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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

in der Lady-Franklin-Bucht unter 81° 20′ nördlicher Breite etablirten Beobachtungsstationen sind die nördlichsten Orte von den kürzlich angelegten Observatorien, welche, in den verschiedenen Eismeeren vertheilt, zu 11 um den Nord- und zu 2 um den Südpol liegen.

Die eine der vom deutschen Reiche errichteten Stationen, zu deren Gründung im verflossenen Jahre die „Germania“, das von der zweiten deutschen Nordpolexpedition an die Ostküste von Grönland her bekannte Schiff, den Dr. Wilhelm Giese als Leiter hinführte, liegt im Cumberlandsund in der Davisstraße, die andere auf Südgeorgien im Südatlantischen Ocean, zu deren Einrichtung und Leitung ein Schiff der kaiserlichen Marine den Dr. Schrader hinbrachte.

Diese sämmtlichen Stationen werden durch ihre meteorologischen Aufzeichnungen, durch die Beobachtung der Meeresströmungen, durch Aufklärung der Geheimnisse des Erdmagnetismus etc. wesentlich das Gelingen zukünftiger Nordpolexpeditionen erleichtern, und aus den daselbst installirten Mannschaften wird sich der Kern einer Armee herausbilden, welche einst mit Erfolg den Entscheidungskampf um den Nordpol wird aufnehmen können.

Was das neue englisch-amerikanische Project einer Nordpolfahrt anbetrifft, so sehen wir von einer speciellen Wiedergabe der in amerikanischen Journalen und in der „Times“ seiner Zeit darüber enthaltenen Notizen ab, da die Schilderung eines ideellen Verlaufes einer Nordpolexpedition, wie dieselbe im Nachstehenden besprochen werden soll, jedenfalls alles das mit enthalten wird, was die Engländer und die Amerikaner in dieser Beziehung geplant haben.

Das unserem Aufsatze beigegebene Bild soll den Verlauf einer Forschungsfahrt in die arktischen Länder und Meere veranschaulichen. Ein Blick auf die geographische Karte im Mittelpunkt der Illustration zeigt, welches umfangreiche Gebiet noch zu durchfahren, zu durchwandern und aufzuklären ist, ehe einer der allein ruhenden Punkte der rastlos um sich selbst eilenden Erdkugel erreicht werden kann. Als Angriffspunkt, dieses Riesenwerk zu lösen, möchte den deutschen Forschern der Weg durch das Ostgrönländische und Ostspitzbergische Meer, an der Ostküste Grönlands entlang, über Spitzbergen, durch Nowaja-Semlja nach Franz-Joseph-Land gelten.

Hier haben bereits überall deutsche Männer gewirkt und geduldet, sind deutsche Zungen erklungen, und die auf den Reisen der „Germania“, der „Hansa“, sowie des „Tegetthoff“ (österreichische Nordpolfahrt 1871) neu entdeckten Länder führen die Namen „König-Wilhelm-Land“ und „Franz-Joseph-Land“.

Von hier aus möge das deutsche Wort von Neuem erklingen, und oben am Nordpol mögen sich die Banner Deutschlands und Oesterreichs auch im Dienste der Wissenschaft vereinen, wie sie schon jetzt im gegenseitigen staatlichen Interesse in treuer Freundschaft zusammen wehen.

Wie weit „König-Wilhelm-Land“, wie weit „Franz-Joseph-Land“ nach Norden reichen, ob, durch Meeresarme von diesen Ländern getrennt, sich noch andere Inseln gegen den Nordpol hin erstrecken, wer will das behaupten? Dieses festzustellen muß aber die nächste Aufgabe der Forschungen sein. Um sie zu lösen, heißt es jedoch dort oben erst einmal festen Fuß zu fassen, Stationen zu gründen, die in gleichzeitig weiter südlich anzulegenden Ansiedelungen und Depotplätzen den Rückhalt finden. Eine Entfernung derselben unter einander von fünfzehn bis höchstens dreißig geographischen Meilen scheint im Allgemeinen zulässig, bei schwierigem Terrain, in vergletscherten oder unter Ureis begrabenen Landstrichen, im farblosen Labyrinth des festen Packeises wird man aber häufiger sich mit noch bei weitem geringeren Entfernungen begnügen müssen. Wir haben schon zuvor darauf hingedeutet, daß den in die arktischen Zonen entsendeten Männern durchaus derjenige Comfort gewährt werden muß, welcher sie, sozusagen außer Dienst, möglichst vor den Einflüssen des Klimas bewahrt, die bisher bei allen Nordpolfahrten so schwer in’s Gewicht gefallen sind. Nach gethaner Pflicht, nach körperlichen Anstrengungen verlangen Geist und Körper in möglichster Behaglichkeit zu ruhen.

Sollen die Stationen Jahre hindurch mit denselben Leuten besetzt bleiben, so muß für ein Unterkommen gesorgt werden, das unter allen Umständen vor der schneidenden Kälte, die weit den Gefrierpunkt des Quecksilbers übersteigt, vor den das Mark durchwühlenden Schneewehen und den orkanartigen Stürmen schützt. Wasser aus aufgethautem Schnee und Conserven sind sicherlich die einzigen Nahrungsmittel, welche dauernd den Eisverbannten zu Gebote stehen werden, denn die Ergebnisse der Jagd in jenen Breiten sind sehr gering und stets auch nur dem Zufall zu verdanken. Jedoch bezüglich der Kleidung, der Nahrung und sonstiger Ausrüstungsgegenstände der Nordlandsfahrer ist bisher stets das Richtige getroffen worden.

Anders steht es bezüglich der Stationsgebäude. Uns will es scheinen, daß nur ein schweres Blockhaus geeignet ist, den nordischen Wettern zu widerstehen, und daß gegen die Kälte und gegen den alles durchdringenden Schneesturm allein doppelte Wände mit Moosfütterung, die Wahrung des Einganges durch Vorhäuser, sowie der Fenster durch Laden, und im Innern ein mächtiger Steinofen schützen werden. Der Schnee auf dem Dache, die zusammengepeitschten Schneewehen um das Gebäude selbst möchten hierzu ebenfalls nicht unwesentlich beitragen. – Jedoch wie soll das Material zu diesen Gebäuden in jenen baumlosen Einöden gewonnen werden? Auf Treibholz, welches sich in dem südlicheren arktischen Meere in nicht unbedeutender Menge findet, wird an den fast ausnahmslos eisumsponnenen Küsten des König-Wilhelm- und Franz-Joseph-Landes kaum zu rechnen sein; die erforderlichen Hölzer aus dem Heimathshafen mitzunehmen, würde nicht gut möglich sein. Das Schiffsgebäude selbst muß daher das Material hergeben; der Zweck desselben als Fahrzeug ist ja auch in dem vorliegenden Falle erfüllt, wenn es gelang, eine Küste zwischen dem 80° und 85° nördlicher Breite zu gewinnen.

Steil ragen die Felsen aus den Fluthen empor, welche in nicht weiter Ferne die weite Fläche des Packeises begrenzt. Thaleinschnitte sind nirgend zugänglich; dieselben sperrt das sich langsam als Gletscher aus dem Inneren des Landes nach dem Meere fortbewegende Eis.

Mühsam muß auch das geringste Bedürfniß emporgeschleppt werden. Endlich ist das Stationshaus vollendet; alle Vorräthe, namentlich der Rest des Schiffsholzes, die Kohlen geborgen. Auch das Observatorium, durch Drahtseile gesichert und mit einem optischen Telegraphen versehen, harrt seiner Benutzung, und die für den Transport der Schlitten mitgeführten Hunde erfreuen sich wieder des festen Bodens in ihrem mit Hütten ausgestatteten Zwinger.

So lange es der nur allzu kurze winterliche Sommer zuläßt, wird versucht, durch die Jagd die Vorräthe zu vermehren; die ganze Natur ist selbst der endlose Eiskeller, welcher auch die überreichste Jagdbeute lange Zeit vor dem Verderben schützt. Jedes gewonnene Fell wird die Wohnlichkeit des Blockhauses erhöhen, jede Tonne Fett oder Thran das Licht- und Heizmaterial vermehren.

Ist die Einrichtung vollendet, so werden Zweigstationen gegründet, die sich zuerst jedoch auf südlicher gelegene Punkte erstrecken müssen. Ehe der Kampf um den Nordpol aufgenommen werden kann, ist es erforderlich, eine Etappenstraße zum Heimathsland hin zu sichern; denn die Anlage dieser ermöglicht nicht nur einen etwa nothwendig werdenden Rückzug, sondern sie gestattet vor allen Dingen auch die Möglichkeit einer späteren Zufuhr, wenn es vielleicht im nächsten Jahre unmöglich werden sollte, wiederum zu Schiffe in die zuvor erreichten hohen Breiten zu gelangen.

Wenn es schon schwierig war, den Transport der schweren Hölzer etc. vom Schiff auf die steile Küste zu bewerkstelligen, so werden die Mühseligkeiten noch ungeheuerlich wachsen, wenn es gilt, die Hunderte und Aberhunderte von Centnern nach den Bauplätzen der anderen Stationen zu schaffen. – Der lange Tag hat längst der schaurigen, für den Nordpolfahrer geradezu ewigen Nacht weichen müssen. Die rauheste Jahreszeit ist eingetreten, und nur die in Folge vorübergehender günstigerer Witterung sich einstellenden Ruhepausen im Kampfe der Natur, in der von Schnee und Sturm durchtobten Atmosphäre, sowie der Glanz des strahlenden Nordlichtes lassen eine Reise von wenigen Kilometern zu, die oftmals hin und zurück gemacht werden muß und zu deren Gelingen die treuesten Freunde des Menschen, die Hunde, nicht am geringsten beitragen.

Soll die Riesenarbeit der Stationsanlagen gelingen, so muß gleichzeitig von mehreren Punkten aus vorgegangen werden. Des Menschen Energie wird jedoch unter der Voraussetzung, daß die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_344.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)