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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Kleine Bilder aus der Gegenwart.

Nr. 3.0 Im Taucherpavillon der Hygiene-Ausstellung in Berlin.

Es war ein glücklicher Gedanke, dem schaulustigen Publicum der so trefflich gelungenen Ausstellung für Hygiene und Rettungswesen einen Einblick in die Geheimnisse der modernen Taucherkunst zu gewähren, und in der That übt der nördlich von der Stadtbahn gelegene achteckige Pavillon eine seltene Anziehungskraft auf die Neugierigen der Herren- und Damenwelt. Das kann uns nicht wundern, denn für die Taucherkunst wird seit langer, langer Zeit in Deutschland eine der erfolgreichsten Reclamen gemacht, und der Reclamemacher ist kein Geringerer, als der erklärteste Liebling des Volkes, Friedrich Schiller. Wir glauben entschieden, daß es gerade sein „Taucher“ ist, der die Meisten dazu veranlaßt, für dreißig Pfennig besonderes Eintrittsgeld einen Zunftgenossen jenes hochherzigen Jünglings, welcher in der Charybde verschwand, zu schauen.

Aus der Hygiene-Ausstellung: Im Taucherpavillon.
Originalzeichnung von A. von Roeßler.

Aber alle, die dort Bank an Bank gedränget sitzen, gelangen in kurzer Zeit zu der Ueberzeugung, daß auch in diesem Falle zwischen Dichtung und Wahrheit eine unendlich tiefe Kluft liegt, und daß die Ausübung der modernen Taucherkunst wohl ein hartes, aber auch poesieloses Stück Arbeit bildet.

Nehmen auch wir auf einer der Bänke Platz! Da sehen wir zu unsern Füßen ein im Durchmesser fünf Meter großes Wasserreservoir, dessen Tiefe, wie uns mitgetheilt wird, vier Meter beträgt. Das ist der Ocean im Kleinen, auf dessen Grund und Boden der Taucher alltäglich in der Zeit von elf Uhr Vormittag bis fünf Uhr Abends allerlei Arbeiten verrichtet. Am oberen Rande des Bassins befindet sich eine kleine eiserne Treppe, auf welcher der Taucher in die Tiefe hinabsteigt.

Die Vorstellung beginnt. Der kräftige Mann tritt vor und macht unter Leitung des Tauchermeisters John Kock seine Toilette mit den gewichtigen Kleidungsstücken, welche die Firma L. von Bremen u. Comp. in Kiel zu diesem Zwecke geliefert hat. Der Rock, den er vor unsern Augen anzieht, ist durchaus wasserdicht, denn sein Stoff besteht aus einer doppelten Lage starkgewebten, mit Gummi getränkten Zeuges, und außerdem befinden sich zwischen den beiden Lagen sorgfältig eingelegte Gummiplatten. An den Aermeln dieses Anzuges sind starke Kautschukmanschetten, die luftdicht das Handgelenk umschließen, und Gummiarmbänder angebracht. Den Manschetten entspricht am oberen Theile des Anzuges ein starker Gummikragen, welcher an den Taucherhelm luftdicht befestigt wird.

Der letztere bildet das wichtigste und interessanteste Ausrüstungsstück. Er besteht, wie wir das deutlich auf unserer Abbildung sehen, aus zwei Theilen, dem Kragen und einem gerundeten Aufsatze, die beide aus Kupfer geschmiedet sind. Von den vier Glasfenstern, die in ihm angebracht sind, kann das oberste abgeschraubt werden, und wird erst dann zugemacht, wenn der Taucher in’s Wasser steigt. Der Helm selbst ist durch eine fest angeschraubte Röhre mit dem auf dem Rücken des Tauchers befindlichen Luftregulator verbunden, und von dem letzten führt endlich ein starker Schlauch zu der Luftpumpe, welche dem von der Außenwelt hermetisch abgeschlossenen Manne die nöthige Luft liefert. An dem Regulator befindet sich auch das Ventil, durch welches die vom Taucher ausgeathmete Luft entweicht.

Die etwa zwei Centner schwere Ausrüstung des Tauchers wird noch durch zwanzig Pfund wiegende, mit Bleisohlen versehene Taucherschuhe und zwei Gewichte vervollständigt. Das eine derselben wird an seinem Rücken befestigt, das andere herzförmige und 24 Pfund schwere an seiner Brust. Pro forma wird auch hier das Dolchmesser mitgenommen und die Signalleine nicht vergessen.

Jetzt wird das verschiebbare Glas des Helmes zugeschraubt, und der Taucher ist zum Abstieg fertig. Sofort tritt die Luftpumpe, an der zwei Mann arbeiten, in Thätigkeit und liefert in der Minute fünfundachtzig Liter Luft. Nun heißt es: „Hochherziger Jüngling, fahre wohl!“

Da unten ist es aber gar nicht so fürchterlich, und wer sich davon überzeugen will, der braucht nur in das untere Geschoß des Pavillons hinabzusteigen, wo er durch eins der im Bassin angebrachten Gucklöcher unsern Tausendkünstler in völliger Thätigkeit beobachten kann. Er schreibt dort unter Wasser, spaltet Holz, dessen einzelne Scheite von selbst an die Oberfläche steigen etc. Zum Schluß hat auch für ihn das Handwerk einen lucrativen Boden, welcher zwar nicht aus Gold, aber wenigstens aus Nickel oder gar Silber besteht, denn die Gäste da oben im Amphitheater werfen manchmal in Erinnerung an die Becher und Ring spendende Majestät kleine Münzen in die Tiefe hinab, welche der Taucher an das rosigte Licht fördert. Manchmal überrascht er auch das Publicum durch sein plötzliches Erscheinen an der Wasseroberfläche, das er „aus eigener Kraft“ bewerkstelligt. Um dies zu ermöglichen, führt er die eingeathmete Luft nicht mehr durch den Mund in das Ausathmungsventil, sondern bläst sie durch die Nase in seinen Anzug hinein.

So bietet denn dieser Taucherpavillon dem Laien Gelegenheit, sich über die moderne Taucherkunst einen richtigen Begriff zu bilden, und spiegelt im Kleinen ein Bild der menschlichen Thätigkeit wieder, welche in der Gegenwart zu immer höherer Vollendung und Bedeutung gelangt.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 505. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_505.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2024)