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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Herrschaften müssen erst noch vernünftiger werden; der gnädige Onkel hat das auch eingesehen, und einstweilen läßt er uns das Herrenhaus in Buchdorf ganz neu und sehr glänzend einrichten. Herr Paul soll sich erst als Gutsherr bewähren, und die Kleine – ich wollte sagen unsere künftige gnädige Frau wird bis dahin doch noch etwas größer werden. Glauben Sie nicht, daß man mit sechszehn Jahren noch wachsen kann?“

„Gewiß, das glaube ich. – Und Sie bleiben also in Buchdorf?“

Arnold sah den Fragenden mit unermeßlichem Erstaunen an; er begriff nicht, wie man so etwas überhaupt fragen konnte.

„Selbstverständlich! Was sollten denn die jungen Herrschaften ohne mich anfangen? Ueberdies habe ich der seligen Frau Baronin auf dem Sterbebette versprochen –“

„Ja, das weiß ich, das haben Sie mir schon einige Male erzählt,“ fiel der Haushofmeister ein, aber Arnold hätte sich schwerlich von seinem Lieblingsthema abbringen lassen, wenn nicht in diesem Augenblick die „jüngere Linie“ erschienen wäre.

Paul führte seine Braut am Arme, die zur höchsten Befriedigung des alten Dieners in ihrem Festkleide mit der langen Schleppe etwas größer aussah als sonst. Sie musterten die Empfangsanstalten, und der junge Baron wandte sich an den Haushofmeister.

„Wir werden den Freiherrn und seine Gemahlin schon am Wagen begrüßen. Sie nehmen Ihren Platz wohl hier am Eingange, an der Spitze der Dienerschaft ein; Du bleibst gleichfalls hier, Arnold.“

Der Haushofmeister folgte natürlich der Anordnung, und Arnold that ebenso natürlich das Gegentheil, indem er sich seinem Herrn anschloß, der mit Lily weiter ging.

„Ich bleibe in Ihrer Nähe, Herr Paul,“ erklärte er mit einer Entschiedenheit, gegen die sich schlechterdings nichts einwenden ließ. „Das ist mein Platz, und übrigens macht es sich auch besser.“

„Müssen Sie denn immer widersprechen, Arnold?“ sagte Lily ungeduldig. „Haben Sie den Rosenstrauß in das Wohnzimmer meiner Schwester auf den kleinen Sophatisch gestellt, wie ich Ihnen befahl?“

„In das Wohnzimmer der Frau Baronin – jawohl, gnädiges Fräulein – die Rosen stehen auf dem Schreibtische.“

„Aber ich sagte Ihnen doch ausdrücklich, auf den Sophatisch! Weshalb haben Sie das nicht gethan?“

„Weil sie sich auf dem Schreibtische besser ausnehmen, viel besser.“

„Ich will sie aber an jener Stelle haben!“ rief Lily, mit dem Füßchen stampfend.

„Arnold, Du stellst augenblicklich die Blumen dorthin, wo meine Braut befiehlt!“ mischte sich Paul mit strenger Miene ein.

„Auf dem Schreibtische machen sie mehr Effect,“ behauptete Arnold mit unerschütterlicher Ruhe. „Sie stehen dort gerade vor dem Bilde des gnädigen Herrn, die gnädige Frau Baronin wird das als eine zarte Aufmerksamkeit empfinden, der gnädige Herr Onkel wird auch dieser Meinung sein, und das gnädige Fräulein wird sicher nicht darauf bestehen –“

„Um Gotteswillen – nein, nein!“ rief Lily verzweiflungsvoll. „Stellen Sie die Rosen meinetwegen unter den Tisch, aber hören Sie nur auf mit Ihren Gründen und Ihren ewigen Titulaturen.“

Sie zog Paul fort, und Arnold behauptete als Sieger das Feld. Er blickte mitleidig seiner Herrschaft nach, die die merkwürdige Angewohnheit hatte, ihm befehlen zu wollen. Er ließ sich allenfalls von den Augen des gnädigen Onkels maltraitiren, weil dieser der einzige Mensch war, der ihm überhaupt imponirte, aber die jüngere Linie versuchte es ganz vergeblich, gegen ihn aufzukommen, und sie sah das selbst ein.

„Paul,“ sagte Lily halb lachend, halb ärgerlich. „Wir stritten uns neulich, wer in unserem Hause das Scepter führen sollte, und Keiner wollte es dem Andern lassen. Es ist gar nicht nöthig, daß wir uns den Kopf darüber zerbrechen, Dein Arnold schwingt es über uns Beide.“

„Ja, mit diesem alten Familienerbstück ist nun einmal nichts anzufangen,“ stimmte Paul gleichfalls lachend ein. „Du beugst Dich auch schon seiner Tyrannei. Raimund müßte ihn einmal vier Wochen lang in seinen persönlichen Dienst nehmen, ich glaube, das wäre das einzige Mittel, ihm Gehorsam beizubringen. Komm, Lily, von dort aus übersieht man den Weg. Feldberg commandirt drüben die Böller, und sobald der Wagen in die Allee des Schloßberges einbiegt, krachen die Schüsse.“

„O, bis dahin haben wir noch Zeit, und ich muß vorher noch eine Entdeckungsreise anstellen. Ich bin nämlich dem Onkel Justizrath auf der Spur, der mir sehr verdächtig erscheint mit seinem Frack und seinem Bouquet. Ich weiß nun nachgerade, was dieser feierliche Aufzug bedeutet.“

„Was meinst Du? Mich hat Freising’s Erscheinen allerdings überrascht. Er steht doch Keinem von uns so nahe –“

„Nein, aber er möchte endlich irgend Jemandem nahe stehen, und das ist ihm wirklich nicht zu verdenken, der Arme hat ja bisher nichts als Hochachtung durchgemacht, und das muß schrecklich sein. Ich habe es deutlich gesehen, das Bouquet enthält diesmal nur Nelken, in allen Farben und Schattirungen – und das ist die Lieblingsblume Fräulein Hofer’s. Ich muß durchaus wissen, wie die Sache sich entwickelt. Schlägt sie wieder zum Unglück aus, dann – ja, Paul, ich kann Dir nicht helfen – dann nehme ich den Onkel Justizrath noch nachträglich aus Mitleid; denn mit sechs Körben kann er unmöglich existiren. Das hält kein Mensch aus!“

Paul protestirte sehr nachdrücklich gegen diese menschenfreundliche Absicht seiner Braut und war überhaupt der Meinung, man müsse auf der Terrasse bleiben, um zum Empfange der Erwarteten bereit zu sein, aber Lily bestand auf ihrem Willen. Sie hatte gesehen, wie der Justizrath und Fräulein Hofer in einem kleinen Pavillon verschwanden, der an der Rückseite des Schlosses lag, und ging sofort dieser Spur nach.

Der Pavillon, der eigens für die Bergaussicht erbaut war, lag sehr hoch, sodaß es unmöglich blieb, durch die Fenster einen Einblick zu gewinnen, und die Thür, die vorhin weit offen stand, war jetzt verdächtiger Weise geschlossen. Die junge Dame unternahm also zunächst einen Recognoscirungsgang um das kleine Gebäude, das heute ebenfalls einen Fahnenschmuck trug, und wurde dabei vom Zufall begünstigt.

An der rechten Seitenwand, die von dichtem Weinlaube umrankt war, stand eine Leiter, die man wahrscheinlich beim Befestigen der Fahne gebraucht und dann vergessen hatte. Lily war ganz entzückt über diesen Fund, sie hörte nicht auf Paul’s Einwendungen, der ihr folgte, sondern nahm ihre Schleppe zusammen und stieg schleunigst empor bis zur Fensterhöhe, wo sie mit unendlicher Neugier durch die Scheiben blickte, gerade wie Arnold es bei ihrer Verlobung im Gartenhause gethan hatte.

„Sie sind wirklich drinnen!“ rapportirte sie mit gedämpfter Stimme. „Sie befinden sich alle Drei auf dem Sopha, der Justizrath, das Bouquet und Fräulein Hofer. Schade, daß die Fenster geschlossen sind, ich kann nur sehen, und damals hinter der Salonthür konnte ich nur hören, aber die heutige Stellung ist etwas unbequemer.“

„Aber das ist ja Spionage,“ wandte Paul ein. „Wenn man Dich nun von innen bemerkt oder wenn irgend Jemand von der Dienerschaft auf diese Seite des Schlosses geräth, was sollen sie denken!“

„Sei still, Paul, und halte die Leiter!“ befahl die junge Dame. „Die ganze Dienerschaft ist drüben auf der Terrasse, und das Weinlaub ist so dicht, daß ich unmöglich entdeckt werden kann. Wie gesagt, hören kann ich nichts, aber ich sehe die ganze Pantomime. Der Onkel Justizrath zeigt eine sehr elegische Miene, er erzählt gewiß von seinen fünf Körben – wenn er nur nicht den sechsten erhält, Emma ist noch ganz Hochachtung – aber nein, jetzt lächelt sie – Gott sei Dank, nun kommt die Sache in Gang.“

„Lily, ich bitte Dich, komm’ herunter!“ bat Paul. „Wenn uns Jemand in dieser Situation überrascht – es schickt sich wirklich nicht.“

„Störe mich nicht und achte auf die Leiter, damit sie nicht umfällt,“ lautete die etwas ungnädige Antwort. „Nun rückt das Bouquet in’s Feuer, der Onkel Justizrath fängt stets mit der Blumensprache an. Bei Anna begann er damals: die Rosen – der Rose! Und jetzt sagt er gewiß: die Nelken – der Nelke!“

Freising mußte in der That etwas Aehnliches gesagt haben, denn Fräulein Hofer erröthete und schlug die Augen nieder, während er mit vollem Pathos fortfuhr:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_467.jpg&oldid=- (Version vom 8.1.2024)