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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

nützliche Verwendbarkeit werden die einfachen „Steindippen“ immer ihren Zweck erfüllen.

Jetzt schon dreht der Töpfer (am Rhein früher Ullner, Häfner genannt, daher der Name des ehemaligen Töpferdorfes Ulinhausen, Aulhausen bei Aßmannshausen) droben im Kannenbäckerlande seine Erzeugnisse zum Theil mit Maschinen, während bis vor nicht langer Zeit die ganze Anfertigung unter furchtbarer körperlicher Anstrengung – auch die Anfertigung der Millionen Mineralwasserkrüge – mit der Hand und den Beinen mittelst der Töpferscheibe geschah.

Da kommt denn nun der Kleinhändler hinauf, ladet seinen Wagen voll und hinab geht’s in’s Land, so lange der Vorrath reicht, oder besser, so lange der Wagen nicht geräumt ist.

„Na, Madammche, macht ’r kein’n Kappes inn? Hei – dat sein Dippe. Guckt emol do – so schien hatt’ er noch kein’ gesien! Nemmt Eich – ’s is Ausverkauf – mer brauche Geld – halb geschenkt! Der da – gelt? Der gefällt Eich? Der hält Kinner und Kinneskinner aus!“ so ruft der mundfertige Verkäufer und läßt zwei mächtige Krüge mit Gewalt an einander stoßen, um ihre Unverwüstlichkeit, ihre Unzerbrechlichkeit klarzustellen.

Die Industrie indessen, welcher der „Dippewagen“ sein Dasein verdankt, darf durchaus nicht unterschätzt werden.

Höhr hat wohl an vierzig Fabriken von Steingutwaaren, Grenzhausen nahe ebenso viel, die Orte Hilgert, Baumbach, Ransbach, Nauert, Wirges, Mogendorf, Alsbach und andere leben von dieser Industrie, die jährlich erzeugten Krüge rechnen nach Millionen, die Töpfe und Trinkgefäße nach Hunderttausenden, ganz abgesehen von den Steingutröhren, Thonpfeifen u. dergl. m. – Das Kneten des Thones, das Backen der Töpfe war den Römern schon bekannt. Die Arbeit, welche später durch die Erfindung der Töpferscheibe erst eigentliche Gestaltung erfuhr, ist uns entweder eben durch die Römer an den Rhein gebracht worden, oder sie war – wie einzelne Grabfunde beweisen dürften – schon vor denselben am Rhein bekannt. Das sechszehnte und siebenzehnte Jahrhundert entwickelte eine Industrie in jenem Krugbäckerländchen, deren musterhafte Leistungen zwar zum Theil mit der Zeit verloren gingen, die aber heute wieder – wie erwähnt – durch alle Mittel der Schulung angestrebt werden. Ein deutscher Töpfer erfand im dreizehnten Jahrhundert in Schlettstadt die Bleiglasur, wodurch die gebrannten Töpfe undurchdringlich wurden, das sechszehnte Jahrhundert brachte die Erfindung der Zinnglasur, und als im Jahre 1709 Böttcher in Meißen das Porcellan – „erfand“, war Wien 1720 die zweite, Höchst am Main 1740 aber die dritte Erzeugungsstätte für das ungleich feinere Porcellangeschirr, dem die roheren Krüge und Kannen indessen immerhin verwandt sind.

Droben aber an den Thonlagern der Montabaurer Höhe, in jenen sogenannten Kannenbäckerdörfern, erzeugte trotz des Porcellans die Töpferei gleichzeitig Geschirre, welche noch heute mit schwerem Geld aufgewogen werden und deren für die Folge zu erwartende Gediegenheit hoffentlich die Krugbäckerei bald wieder zum ausgesprochenen Kunstgewerbe erheben wird. Der „Dippewagen“ ist aber der unscheinbarste Verbreiter dieser Industrie, einfach und bescheiden freilich – aber von unendlichem Werthe ist seine Ladung für den Hausstand und für die Verfertiger, durch seine nutzbringende und Baarmittel schaffende Fracht. –

Der Rhein, so lachend seine Ufer und Rebengehänge den Wanderer und Beschauer auch grüßen, verbirgt nichts destoweniger durch seine Berge manch ernstes Bild dem Auge des flüchtig Reisenden. Nicht überall da droben wächst der gesegnete Rüdesheimer! Auf den Höhen des Taunus müht sich noch heute der Nagelschmied um wenige Pfennige, rauh ist der Hunsrück, unwirthlich der Westerwald in manchen Strecken, und die Eifel – kämpft oft genug mit der dringendsten Noth. Da greift denn die Industrie zu allen möglichen Gewerben, und da an den Ufern des Rheins und seiner Nebenflüsse die Weide heimisch, so entwickelt sich auch die Korbflechterei in einzelnen Orten. Ja, während drunten die Weide geschnitten wurde, kam sie erst verarbeitet von den Höhen wieder herab. weil droben der Lohn gering und Arbeitskräfte genug vorhanden. So bringen der Hunsrück Weidengeflechte, die Mainniederungen Körbe aller Art in den Kleinhandel, und da am Erzeugungsorte nicht Absatz genug, setzt sich der Körbehändler auf sein leichtes Gefährt und fährt hinaus, was daheim nicht verwerthet werden kann.

Am Niederrhein, auf der Eifel, im Taunus hat man seit kurzer Frist die Wichtigkeit der Korbweide und ihrer Cultur erkannt, und die an den Flußufern durch ein gewisses Raubsystem verminderten Weidenpflanzungen werden eben jetzt wieder mit großer Fürsorge ergänzt. Brauchen doch viele Gegenden des Rheines die Weide zum Binden des Weinstocks an die Pfähle.

Man hat aber auch ferner erkannt, wie sehr das Land und überschüssige Arbeitskraft der Korbflechterei nutzbar gemacht werden können, und wieder ist kein Landesstrich auch für den Absatz der Korbgeflechte so geeignet, so geschaffen, dürfen wir sagen, wie der Rhein. Braucht doch allein die königlich preußische Brunnenverwaltung zu Selters als Packmaterial nahe 3000 Körbe für Mineralwasser jährlich, ganz abgesehen von den vielen anderen Heilquellen; werden doch aus den am Rhein liegenden Gemeinden bei St. Goarshausen und Braubach für den Obsttransport (Kirschen, Aprikosen und Aepfel) nahe 20,000 Körbe in guten Jahren verwendet, den Bedarf der Traubenpackung und für den Weinbergsbetrieb selbst gar nicht gerechnet. Es kann angenommen werden, daß allein am Mittelrhein rund 60,000 bis 65,000 Mark an gewöhnlichster Korbwaare gebraucht wird. Der Korbwagen aber (der „Kerbwage“ im Dialekt), wie ihn unser Bild zeigt, bringt heute noch die Erzeugnisse einfacher Flechterei aus der Mainniederung und vom Hunsrück herab in die Städte und ist auf den rheinischen Landstraßen eine so häufige Erscheinung wie der „Dippewage“.

Gerade jetzt bereitet sich eine Umwälzung nicht nur in der Weidencultur, sondern auch in der Flechtkunst am Rhein vor. So schreibt Bürgermeister Krahe in Prummern (Reg.-Bez. Aachen) in dem von ihm herausgegebenen Lehrbuch der rationellen Korbweidencultur: „Die Korbweidenanlagen und die Korbflechterei sind für die Gegend (Roer-Wurm-Niederung) zur reichen Nährquelle geworden. Eine jährliche Bruttoeinnahme von 220,000 Mark, wie sie von den vorhandenen 564 Hectar Weidenhegern amtlich nachgewiesen ist, sowie eine Jahreseinnahme von mehr als 350,000 Mark Arbeitsverdienst der 962 Flechter, das fördert den Wohlstand wesentlich, namentlich bei einer Bevölkerung, die größtentheils aus Kleinbauern besteht.“

Wie der Generalsecretär des Vereins der Nassauischen Land- und Volkswirthe, Herr W. E. Müller, in einem besonderen Berichte über den Gegenstand mittheilt, versicherte ihn der Bürgermeister Esser in Bracheln, „daß durch die Entwickelung des Flechtgewerbes die frühere Armuth und das Unwesen der Bettelei gänzlich beseitigt worden und Wohlstand an deren Stelle getreten sei“.

Diese Erfahrungen haben einen gewichtigen Anstoß auch für den rührigen Taunusclub in Frankfurt gegeben, um den höher gelegenen Taunusorten diese Industrie zu verschaffen. Auf Veranlassung des Vorsitzenden dieses Clubs, des Herrn Hauptmann außer Dienst Haus in Frankfurt, richtete der genannte Verein, die Nothstände berücksichtigend, welche in den Jahren 1879 und 1880 den oberen Taunus heimsuchten, eine Flechtschule in Grävenwiesbach unter zuvorkommender Beihülfe des dortigen Pfarrers Deißmann ein, beschaffte baare Mittel und Material, pflanzte Stecklinge, rigolte Land zu dem Zwecke, bestellte einen Flechtmeister – kurz, schuf der Gegend eine neu aufblühende Industrie. So sind schon mehrere hundert Ar Landes mit Hunderttausenden von Weidenstecklingen bepflanzt und die Resultate für die Weiden- und Flechtindustrie sind heute schon ganz wesentliche.

Hauptmann Becker in Königstein rief die Macht der Presse durch anregende Aufsätze zu Hülfe, die königliche Regierung trat mit baarem Beistande hinzu, und gegenwärtig schreitet diese, man dürfte sagen wiedererwachte Flechtindustrie in neuen Bahnen rüstig vorwärts, Armuth verscheuchend, Hülfe leistend, Arbeitsamkeit fördernd und Gutes nach allen Seiten verbreitend.

Bezog doch bis heute der Regierungsbezirk Wiesbaden den größten Theil seines enorm hohen Bedarfes an Weiden und Flechtwerk von auswärts, während im Taunus allein Hunderte von Morgen feuchtes und schlechtes Land vorhanden sind, die landwirthschaftlich gar keinen oder doch nur wenig Nutzen abwerfen, während der Boden sich gerade für diesen Anbau trefflich eignet. Darum, fröhlicher Rheinwanderer, der du die Reize des Stromes nicht allein von dem Dampfer des Rheines aus bewunderst,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_410.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2024)