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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

freute! Sie war noch so wenig gereist. „Warum nur Gustav das Reiseziel noch immer nicht nannte? „Ich werde Dich mit dem herrlichsten Reiseplane überraschen, liebes Herz!“ hatte er noch gestern gesagt. Nun, der Augenblick ist gekommen, wo sie es erfahren mußte. Wenn es nur ein Bischen weit in die Welt hinaus ginge, am liebsten nach der Schweiz, oder gar nach Italien! Alle Freundinnen hatten die Reisetoilette mit Neid betrachtet, und Lili Berger und Frieda Menke hatten sich vorgenommen, wenigstens eine Hochzeitsreise zu machen, falls sie alte Jungfern würden – mit einander.

„Da ist noch ein Brief an Dich, liebe Marie, wohl noch ein verspäteter Glückwunsch,“ sagte Tante Bertha.

„Von Fritz aus Heidelberg? Der gute Junge! So hat er doch an mich gedacht, trotzdem er mitten im Examen steht. – Bitte, Engelstantchen, hilf mir aber jetzt erst den Schleier lösen.“

Tante Bertha vergrub die mageren Finger in die reichen blonden Haarwellen und löste mit Vorsicht und Geschicklichkeit die goldenen Nadeln, die Schleier und Kranz auf Mariens anmuthigem Köpfchen festhielten. Dann faltete Tante das duftige Spinngewebe mit stiller Andacht zusammen und schob es in den Carton. Nachher half sie Mieze aus dem hochzeitlichen Gewande schlüpfen. Bald stand diese im Reise-Anzuge, während sich die Finger der alten Jungfer wieder und wieder nach den abgefallenen Myrthenblüthen wie nach kleinen Reliquienresten bückten, trotzdem die unruhigen Füßchen der aufgeregten Braut achtlos darüber hinweg trippelten. Und dabei konnte es Tante Bertha leider nicht verhindern, daß sich zwei einzige, aber große Thränen aus den sanften, halberloschenen Augen drängten, sich rücksichtslos durch die Fältchen und Krähenfüßchen ihren Weg bahnten und heiß und schwer auf die zertretenen Myrthen niederfielen. Zum Schrecken der Tante hatte es die Nichte bemerkt.

„Tantchen, Du weinst?“ frug diese erstaunt, und nur mit sich beschäftigt. „Wir kehren ja bald zurück, und dann bist Du unser lieber Hausgeist …“

Dann – von einem andern Gedanken überrascht, lag sie plötzlich am Halse der alten Jungfrau und küßte sie mit Zärtlichkeit. Sie erinnerte sich eines Bildnisses über Tantchens Schreibtische, das immer neu mit Immortellen bekränzt war. Es stellte einen Mann dar in feiner, aber altmodischer Kleidung.

„Wenn ich Papst werde, spreche ich Dich heilig!“ setzte sie voll Rührung und Enthusiasmus hinzu.

Die Tante lächelte und schickte sich an, die Schleppe der jungen Frau zu schürzen. Die Reisetoilette war vollendet.

Marie nahm noch die perlgrauen Handschuhe und schnallte sich die kleine Ledertasche um. Sie enthielt Taschentuch, Flacon und das Notizbuch zum Aufzeichnen der zu betrachtenden Merkwürdigkeiten. So – auch das Portemonnaie noch hinein, das Kleingeld darinnen sollte der erste Arme erhalten, welcher ihr auf der Reise begegnete. Nun noch einen Blick in den Spiegel, und sie war fertig.

Plötzlich schien ihr noch etwas einzufallen. Sie trat eilig zum Bauer des Kanarienvogels, um ihm noch einmal sein Futter zu geben.

„Da, Hänschen, zum letzten Male!“

Dann nahm sie die Wasserkaraffe, um den Epheu zu begießen. Die Blätter hingen welk herab.

„Das Kind hat einen liebenden, vorsorglichen Sinn,“ pflegte der Vater zuweilen mit Stolz von dem Töchterlein zu sagen. „Und das ist mehr werth, als das bischen Englisch und Französisch unserer jungen Damen.“

Nun noch einen Blick, halb wehmüthig, halb stolz und freudestrahlend, auf das zurückgelassene Mädchenparadies – und sie stand draußen in dem Vorzimmer, wo der Assessor die Braut erwartete. Den nur flüchtig gelesenen Brief trug sie noch in der Hand.

„Endlich, liebes Herz!“

„Ich ließ wohl lange warten?“

„Ein wenig. Du ziehst mich bei Zeiten.“

„Wann geht der Zug? Haben wir denn überhaupt noch Zeit?“

„Das kommt darauf an, wohin wir uns wenden.“

„So bist Du immer noch nicht einig über den Reiseplan?“ Die Frage klang überrascht, fast ein wenig unfreundlich. „Ich brenne darauf, das Ziel endlich zu erfahren!“

„Vollkommen einig und entschlossen. Das heißt, wenn der Plan auch Deine Zustimmung erhält.“

„Nun?“

„Das Ziel unserer Reise ist das Ziel, nach dem wir Beide überhaupt seit Jahresfrist unausgesetzt strebten: unsere eignen vier Pfähle, das Haus!“

„Was soll das heißen, Gustav?“

„Das heißt, daß wir, anstatt uns selbst zu einem wochenlangen ungemüthlichen Hôtelleben zu verdammen, sogleich die eigne lang ersehnte Häuslichkeit aufsuchen wollen.“

„Wie? Was?“

„Ich muß mich näher erklären; auch Du, liebes Herz, bist ein Kind Deiner Zeit – Gebrauch und Sitte lassen auch Dir das natürlichste Ding von der Welt auffallend und sonderbar erscheinen. Aber giebt es wohl etwas gleich Lächerliches wie die Modethorheit, das lang ersehnte Ziel willkürlich auf Wochen oder Monate hinauszuschieben? Ach, Kind, der Mann, den Beruf und Verhältnisse, wie mich, frühzeitig in die Welt hinausdrängten – wie oft sehnt er sich vergebens nach dem Banne einer eignen glücklichen, friedvollen Häuslichkeit! Seit ich Dich kennen lernte, war es mein bester Trost, wenn ich mir ausmalte, wie wir bald in der Traulichkeit unseres Hauses beisammen sein würden. Und nun, wo mir ein gütiges Geschick die Erfüllung giebt, soll ich einer thörichten Mode zu Gefallen selbst den Zeitpunkt der Entsagung verlängern? Sonderbare Sitte, die uns zwingt, das Gold unserer Liebe in Kreise hinauszutragen, die uns nöthigen, es wie Contrebande zu verstecken! Die Hochzeitsreisen sind ein Gebrauch, der uns von anderen Nationen zugekommen, englischer Spleen und amerikanische Hast haben ihn geschaffen. Auch mögen sie für jene Nationen passen. … Aber der Deutsche mit seinen idealen Begriffen von Haus und Ehe soll die Ehe nur an der gesegneten Stätte beginnen, wo sein Haus steht und sein Glück Wurzel schlagen soll! Unsere Großeltern wußten nichts von Hochzeitsreisen.“

Marie, die den Worten des Gatten überrascht und fast erschrocken gelauscht hatte, mußte jetzt unwillkürlich an Großmama denken. Sie hatte noch vorgestern, durch die ewigen Hochzeitsgespräche angeregt, mit einem entsetzlich treuen Gedächtnisse weitläufig alle kleinsten Umstände bei ihrer eigenen Verheirathung wieder und wieder erzählt. Auch wie sie bereits am ersten Tage das Scepter des Hauses übernommen und dem Gatten das Leibgericht, Rindfleisch mit Pastinaken, gekocht, ja sogar selbst die lange Meerschaumpfeife gestopft habe, mit welcher er zwischen den regelrecht abgezirkelten Ranunkelbeeten des Hausgärtchens nach dem Morgenkaffee spazieren gegangen war.

Mama hingegen hatte natürlich schon ihre Hochzeitsreise gemacht. Und Mama würde es auch niemals dulden, daß es anders sei. Sie hielt streng auf Ordnung und Sitte.

Diese Ueberzeugung gab Marie endlich Muth zu reden.

„Ich hätte wirklich nicht geglaubt, daß Da mit einem so merkwürdigen Verlangen an mich heran trätest, Gustav!“ sagte sie nicht ohne Verdruß. „Ich hatte mich so sehr auf die Reise gefreut.“

„Wenn Du nicht einverstanden bist, so treten wir diese Reise natürlich an. Es gehen noch vier Züge und zwar nach allen vier Himmelsgegenden. Du hast nur zu bestimmen, wohin wir uns wenden wollen, liebes Herz! Verzeihe, wenn Dir meine Bitte zu groß erscheint, aber ich rechnete dabei auf die Stärke und Opferfreudigkeit Deiner – Liebe!“

„Gustav, den Vorwurf verdiene ich nicht!“

„Sieh, liebes Herz, ich dachte es mir so schön, wenn wir gleich in Glück und Weihe im eigenen Hause bei einander wären – Du allein auf mich angewiesen und ich auf Dich. Es giebt eine Kindheit, welche das Gemüth nie verliert: die Kindheit der Liebe! Diese vollbewußte Kindheit würde uns blühen, wenn Du daheim für mich sorgen müßtest und ich für Dich! Später werden die Mutter und die Tanten kommen und Dich das Hauswesen nach allen Regeln und Finessen führen lehren. Uns gegenseitig zu führen, kann uns nur unsere Liebe lehren! Denke Dir einmal, daß wir auf eine einsame Insel verschlagen wären – würden wir, Du mit mir und ich mit Dir, unglücklich sein? Haben wir uns im Scherze solche Robinsonade nicht zuweilen gewünscht?“

Die junge Frau antwortete nicht, aber sie hatte sich schon beim Beginn seiner letzten Worte an seine Brust geschmiegt. Er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_382.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)