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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Hedwig Reicher-Kindermann als „Brunhilde“.
Nach einer Photographie im Verlage von Loescher und Petsch in Berlin auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

ruhig zu leiten, denn oft gehörte die Gewalt von vier Personen dazu, um sie vor einem Sprung aus dem Fenster zu schützen. Diesmal legte sie sich unbewußt auf das Bett, ich öffnete die Fenster, um Luft hereinströmen zu lassen, nachdem ich sie genügend verstellt, und schickte zu Herrn Baron von Perfall, um die Oper abzusagen, da sie ‚Amneris‘ singen sollte. Sie hörte dies und sagte: ‚Nein, Adelheid, ich werde singen.‘

Sie sang wirklich, und so wunderbar hinreißend, wie ich sie nie wieder gehört; jeder ihrer Töne zog mich mächtig zu ihr hinauf; seit jenem Tage war es mir klar, daß solcher Gesang noch ganz Deutschland in Bewegung setzen müsse.“

Und so ist es denn auch geschehen. Doch begann ihre große Zeit erst mit ihrem Auftreten bei den Bayreuther Festspielaufführungen 1876, wo sie in der obwohl untergeordneten Partie der „Erda“ im „Rheingold“ eine so Alles bewältigende Meisterschaft bewies, daß ihr Beruf, die vollkommenste Darstellerin der Wagner’schen Schöpfungen zu werden, von diesem Augenblick an bei allen Fachmännern feststand.

Jetzt regten sich auch die Bewerbungen um sie. Zunächst folgte sie einem Rufe Pollini’s an das Hamburger Stadttheater. Im Jahre 1848 finden wir sie am Hofopernhaus in Wien, und dort drückt die Nachricht vom Tode ihrer Mutter sie tief darnieder. Von dort schrieb sie am 15. Juli, ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstage, an Adelheid Bernhardt: „Ich muß furchtbar viel studiren, da ich sehr ehrenvolle Anträge nach London und Petersburg, sowie nach Mailand (Scala) und Paris an die Große Oper habe. Natürlich muß alles italienisch studirt werden. Aber ich ersinge mir halt ein Vermögen und schlage Capital aus dem Talent, welches mir vom Schöpfer verliehen ist.“

Der schöne Traum! Als ob die für jede Bitte immer offene Hand dieser Künstlerin je zum Dienste des Mammon hätte geeignet sein können!

Schon im September desselben Jahres datiren ihre Briefe wieder aus München, wo sie abermals mit ihrem Vater vereinigt ist. Ihn singen zu hören und heimlich ihm Kränze zu werfen, ist ihre höchste Lust. - Aber auch neue dunkle Schatten treten jetzt auf. „Ich werde Dir,“ schreibt sie an die Freundin, „in Form eines Tagebuchs mein ganzes Leben beschreiben, all meine Erfahrungen und Enttäuschungen, und Du wirst staunen. In der einfachen, wahren Erzählung wirst Du einen Roman finden. Noch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_489.jpg&oldid=- (Version vom 28.1.2024)