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verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

sondern rüstig deine Straße schreitest, triffst du einen „Dippe- oder Kerb’-Wage“ auf dieser Wanderung am Stromufer, so gedenke der beiden Industrien, welche bestimmt sind, da droben das Elend und den Kummer zu scheuchen, gerade da – wo du diese angesichts des lachenden Bildes, welches dich umgibt, am wenigsten suchst. Die unscheinbaren Gefährte sind die bescheidensten Vertreter und Verbreiter der – Arbeiten bedürftiger Stammesgenossen.




Blätter und Blüthen.

Ein verschollenes Grab. Dass die Stadt, aus der allwöchentlich unsere „Gartenlaube“ hinausgeht in die weite Welt, daß Leipzig mit dem gesamten Entwickelungsgange unserer neuern deutschen Literatur unzertrennlich und in ganz besonders hervorragendem Maße verknüpft ist, wem von unseren Lesern wäre es unbekannt?

Lebten doch fast die sämmtlichen Heroen des deutschen Parnasses längere oder kürzere Zeit innerhalb der gastfreundlichen Mauern von „Klein-Paris“, und war doch namentlich auch Altmeister Goethe, der spätere „unsterbliche Olympier“, in seiner Jugend drei Jahre hindurch akademischer Bürger der Universität der alten Lindenstadt, der er Zeitlebens ein freundliches und wohlwollendes Gedenken bewahrt hat.

Schon hier in Leipzig sollte dem damals kaum siebenzehnjährigen Frankfurter Patriciersohn und angehenden Poeten ein sonniger Liebesfrühling erblühen. Jeder Literaturkundige kennt des jugendlichen Wolfgang Goethe’s Beziehungen zu Käthchen Schönkopf, eine anfänglich nicht unerwidert gebliebene Herzensneigung, deren sich noch der mehr als siebenzigjährige Dichtergreis in seiner Selbstbiographie „Wahrheit und Dichtung“ dankbar erinnerte.

Käthchen – bei Goethe heißt sie bekanntlich „Aennchen“ – war um volle drei Jahre älter als ihr Verehrer; der Vater bewirthschaftete in dem Hause Brühl Nr. 79 (umittelbar neben dem „Goldenen Apfel“) ein kleines Gast- und Weinhaus und war mit einer Frankfurterin verheirathet, was vermuthlich ein Grund mehr war, den jungen Studiosus schon aus landsmannschaftlichen Rücksichten gewissermaßen als Glied der Familie zu betrachten.

Bald genug gestaltete sich die Bekanntschaft zwischen den beiden jungen Leutchen zu einem förmlichen Liebesverhältnisse. Aennchen war „jung, hübsch, munter, liebevoll und angenehm“, und Goethe sah sie täglich ohne Hindernisse, da er Mittags dort aß und Abends seinen Wein trank. Man sang miteinander und man spielte Komödie, sogar „Minna von Barnhelm“ wurde aufgeführt. Mit der Zeit jedoch sollte diese schöne Harmonie durch einen Mißklang gestört werden, an dem der junge Goethe sich selber die Schuld beimessen mußte.

„Ich ward,“ heißt es in „Wahrheit und Dichtung“, „von jener bösen Sucht befallen, die uns verleitet, aus der Quälerei der Geliebten eine Unterhaltung zu schaffen und die Ergebenheit eines Mädchens mit willkürlichen und tyrannischen Launen zu beherrschen. Durch unbegründete und abgeschmackte Eifersüchteleien verdarb ich mir und ihr die schönsten Tage. Sie ertrug es eine Zeit lang mit unglaublicher Geduld, die ich grausam genug war aufs Aeußerste zu treiben. Allein zu meiner Beschämung und Verzweiflung mußte ich endlich bemerken, daß sich ihr Gemüth von mir entfernt habe. Es gab schreckliche Scenen unter uns, bei welchen ich nicht gewann, und nun fühlte ich erst, daß ich sie wirklich liebe und daß ich sie nicht entbehren könne. Meine Leidenschaft wuchs und zuletzt trat ich in die bisherige Rolle des Mädchens. Es war zu spät: ich hatte sie verloren, und die Tollheit, mit der ich meinen Fehler an mir selbst rächte, indem ich auf mancherlei unsinnige Weise in meine physische Natur stürmte, hat sehr viel zu den körperlichen Uebeln beigetragen, unter denen ich einige der besten Jahre meines Lebens verlor. Schon früher hatte ich meine Unart deutlich genug wahrgenommen. Das arme Kind dauerte mich wirklich, wenn ich sie so ganz ohne Noth von mir verletzt sah. Ich stellte mir ihre Lage, die meinige und dagegen den zufriedenen Zustand eines andern Paares aus unserer Gesellschaft so oft und so umständlich vor, daß ich endlich nicht lassen konnte, die Situation zu einer quälenden und belehrenden Buße dramatisch zu behandeln. Daraus entsprang die älteste meiner übrig gebliebenen dramatischen Arbeiten, das kleine Stück: ‚Die Laune des Verliebten‘, an dessen unschuldigen Wesen man zugleich den Drang einer siedenden Leidenschaft gewahr wird.“

So war denn der Riß zwischen dem jungen Paar unheilbar geworden, ein kurzer Liebestraum war ausgeträumt, und Käthchen Schönkopf, die Verkannte, wandte ihr Herz einem andern Manne zu. Es war das, wie man weiß, der Dr. jur. Kanne, ein angehender praktischer Jurist, dem unser Dichter selbst das Zeugniß eines ebenso achtbaren wie zu den schönsten Hoffnungen berechtigenden jungen Mannes ausstellt und der denn auch wirklich bald nachher Goethe’s „Aennchen“ als seine Gemahlin heimführte.

Wo nun hat Käthchen Schönkopf ihre letzte Ruhestätte gefunden?

Wir freuen uns, unsern Lesern bezüglich dieser Frage mit einer durchaus verläßlichen Auskunft dienen zu können, und laden sie ein, uns zu einer kurzen Wanderung auf Leipzigs alten Johannis-Friedhof zu begleiten.

Dafern es überhaupt zulässig ist, von einer Stätte des Todes zu sagen, daß sie „auf dem Aussterbe-Etat stehe“, so dürfen wir diesen Ausdruck unbedenklich auf den gedachten, unmittelbar hinter der Johannis-Kirche gelegenen Gottesacker anwenden. Die Leipziger Stadtverwaltung hat unlängst seine allmähliche Auflassung beschlossen, ein anfänglicher Park wird mit der Zeit an die Stelle des einstigen Friedhofes treten und schon ist mit der Umwandelung der ehemaligen ersten Abtheilung desselben in eine Art von Square der Anfang gemacht worden, wobei man jedoch die Grabmonumente aller irgend denkwürdigen Toten in wohlverstandener Pietät unangetastet gelassen hat. Durchschreiten wir diese gegenwärtig im Entstehen begriffene Parkanlage, so gelangen wir an den nunmehrigen Anfang des eigentlichen Friedhofes. In die zweite Abtheilung desselben eingetreten, biegen wir sofort rechts ab und lenken unsere Schritte bis ziemlich in die Ecke, da, wo der Weg ein fast rechtwinkliges Knie bildet, um hier vor einem an zwei hochstämmigen Birken kenntlichen alten Erbbegräbnisse Halt zu machen. Die Rückseite desselben trägt folgendes Epitaphium als Überschrift:

„Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben.“

Unmittelbar darunter befindet sich die so vielfach übliche eiserne Tafel, auf welcher die Namen sämtlicher Toten, deren Gebeine hier Aufnahme gefunden, mit goldenen, jetzt freilich ziemlich verwitterten Lettern verzeichnet sind. Unter diesen Namen nun begegnen uns auch die folgenden:

Dr. Christian Carl Kanne,
des K. S. Oberhofgerichts, der Juristenfacultät und des Raths
zu Leipzig Beisitzer, auch Proconsul,
geb. zu Wolkenstein d. 22. Dec. 1744, gest. d. 20. Febr. 1806.
Anna Katharina Kanne, geb. Schönkopf,
dessen Ehegattin,
geb. zu Leipzig d. 22. Aug. 1746, gest. d. 20. Mai 1810“

Dies also ist die Stelle, wo unseres großen Goethe’s erste Jugendliebe an der Seite des Gatten ihre letzte Ruhestätte gefunden, wo dasjenige weibliche Wesen, welches dem jugendlichen Dichter zu seiner frühesten dramatischen Arbeit, der „Laune des Verliebten“ Veranlassung gab, einer „fröhlichen Urständ“ entgegenschlummert. Käthchen Schönkopf ist volle zweiundzwanzig Jahre vor dem Freunde ihrer Jugend heimgegangen – sie ruhe in Frieden.

Nur wenige Tage noch, und wiederum sind wir vor dem Feste der Sommersonnenwende angelangt. Leipzigs Bewohner begehen in alter, frommer Sitte ihr Johannis-Fest und die Ruhestätten der Toten schmücken sich überall mit den Blüthen des Frühlings. Auch die vorstehenden Zeilen wollen ein solcher Johannis-Totenkranz sein, ein Kranz, den die „Gartenlaube“ niederlegt auf das verschollene Grab in der Ecke. Und wenn über Jahr und Tag die Zeit kommt, wo auch diese Abtheilung des alten Friedhofes verschwinden und einer heiteren Parkanlage Platz machen muß, so wird, so hoffen wir, die Stelle, deren wir hier gedachten, nicht spurlos der Vergessenheit überantwortet werden; gilt doch auch von Käthchen Schönkopf das trostreiche Wort:

„Ein Strahl der Dichtersonne fiel auf sie,
So hell, daß er Unsterblichkeit ihr lieh!“

Julius von Altenau.     




Wichtig für die Berufswahl! Soeben ist ein Werkchen erschienen, welches vielen jungen und älteren Leuten, welche in den Staatsdienst zu treten beabsichtigen, in vielfacher Beziehung gewünschte Auskunft ertheilen kann. „Die Berufswahl im Staatsdienste“ ist der Titel dieses in der C. A. Koch’schen Verlagsbuchhandlung in Leipzig erschienenen Buches, das von dem Geheimen Rechnungsrevisor und Rechnungsrath am Rechnungshofe des deutschen Reichs A. Dreger auf Grund amtlicher Quellen herausgegeben wurde. Es ist, wie schon der Titel besagt, eine Zusammenstellung der wichtigsten Vorschriften über Annahme, Ausbildung, Prüfung, Anstellung und Beförderung in sämmtlichen Zweigen des Reichs- und Staats-, des Militär- und Marinedienstes, sowie über die wissenschaftlichen Erfordernisse, die Ausbildung und Prüfung der Aerzte, Apotheker, Thierärzte und Zahnärzte, als auch der Maschinisten und Steuerleute in der Handelsmarine.

Den Nutzen und die Zweckmäßigkeit dieses Buches wollen wir hier nur an einigen Beispielen erläutern. Nehmen wir an, daß ein Vater seinen Sohn in dem Postdienst unterbringen möchte. Die Bedingungen, unter welchen die Annahme seines Sohnes erfolgen müßte, sind ihm jedoch unbekannt. Er schlägt also in dem genannten Büchlein den betreffenden Abschnitt nach und erfährt auf Seite 48, daß die Annahme in diesem Dienst als Posteleve oder Postgehülfe erfolgen kann. Da er nun seinen Sohn für die höhere Postcarrière ausbilden lassen will, so interessiren ihn nur die für die Posteleven bestimmten Bedingungen:

Zunächst findet er an dem angegebenen Orte den Grad der Schulbildung genau angeführt, welchen der betreffende Bewerber erlangt haben muß, ferner erfährt er, daß derselbe nicht unter 16 Jahren und nicht über 25 Jahre alt sein darf, daß von ihm eine Caution im Betrage von 900 Mark zu erlegen ist etc.

Der Eleve muß im Allgemeinen im Stande sein, sich während der Ausbildungszeit ohne Beihülfe aus der Postcasse zu erhalten. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, denjenigen Eleven, welche ihre Aushülfe an einem nicht selbstgewählten Orte erhalten, bei vorhandener Bedürftigkeit und tadelloser Führung zu den Kosten des Unterhaltes von Zeit zu Zeit mäßige Beihülfen zu gewähren. Tagegelder erhält er nur dann, wenn er den Dienst eines unentbehrlichen, vollbeschäftigten Hülfsarbeiters versieht. Erfolgt die Verwendung an dem selbstgewählten Aufenthaltsorte, so werden dafür erst vom zweiten Dienstjahre ab Tagegelder gewährt, innerhalb des ersten Dienstjahres indeß nur zeitweilige Beihülfen bewilligt.

Wir sehen hier von der Ausführung der anderen über die spätere Dienstzeit Auskunft ertheilenden Abschnitte ab und fügen nur noch hinzu, daß der Postaspirant auch über seine zukünftige pecuniäre Einnahme aus

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verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1883, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_411.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2024)