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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

vom blauen Himmel herab, heiter kicherten und koseten die schäumenden Wogen und heiter glänzten die Gesichter der Passagiere. Nach dem Diner ward es ein Raunen, ein Wispern und Flüstern unter der schönen Hälfte des Geschlechts. Gar so wonnig ist das Leben, losgelöst von den Fesseln der alten Welt, die neue hat die ihrigen noch nicht übergeworfen; so im Schweben zwischen zwei Welten, warum sollte das Leben nicht genossen werden? Der alte Aeolus schien gnädig gestimmt, breit lag er auf der Tiefe und ließ sich in den Schlaf wiegen. Alles lud zur Freude am Dasein ein.

Ida hatte mit Onkel und Tante geflüstert, dann mit der jungen Frau und mehreren jungen und älteren Schönheiten die Köpfe zusammengesteckt. Ehe jedoch das weibliche Corps den Plan gefaßt hatte, ward er durch die Ritterlichkeit des starken Geschlechts ausgeführt – eine Drehorgel erschien an Deck, ein hübscher, strammer Matrose stellte sich dazu, und heidi, nach den lustigen Melodien flogen die Paare im Tanze herum.

Onkel Dresing sieht mit tiefem Behagen das liebe Nichtchen am Arm des schmucken Landschaftsmalers; er blickt von dem Paare hinweg in die blaue, gekräuselte Weite und denk: „Mein Achenbach ist zwar unübertrefflich, doch ein Stück Poesie auf dem Ocean erleben, ist auch nicht zu verachten.“

Tante Dresing freut sich des jungfrischen Wesens und sieht in ferne Zeiten, wo ihre beiden keinen Mädchen zu eben solchen Blüthen sich entfaltet haben werden. Alles athmet Luft und Freude, nur die „Dame in Grün“ hat sich zurückgezogen, und Mylord Vater starrt melancholisch auf die Mädchengestalt, die sich so leicht am Arme des jungen Mannes wiegt; ihm scheint just der Gedanke aufzugehen, sie sei doch nicht die rechte zu seines Sprößlings Mutter.

Der schmucke Matrose an der Drehorgel allein versteht das Lächeln auf Fräulein Ida’s Gesicht. Soeben flüstert der junge Künstler das Liebeswort in ihr Ohr, welches die beiden Herzen auf ewig bindet, und ein Druck ihrer keinen Hand giebt die Antwort.

„Ich habe das schon neulich Abend gewußt, als die Beiden hinter dem Ruderhause schwatzten von Sternen und Meerjungfern und Sterben,“ denkt der junge Seemann und orgelt lustig darauf los.

Der „Neptun“ aber dampft weiter, dem Land der Verheißung entgegen.[1]

H. Pichler.




Die nationale Kochschule in London.

Von Marie Calm.

„Haben Sie denn unsere Kochschule schon gesehen?“ fragte mich eine Dame.

„Ihre Kochschule? Ich denke, die Engländerinnen beschäftigen sich nicht mit Kochen?“

„Wir haben es bisher nicht gethan, aber wir wollen es lernen.“

Ja, die Engländerinnen wollen kochen lernen! Wie man deutschen Schulunterricht in England einzuführen sucht, so will man der englischen Lady auch einige jener häuslichen Kenntnisse beibringen, durch welche die deutsche Hausfrau so berühmt ist.

Ob es gelingen wird? Ich erlaube mir daran zu zweifeln. So lange die Küche sich im Souterrain des englischen Hauses, zwei Stockwerke unter den Wohnzimmern befindet; so lange eine weiche, weiße Hand mit durchsichtigen, tadellosen Nägeln für ein unerläßliches Attribut einer Lady gilt; so lange die Köchin sich als Alleinherrscherin in ihrem unterirdischen Reiche betrachtet und jeden Eingriff in ihre Autokratie mit Kündigung bestraft – so lange werden die culinarischen Leistungen der englischen Hausfrau wohl nicht allzu bedeutend sein.

Und, kann man nicht umhin zu denken, warum sollte sie sich dafür bemühen? Warum selbst etwas thun, was eine geringere Kraft zu leisten vermag? Wer je für längere Zeit Mitglied eines englischen Hauses war, der weiß, wie behaglich es sich darin lebt, wie vortrefflich Alles eingerichtet und geordnet ist. Da hört man nichts von dem Knarren der Haushaltungsmaschine, da geschieht Alles geräuschlos und zur rechten Zeit, da steht die Mahlzeit pünktlich auf dem sorgfältig gedeckten Tisch, und die Hausfrau, unberührt vom Küchenrauch, frisch in ihrer erneuerten Toilette, braucht nicht ängstlich jedem kommenden Gerichte entgegenzusehen, ob es nicht noch in der Viertelstunde, seitdem sie die Küche verlassen, verdorben ist, ob auch alle ihre Anordnungen hinsichtlich des Servirens der Schüsseln befolgt sind. Sie kann sich freien Geistes ihren Angehörigen oder ihren Gästen widmen, denn sie weiß, die Köchin versteht ihre Arbeit – sie ist selbständig.

Dann aber – und das fällt freilich sehr in’s Gewicht – ist die englische Küche weit einfacher, als die unsere. Man verspeist im ganzen großbritannischen Königreich dieselben Roastbeefs und Hammelkeulen, dieselben ungefetteten und ungesalzenen Gemüse, dieselben Reispuddings und Rhabarberpies, zum Dessert denselben Käse, höchstens mit der Abwechslung von Chester- und Stiltoncheese, im Winter dieselben Orangen, im Sommer dieselben Erdbeeren.

Das ist einheitlich – freilich oft auch recht einförmig. Unsere verwöhnten Herren würden wahrscheinlich wenig damit einverstanden sein, die erste Hälfte der Woche das Roastbeef (so ausgezeichnet es auch war!) kalt zu essen, das am Sonntag warm servirt wurde, und vom Donnerstage an dieselbe Hammelkeule unwiderruflich erscheinen zu sehen – Samstags vielleicht in Gestalt eines Hachés – bis sie am Sonntag wieder von dem Roastbeef abgelöst wird. Dazwischen vielleicht einmal, wo jene nicht ausreichen, ein Fisch oder ein Huhn zur Abwechslung, begleitet von dem harmlosen Gemüse – und das Menu eines gewöhnlichen englischen Hauses und damit einer gewöhnlichen englischen Köchin ist erschöpft.

„Nein,“ sagt der Herr Geheimrath, und sieht dabei wohlgefällig an seiner gut gepflegten Gestalt hinab. „Nein, damit wäre ich allerdings nicht zufrieden. Meine gute Frau versteht sich auf die Küche, auf einige kleine Leckerbissen, für die ich ein Faible habe. Ich bin wahrlich kein Gourmand, aber die Zubereitung thut in der Kochkunst sehr viel; mit einer guten Mayonnaise kann man selbst einen alten Hahn noch genießbar machen!“

Und der Herr Geheimrath hat Recht.

Die Zubereitung thut viel und muß viel thun, wo das Material nicht so gut und das Haushaltungsgeld nicht so reichlich ist, wie in England. Der gutgespickte englische Geldbeutel – was würden unsere Hausfrauen nicht Alles leisten, wenn sie den besäßen! Indessen beruht der größere Luxus der englischen Haushaltung noch auf einem andern Grunde, der vielleicht weniger allgemein bekannt ist.

Während vier Jahren, die ich im verschiedenen englischen Familien verlebt, erinnere ich mich nicht, den respectiven Hausherrn mehr als zwei- oder dreimal Abends im Familienkreise vermißt zu haben. Wenn er ausging, geschah es stets mit seiner Frau. Dieselbe Bemerkung machte ich bei zwei in England lebenden deutschen Kaufleuten, bei denen ich kürzlich einige Monate zubrachte. Die beiden Deutschen hatten die englische Gewohnheit, den Tag nach geschlossenem Geschäfte mit ihrer Familie zu verbringen, angenommen.

Natürlich hat der Engländer auch seinen Club, in dem er seine Freunde und politischen Genossen trifft; die großen Entfernungen nöthigen ihn oft, sein Luncheon in der Stadt einzunehmen; aber die deutschen Früh- und Dämmerungsschoppen, die Billard- und Kegelessen, und wie die Mahlzeiten sonst heißen, die in den Cafés und Restaurants eingenommen werden, kennt er nicht. Die letzteren sind auch gar nicht dafür eingerichtet: man nimmt seinen Trunk, wenn man einmal einen solchen wünscht, am Schalter stehend zu sich, und erhält seinen Imbiß in einer Art Loge servirt, in welche fast überall in England die Speisezimmer parcellirt sind, um dem Gast seine Selbstständigkeit und Ungenirtheit


  1. Der freundliche Leser sei darauf aufmerksam gemacht, daß L. Blume-Siebert, welcher die Scene vorstehender Schilderung in seinem Bilde „An Bord“ in so anmuthiger Weise verkörperte, derselbe Künstler ist, dessen „Tänzchen mit dem Großvater“ durch die „Gartenlaube“ die weiteste Verbreitung fand.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_442.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2024)