kunstvereins nebst den Abgeordneten des Cantons Uri an das Land. Der letztere, dem der Platz der Tellenplatte gehört, hatte den Bau der Capelle, der Kunstverein aber ihre Ausschmückung mit den erwähnten Fresken übernommen, und es handelte sich nun darum, nach Vollendung derselben das fertige Kunstwerk dem Eigenthümer des Platzes zu übergeben.

Dies geschah durch treffliche, vaterländische und tief gefühlte Reden des Architekten Jung aus Winterthur im Namen des Kunstvereins, und des Landammanns Müller im Namen von Uri. Ersterer hob die Idee des so schön vollendeten Werkes hervor, dem Schweizervolke eine Mahnung an seine Treue und Liebe für das Vaterland zu sein und das Andenken an seine tapferen Vorfahren wach zu erhalten, und ließ durch ein weißgekleidetes Mädchen dem in der Mitte zwischen beiden Rednern stehenden sichtlich tief ergriffenen Meister Stückelberg einen prachtvollen Lorbeerkranz mit weiß-rother Schleife überreichen. Landammann Müller dankte darauf mit bewegten Worten dem Kunstverein für seine herrliche Leistung und nahm die Capelle im Namen des Urner Volkes in Empfang.

Es war ein schöner Moment und ein lebensvolles Bild, Die Sprechenden am Ufer, umgeben von zahlreichem Volk aus der Umgegend, Männer, Frauen und Kinder, vor ihnen im See der Dampfer mit den Festgästen, vorne in einer Reihe die „Waibel“ der Behörden in ihren Dreispitzen und den bunten Mänteln mit den Cantonsfarben (vergl. die Figur unten rechts auf unserer Abbildung). Unter dem Gesange eines Männerchores, der sich am Ufer aufgestellt hatte, begaben sich nun alle Festtheilnehmer an dasselbe und füllten die festlich bekränzte Capelle in staunender Bewunderung der vier prächtigen Gemälde, unter deren Figuren keine ist, zu der sich der verdienstvolle Künstler nicht sein Modell aus dem kernigen Volke der Urschweiz gewählt hätte.

Auf der Anhöhe oberhalb der Capelle war eine Festhütte errichtet, mit Guirlanden, Fahnen, Wappen und Inschriften geschmückt. In diese nun begaben sich die Festtheilnehmer zu einem Gabelfrühstück, bei dem Mädchen in alten Schweizertrachten aufwarteten und, nachdem der erste Appetit gestillt war, nach Schweizerart bald der Redestrom sich Bahn brach.

Wenn auch dabei die Vertreter von Uri und Genf es nicht an verhüllten clericalen und radikalen Andeutungen fehlen ließen, so herrschte doch durchweg das Gefühl der Versöhnung streitender Parteigegensätze im Angesichte eines patriotischen Festes vor, und wer schlecht wegkam, das waren nur wir Historiker, obschon man uns unsere kritischen Ketzereien, die man in Toasten eifrig bekämpfte, im persönlichen Verkehr während des Festes keineswegs fühlen ließ, und das aus guten Gründen – konnten ja für die Wahrheit der bezüglichen Ueberlieferungen keine Thatsachen, sondern blos Gefühle geltend gemacht werden! Vielleicht wäre es noch klüger gewesen, den Gegensatz zwischen Tradition und Kritik ganz bei Seite zu lassen, das Fest lediglich als ein patriotisches aufzufassen und die gefeierten Stätten als solche zu betrachten, in denen sich die Idee der Freiheit gewissermaßen localisirt habe! – Daß die Schweizerfreiheit in den Urcantonen ihren Anfang genommen, unterliegt ja keinem Zweifel.

Die Sonne neigte sich dem Westen zu, als der Dampfer unter Musik und Mörserknallen von der Tells-Capelle wieder abfuhr und dem gegenüberliegenden Ufer des Urner See-Arms zusteuerte, das bereits im Schatten seiner hohen Berge ruhte. Hier liegt das Rütli, unterhalb der schwindelnden Felswand von Seelisberg, ein lieblich grüner Wald- und Wiesenabhang, mit einfachen freundlichen Anlagen um ein schlichtes, solides Gasthaus von alter Schweizerart. Hier stieg man aus, den zweiten Act des Festes zu feiern, und er wurde, was die gesprochenen Worte und die allgemeine Stimmung betrifft, zu einem wirklich weihevollen, zum Glanzpunkte des Tages. Auf einem von Bäumen und Gebüsch verborgenen geräumigen Platze stellten sich die Festheilnehmer auf, und die Musik intonirte das jeden Schweizer elektrisch durchzuckende Rütlilied. Hier blieben die antikritischen „Rettungsversuche“ weg, und man fühlte sich nur von patriotischen Gefühlen getragen.

Es war ein schöner Augenblick, als der Vertreter des eifrigst katholischen Urcantons demjenigen des liberalen Bundesraths, dem ehemaligen protestantischen Pfarrer Schenk, herzlich die Hand drückte. Die erhebende Stunde beschloß der radical-demokratische Nationalrath Curti aus Zürich mit einem poetisch durchwehten Gruß an das Volk der Urcantone. Feierlich gestimmt löste sich der Kreis auf, und man erging sich auf, wenngleich nicht urkundlich, doch conventionell classischem Boden, bis die Scheidestunde nahte und in stiller Dämmerungsstunde unter dem Abendgeläute der Glocken des See-Ufers die Rückfahrt nach Brunnen erfolgte, wo im „Waldstätterhof“ das Festmahl und ein lebendes Bild, den Schwur in Rütli darstellend, der Feier einen erhebenden Abschluß verleihen sollte. Langsam verschwand, von den letzten Strahlen der sinkenden Sonne angeglüht, das freundliche rothe Dach der Tells-Capelle hinter den Felsen; auch die Umrisse des Rütli wurden düsterer, und der vom Abendwinde sanft bewegte See zerschlug die Spiegelbilder der hochragenden Berge in phantastische Figuren.

O. Henne am Rhyn.




Die Cholera in Aegypten.

Von Adolf Ebeling.

Schwerer und mitleidswerther ist wohl selten ein Land heimgesucht worden, als in jüngster Zeit Aegypten, das „gesegnete Nilland“, das Alles daran zu setzen scheint, um diesen schönen Titel nicht mehr zu verdienen.

Man vergegenwärtige sich nur kurz die „ägyptischen Plagen“ der letzten Jahre: Ungenügende Nilüberschwemmung und in Folge derselben mangelhaft oder gar nicht bestellte Felder und deshalb geringe Ernten; dazu Pferde- und Rinderseuchen, alsdann Unruhen im Lande, die später zur förmlichen Revolution wurden und die jede Gewerbthätigkeit und alle Handelsverbindungen schädigten, wo nicht ganz hemmten; darauf Krieg und, mit der Beschießung Alexandriens, die Gräuel des massenhaften Raubmordes und der Brandstiftung, alsdann zu den alten noch neue unerschwingliche Steuern an Contributionen und Naturallieferungen aller Art und schließlich, was schwer in die moralische Wage fällt, die bittere Verletzung des Nationalbewußtseins durch die englische Occupation – und jetzt, wo endlich nach so harten Prüfungen bessere Tage anzubrechen schienen, weil man anfing, sich in die Nothwendigkeit zu fügen, und wo Handel und Wandel, einigermaßen wenigstens, wieder aufzublühen begannen, weil mit dem Gefühl der gesicherten Zustände auch das Vertrauen nach und nach zurückkehrte … jetzt ist die schrecklichste aller Geißeln, mit denen der Herr in seinem Zorn die Völker schlägt, über das unglückliche Land hereingebrochen: die Cholera, die furchtbare Schwester der Pest und fast gleich unerbittlich und verheerend wie diese.

Der düstere Todesengel schreitet durch Aegyptenland und schlägt nicht nur, wie einst zu Mosis Zeit, die Erstgeburt, sondern alle ohne Unterschied des Geschlechts, des Alters und des Standes, obwohl in letzter Beziehung, wie stets, so auch hier, die unteren Volksclassen die meisten Opfer liefern. Und diese Opfer zählen bereits jetzt, nach kaum zweimonatlichem Erscheinen der Epidemie, nach Tausenden, und noch immer wird eine erschreckende Zunahme gemeldet.

Dies alles ist übrigens unseren Lesern längst bekannt, denn „Die Cholera in Aegypten“ nimmt ja schon seit vielen Wochen eine stehende Rubrik in den Zeitungen ein, und man erfährt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 534. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_534.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2024)