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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

No. 28.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Alle Rechte vorbehalten.

Gebannt und erlöst.

Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Gregor Vilmut stand noch am Ufer, wo er vorhin gestanden, obgleich die Fluth immer näher herandrängte. Es war das Furchtbarste, was dem energischen Manne auferlegt werden konnte, hier thatenlos zu verharren, während dort seine ganze Gemeinde um ihre Rettung kämpfte. Seiner Hülfe bedurfte man nicht, es waren Arme genug vorhanden, und das Commando hatte jetzt Raimund von Werdenfels, der dort oben auf der Mauer stand, dicht über dem tobenden Strome, und seine Befehle nach allen Richtungen hin gab. Seine Stimme hallte laut durch all das Brausen und Donnern, sein Auge war überall, und die Leute folgten mit einem leidenschaftlichen Eifer, als ob von diesem Blicke und dieser Stimme ihr ganzes Heil abhinge.

Vilmut war Zeuge davon, und er sah auch das Antlitz der jungen Frau, die nur wenige Schritte von ihm entfernt stand. Anna war auf die ausdrückliche Bitte des Freiherrn hier zurückgeblieben, aber ihr Auge hing doch nur an ihm allein. Mitten in dem herandrohenden Verderben sah sie nur ihren Raimund, der in dem Schiffbruche so energisch das Steuer ergriffen hatte und es wie ein Held und Retter führte, und ihr Antlitz leuchtete wie verklärt von Stolz und Glück. Es war ja ihre Stimme gewesen, die den Träumer wach gerufen hatte, er zeigte es jetzt im Sturm, daß er ein Mann zu sein verstand, und wie ein Mann sühnte er seine Schuld – mit Thaten!

Endlich kam Paul mit Feldberg zurück vom Schlosse; sie brachten den Pulvervorrath, und man bedurfte dieses letzten Mittels. Noch war nicht ein Drittel der Arbeit gethan, und die Gefahr war bereits auf das Höchste gestiegen. Werdenfels ließ schnell die nöthigen Vorbereitungen treffen, und dann zog sich auf seinen Befehl Alles zurück nach der Dorfseite. Als der Letzte außer dem Bereich der Gefahr war, gab er das Zeichen.

Krachend flog die Mine in die Luft, der Boden ringsum bebte und zitterte und Erde, Steine und Rasen wurden nach allen Richtungen hin geschleudert. Die Quadern barsten mitten von einander, ein Theil der Mauer stürzte ein, und ein breiter Spalt klaffte in dem nun endlich bezwungenen Wall.

Die Bauern umgaben in angstvoller Erwartung den Freiherrn. Er stand neben Anna, die an seine Seite geeilt war, als er den Wall verließ, und Beide blickten hinüber nach der nun preisgegebenen Niederung, die dort im Regenschleier lag.

„Jetzt ist der Weg offen!“ sagte Raimund leise. „Es war die höchste Zeit – das Wasser kommt!“

Das Wasser kam in der That, es säumte nicht, den ihm hingeworfenen Raub zu verschlingen. Schon brandeten die Wogen um das aufgewühlte Erdreich, schon züngelten sie gierig nach dem offenen Spalt hin. Jetzt hatten sie den Weg gefunden, und mit donnerähnlichem Getöse stürzte der ganze Schwall hinab in den tiefgelegenen Park. Was von den wankenden Mauern noch stand, das erlag diesem Ansturm, sie wurden zerrissen, niedergeworfen, fortgetragen, die Lücke gähnte in entsetzlicher Weite und durch das geöffnete Thor nahm die Zerstörung ihren Lauf.

Die hohen Baumwipfel begannen wie im Sturmwinde zu schwanken, schon sanken einige von ihnen, die anderen im Sturze mit sich reißend, man hörte das Krachen und Brechen der Stämme. In wenigen Minuten waren die prachtvollen Gärten, die drei Generationen mit einem Aufwande von Hunderttausenden geschaffen und gepflegt hatten, in einen wogenden See verwandelt, in dessen Fluthen all die herrlichen Anlagen, Fontainen und Statuen begraben lagen, nichts entging der Vernichtung!

An dem Schloßberge vorbei stürzte das Wasser in die Niederung, wo das Hauptgebiet von Werdenfels lag, die reichsten Besitzungen des Freiherrn. Dort wehrte keine Mauer, da von dieser Seite keine Gefahr drohte. Immer neue Wassermassen stürzten nach und immer weiter dehnte sich der wilde See aus, bis er drüben an dem Höhenzuge, hinter dem Buchdorf lag, eine Grenze fand. Die Felder und Wiesen versanken rettungslos in der dunklen Fluth, die all ihren Segen in Schlamm und Steinen begrub und sie auf Jahre hinaus unfruchtbar machte – das Opfer mußte in seiner ganzen Größe gebracht werden.

Aber es wurde nicht umsonst gebracht. All die Fluthen, die das Gebirg niedersandte, wälzten sich jetzt durch den Park der Niederung zu, im unteren Laufe des Stromes aber begann das Wasser zu sinken. Die Macht der anstürmenden Wogen war zertheilt, gebrochen, sie wichen langsam zurück von dem schwer bedrohten Dorfe – Werdenfels war gerettet!

In fieberhafter Aufregung, schwankend zwischen Furcht und Hoffnung, hatte die Menge der Entscheidung geharrt, jetzt aber, wo die Rettung ihrer Heimath entschieden war, wandten sich alle Blicke auf den Freiherrn. Auch er war bleich vor innerer Aufregung, aber er stand fest und ruhig da und sah zu, wie die Zerstörung, die er selbst entfesselt hatte, sich über seine Besitzungen ergoß. Und als erst einzelne Stimmen, dann immer mehrere jubelnd verkündeten, daß das Wasser dort unten sinke, daß die Gefahr vorüber sei, da leuchtete es sonnenhell auf in Raimund’s dunklen Augen, und mit dem tiefen Athemzuge, der sich aus seiner Brust hervorrang, sank auch die schwere Last von ihm, die er jahrelang getragen. –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_449.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2024)