Seite:Die Gartenlaube (1883) 336.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

nicht, aber sie ist von jeher hoffnungslos gewesen, wie sehr, das weiß ich erst seit einigen Tagen. Ich fühle erst jetzt, wie hoch und fern Anna von Hertenstein von jeher über mir gestanden hat und wie nahe und lieb mir eine Andere war, vom ersten Augenblicke an, wo das Schicksal mich mit ihr zusammenführte. Können Sie es verzeihen, Lily, daß Sie nicht meine erste Neigung gewesen sind? Ich bringe Ihnen trotzdem jetzt ein ganzes, volles Herz entgegen. Werden Sie es mir glauben, wenn ich Ihnen sage: Lily, meine kleine Lily, ich habe Dich so unendlich lieb!“

Das war wirklich der volle Ton des Herzens, und davor verschwanden auch die Schatten und Zweifel in der Seele des jungen Mädchens, die Thräne in ihrem Auge schmolz in einem glückseligen Lächeln.

„Und ich habe Dich auch lieb, Paul!“ rief sie und flog in seine weitgeöffneten Arme. Er zog sie stürmisch an seine Brust, der Papierhut fiel rauschend zu Boden, und draußen vor der offenen Thür stand der kleine Toni und sah mit offenem Munde und großen Augen zu. Die Sache erschien ihm im höchsten Grade verwunderlich. –

Arnold hielt inzwischen draußen auf dem Fahrwege, aber in übelster Laune und mit tiefgekränkter Seele. Er wußte freilich, was dieser Besuch bedeutete, man brauchte es ihm nicht erst zu sagen, daß man es ihm aber nicht sagte, erregte dennoch sein höchstes Mißfallen.

Der junge Herr war verlobt mit Frau von Hertenstein, das stand fest, und die Verlobung wurde mit Rücksicht auf den Pfarrer Vilmut noch geheim gehalten, daß man aber auch ihm, dem langjährigen treuen Diener, ein Geheimniß daraus machte, das war unerhört, und er beschloß, das seinem Junker Paul nachdrücklichst zu Gemüthe zu führen.

Zu den vielen löblichen Eigenschaften Arnold’s gehörte auch eine hervorragende Neugierde. Er hätte gar zu gern ein wenig spionirt, aber er mußte bei dem Wagen bleiben und konnte die ungeduldigen Thiere sich nicht selbst überlassen; ein fester Wille überwindet jedoch manches Hinderniß, das zeigte sich auch hier. Arnold fuhr langsam noch einige zwanzig Schritt weit und hielt dann unmittelbar unter den Fenstern des Gartenhauses, natürlich ganz zufällig, dann stand er ebenso zufällig auf, um einen Baumzweig bei Seite zu schieben, der den Wagen streifte, und suchte dabei mit langgestrecktem Halse einen Einblick in das Innere zu gewinnen.

Er wußte freilich im Voraus, was er sehen werde, eine zärtliche Gruppe, die gnädige Frau auf dem Sopha und den jungen Herrn neben ihr, schwärmerisch und ehrfurchtsvoll ihre Hand an seine Lippen drückend, er war merkwürdig ehrfurchtsvoll in seiner Liebe. Das Bild, das sich in Wirklichkeit zeigte, sah aber ganz anders aus.

Frau von Hertenstein war überhaupt gar nicht vorhanden, aber der Junker Paul stand mitten im Zimmer und hielt eine junge Dame in den Armen, die einen ganz merkwürdigen Papierhut mit Pfauenfedern auf dem Kopfe trug, und die Beiden küßten sich ohne jede Ehrfurcht, aber mit einer Vertraulichkeit, als ob sich das von rechtswegen so gehöre. Und jetzt fiel der Hut zu Boden, und Arnold erkannte die braunen Flechten und das rosige Antlitz Lily Vilmut’s – das war dem alten Diener zu viel, die Zügel fielen ihm aus der Hand, und er sank förmlich auf den Sitz nieder.

Erst nach einer geraumen Zeit kehrte Paul zurück. Er hatte seine junge Braut sofort zu Anna führen wollen, aber Lily protestirte dagegen, weil Gregor sich bei ihrer Schwester befand. Es war dem jungen Manne nun allerdings nicht erwünscht, mit dem Pfarrer zusammenzutreffen, von dem er so feindselig geschieden war, das hieß gleich in der ersten Stunde der Verlobung einen Sturm auf dieselbe herabrufen. Man kam also überein, daß Lily zuerst allein mit ihrer Schwester reden und daß ihr Bräutigam morgen nach Rosenberg kommen solle, um seinen Antrag in aller Form zu wiederholen.

„Da bin ich wieder!“ sagte Paul, indem er sich auf den Wagen schwang und die Zügel ergriff. „Es hat etwas lange gedauert.“

„Ja, sehr lange!“ bestätigte Arnold in einem Tone, der förmlich unheilsvoll klang, aber der junge Mann achtete nicht darauf, er trieb die Pferde zum vollen Galopp an, und dabei strahlte sein ganzes Gesicht in glückseligem Uebermuth.

Arnold hüllte sich zunächst in düsteres Schweigen, er wollte erst die Stätte des Verrathes hinter sich lassen, und der unebene Weg, wo man bei der raschen Fahrt hin- und hergeworfen wurde, hätte auch den Effect seiner Predigt beeinträchtigen können, als der Wagen aber jetzt in die Chaussee einbog, richtete er sich feierlichst empor und sagte nachdrücklich:

„Herr Paul – ich schaudere vor Ihnen!“

„Was thust Du?“ fragte Paul, sich zu ihm wendend.

„Ich schaudere!“ wiederholte Arnold noch energischer. „Das hätte ich denn doch nicht von Ihnen erwartet, dergleichen haben Sie ja nicht einmal in Italien angestiftet, das – ja das hätte nicht einmal der Signor Bernardo gethan!“

Es war die höchste Potenz seiner Verachtung, wenn er seinen jungen Herrn noch unter den Signor Bernardo stellte, und das machte auch Eindruck, denn Paul fragte mit einer gewissen Besorgniß:

„Aber was hast Du denn eigentlich?“

„Sie fragen noch?“ rief Arnold. „Sie sind verlobt mit Frau von Hertenstein und haben heimliche Zusammenkünfte mit ihrer Schwester. Sie küssen das Kind ganz ungenirt, und die Kleine läßt sich küssen – es ist himmelschreiend!“

Paul lachte laut auf, aber er war nicht in der Stimmung, diese Spionage übel zu nehmen.

„Ah, Du hast spionirt?“ rief er. „Ist es mir doch gewesen, als ob ich am Fenster ein fremdes Gesicht gesehen hätte, aber ich habe nicht darauf geachtet, wir hatten Besseres zu thun.“

Das schien dem alten Diener der Gipfel aller Abscheulichkeit zu sein und er begann eine Predigt, die all seine bisherigen Redeleistungen in Schatten stellte, eine Predigt, in der Signor Bernardo wie ein lichter Engel und Paul Werdenfels wie der schwärzeste aller Verräther erschien. Paul, den die Sache höchlich amüsirte, hörte ganz andächtig zu, erst als sein alter Mentor Athem schöpfen mußte, sagte er:

„Arnold, von all den Dingen, die Du Dir da zusammengereimt hast, ist auch nicht eine Silbe wahr. Ich bin nie mit Frau von Hertenstein verlobt gewesen, und was ihre Schwester betrifft, so wirst Du Dich ihr morgen in Rosenberg vorstellen und ihr Deinen allertiefsten Respect zu Füßen legen, denn sie wird Deine künftige gnädige Frau werden.“

„Die Kleine – mit dem Papierhut?“ rief Arnold, der in seiner Ueberraschung fast vom Bock gefallen wäre.

„Fräulein Lily Vilmut, meine Braut!“ bestätigte Paul nachdrücklich. „So sieh’ doch nicht aus, als ob Du aus den Wolken gefallen wärst! Hast Du nicht einmal einen Glückwunsch für Deinen jungen Herrn?“

Arnold bedurfte einer ganzen Zeit, ehe er überhaupt wieder zu Athem kam, dann aber faltete er die Hände und sagte wehmüthig:

„Das wird ein Leben in Buchdorf werden! Jetzt muß ich auch noch die junge gnädige Frau erziehen – und ich habe doch schon genug mit Ihnen zu thun, Herr Paul!“

(Fortsetzung folgt.)




Der Geiger-König.

Wer führt wohl ein unsteteres Wanderleben durch alle Welt, als das Völkchen der ausübenden Jünger der Tonkunst? Und wie Viele von ihnen haben nicht bei uns ihren Wanderstab in die Ecke gestellt, denen wir es – selbst den Hervorragendsten darunter – auf den ersten Blick ansehen, daß ihre Wiege nicht unter deutschen Eichen gestanden! Von ihm aber wissen wir es ganz genau, daß er ein Deutscher ist; ein König ist’s! Er kommt daher aus jenem wunderbaren Lande des Sanges, der Liebe und Freude, der Sehnsucht jedes deutschen Herzens, aus dem Lande, wo die Könige „Rhein“ und „Wein“ ihren Thron aufgeschlagen … es ist August Wilhelmj, der Geiger-König.

August Wilhelmj hat, als das jüngere von zwei Kindern

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_336.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)