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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Ackerbau und Viehzucht (es hielt drei Hirten), und nebenbei Pechsieden und Kienrußbrennen, als schon Jahrhunderte lang die große Heer- und Handelsstraße von Nürnberg nach Sachsen über Coburg und das Bergdorf Judenbach, anderthalb Stunden östlich von Sonneberg, dahinzog. Den lebhaften Straßen- und Ortsverkehr von Judenbach haben wir im Jahrg. 1874, S. 486 ausführlich geschildert. Hier wurden die Nürnberger eines vorzüglichen Wetzsteines ansichtig, forschten nach dessen Ursprung, kamen so nach Sonneberg und knüpften sofort Geschäftsverbindungen an. Kienruß, Pech und Wetzsteine waren somit die ersten Artikel, mit welchen Sonneberg durch Nürnberg auftrat. Als erst die Nürnberger die Anstelligkeit der Leute und den Reichthum des Bodens in diesem Lande genauer kennen gelernt, machten sie beides sich immer mehr dienst- und nutzbar, und auch die Spielwaren-Industrie verpflanzten sie dorthin. So wurde Sonneberg in der That die „Tochter Nürnbergs“ und blieb es getreulich, bis Zeiten kauten, wo die Mutter schwach wurde, während die Tochter sich schon stark genug fühlte, um auf eigenen Füßen zu stehen. Diese Zeiten kamen mit dem Kipper- und Wipperunfug der Münzverfälschung und dem Dreißigjährigen Kriege, die Nürnbergs Handel vollständig lahm legten. Die Sonneberger mußten den Selbstvertrieb ihrer eigenen Waare wagen, und da sie nicht vergeblich in die Nürnberger Schule gegangen waren, so ist ihnen dies auch im ausgiebigsten Maße gelungen.

Den Gesammtwerth aller deutschen jährlich producirten Spielwaaren schätzt man auf 70 Millionen Mark. Auf das Meininger Oberland allein kommen für etwa 20 Millionen, von denen Sonneberg für nahezu 15 Millionen in das Ausland, in Europa und in alle übrigen Erdtheile versendet.

Wenn man nun bedenkt, daß noch zu Anfang dieses Jahrhunderts die Holzspielwaaren die unterste Rangstufe im Sonneberger Handel bildeten – daß sie als Luxusgegenstände galten, für die es außer der Weihnachtszeit nur selten einen Markttag gab – und daß der Gesammtwerth ihrer Produktion noch nicht den der Nägel, auch nicht den der Wetzsteine und Schiefer- oder der rohen und bemalten Holzwaaren erreichte, so muß man wohl fragen: wie war es möglich, gerade diese Industrie auf einen solchen Stand zu erheben?

Das hat der schon damals hochangesehene Sonneberger Handel gethan.

„Nur dadurch, daß die Kaufleute es nicht versäumten, ihren Sendungen Muster von all den neuen Handelsartikeln hineinzupacken, die jetzt im Spielwaarenfach rasch hinter einander auftauchten, ward bald auch dem Spielzeug der Weg in alle Welttheile angebahnt, und mit dem Begehr darnach wuchs die Zahl der Verfertiger.“[1]

Schon vor zwanzig Jahren hatte sich der Versand auf etwa 5 Millionen Mark gehoben; heute hat er den dreifachen Werth erreicht.

Diese unleugbare Thatsache berechtigt uns zu dem Ausspruch, daß der eigentliche Heber und Förderer des Sonneberger Geschäfts in erster Reihe der Kaufmann, der Exporteur ist, der den Vertrieb der Waaren in der Hand hat. Wie weit aber der Kreis reicht, für welchen Sonneberg den Mittelpunkt des Spielwaaren-Exportgeschäftes bildet, ist jedes Jahr acht bis zehn Wochen vor Beginn der Leipziger Ostermesse an Ort und Stelle am anschaulichsten. Da stellen sich die Einkäufer aus Nordamerika bis nach San Francisco, aus Frankreich, Italien, Spanien etc. in Sonneberg so zahlreich ein, daß sich ein geschäftliches Leben und Treiben entwickelt, wie man es nur an den größeren Handelsplätzen gewöhnt ist. Da wird gehandelt, gefeilscht, gemessen, gekauft. Und nicht genug an den Einheimischen, eilen auch andere deutsche Geschäftsleute herbei, um den Ausländischen, die sie hier an einem Orte vereinigt finden, ihre Waaren vorzulegen. Da kann man englische, französische, italienische, spanische und auch andere Zungen und viele deutsche Mundarten durch einander hören, und überall ist es der sprachenkundige Sonneberger Kaufmann, der die vermittelnde Rolle übernimmt. Den Abschluß des Geschäfts bildet dann die Leipziger Messe, die selbstverständlich auch von Sonneberg aus stark besucht wird.

Dagegen muß nach England, Oesterreich-Ungarn, auch nach Frankreich und besonders in Deutschland der Sonneberger Kaufmann selbst reisen ober reisen lassen, wenn er sein geschäftliches Interesse wahren, die Concurrenz nicht aufkommen lassen, wohl aber neue Kundschaft erwerben will. In der Hauptsache werden die Geschäfte mit Grossisten, nur in seltenen Fällen auch mit Kleinhändlern abgemacht. Gegenwärtig sind es fünfzig bis sechszig kaufmännische Firmen, welche den Vertrieb der Erzeugnisse der Fabrik,- und Hausindustrie Sonnebergs und seiner Umgebung besorgen. Die großen Firmen sind in aller Welt dem Geschäftsmann bekannt, sodaß wir es unterlassen können, hier eine Anzahl der hervorragendsten derselben namentlich aufzuführen, auch abgesehen von der Schwierigkeit, diese Anzahl gerecht zu bestimmen.

Wie die Entwicklung der vielgestaltigen Hausindustrie des Meininger Oberlandes unmöglich gewesen wäre ohne die Rührigkeit des Sonneberger Großhandels, so würde dieser jetzt unmöglich sein ohne die Hausindustrie. Beide sind aus das Engste ebenso auf einander angewiesen, wie der im Gebirge wohnende Theil der Bevölkerung wiederum auf die Ausbeutung der Gaben des Gebirges durch diese Industrie angewiesen ist, um sich zum Leben die Mittel zu erwerben, die ihm Ackerbau, Viehzucht und andere Arbeit nicht bieten können. Man muß daher annehmen, daß beide sich gegenseitig nach allen Kräften zu stützen und zu heben suchen.

Daß dies nicht stets und früher oft noch weniger als in unseren Tagen immer der Fall war, wird durch den Umstand verschuldet, daß einen besonderen Einfluß auf den Arbeitspreis der „Kampf der Concurrenz“ beim Verschleiß sowohl als auch in der Fabrikation durch größeren Fabrikbetrieb oder Hausarbeit ausübt, und dies wirft oft einen tiefen Schatten ganz besonders auf einzelne Theile der Hausindustrie und ist in jüngster Zeit zu heftigem öffentlichem Ausspruche gekommen. Die Klagen der Arbeiter sind, wie die immer von Zeit zu Zeit ausbrechenden Nothzustände aus dem Thüringerwalde, schon oft Gegenstand öffentlicher Verhandlungen gewesen, doch so scharf, wie jetzt, noch nie auf den Kampfplatz gezogen worden. Wie sehr aber diese wichtige Angelegenheit uns auch mit aufregt, so dürfen wir dem Versprechen, das wir an dem Eingange dieses „Spaziergangs“ gestellt, nicht untreu werden. Die Darlegung dieses Kampfes gehört auf ein anderes Blatt, als auf dieses friedliche, das wir der Freude unserer Kinder gewidmet haben. Die Vernünftigen jeder Partei werden uns darin Recht geben.

Wir werden es daher vorziehen, wenn wir die Kinder in einige Mustersäle, Fabriken und namentlich einige Puppenmachereien der Hausindustrie geführt und wenn sie eine Anschauung von der Vielgestaltigkeit und Großartigkeit des Spielwaarengeschäfts gewonnen haben, mit ihnen an der zweithürmigen neuen Stadtkirche vorbei am Schönberg bis zu dem sogenannten „Luther-Wirthshaus“ hinaufzusteigen. Dieses alte Haus hat Jahrhunderte lang zu Judenbach an der Heerstraße gestanden und Kaisern und Fürsten, und auch dem Dr. Luther als Herberge gedient. Als es abgebrochen werden sollte, kaufte es Ad. Fleischmann, ließ es auf dieser Höhe wieder aufrichten und im Innern genau so ausstatten, wie es zu Luther’s Zeit gewesen. Und da im November dieses Jahres das vierhundertjährige Geburtsfest Luther’s gefeiert wird, so ist’s für die Kinder gewiß anziehend und lehrreich, zu sehen, wie einfach sich damals die mächtigsten Herren auf ihren Reisen oft behelfen mußten, und wie ein Haushalt für die Männer der Reformation eingerichtet war (vergl. übrigens auch hier den schon oben citirten Jahrg. 1874, Nr. 30 der „Gartenlaube“).

Vor diesem Wirthshause wird es den Kindern auch klar, welch reizender und gesunder Lage sich die Stadt Sonneberg erfreut. Gegen Norden von den südlichsten Ausläufern des Thüringerwaldes, an die sie sich anlehnt und zwischen die sie einst hineinkroch, geschützt, und gegen Süden die gesegneten Fluren Frankens vor sich und von der herrlichsten Waldluft umgeben, war diese Stadt von Anbeginn zum Luftcurort berufen, der sie auch wirklich in diesem Jahrhundert[2] noch geworden ist. Nicht weniger anlockend ist von jeder der umliegenden Höhen der Blick in die Ferne: dort ist in der That „wie ein Garten das Land zu schauen“, geschmückt mit Wäldern und Höhen, belebt von Städten und Dörfern und begrenzt von Gebirgszügen vom Fichtelgebirge bis zur Rhön, aus denen Schlösser, Capellen und Burgen emporragen;


  1. Vergl. „Gewerbe, Industrie und Handel des Meininger Oberlandes in ihrer historischen Entwickelung.“ Von Commerzienrath A. Fleischmann. (Hildburghausen 1878, S. 156)
  2. Durch Sanitätsrath Dr. Richter, dessen Anstalt die Curen auch im Winter fortsetzt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_296.jpg&oldid=- (Version vom 31.12.2023)