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verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Bogen zählte; an einigen der letztern waren Mühlen angebracht, auf den Pfeilern standen hier und da Thürme oder Häuser; der erste und letzte Bogen war eine Zugbrücke, Die Widerlage des fünften Bogens ruhte auf einer (nun längst verschwundenen) Insel, die mit Häusern bebaut und mit Bäumen bepflanzt war; auf der Hälfte stromaufwärts, Motte-Saint-Antoine genannt, stand eine Capelle, zu welcher ein Hospiz gehörte, das fremde Bettler nur vierundzwanzig Stunden beherbergte, bei Strafe des Stranges, wenn sie nicht weiter zögen; das Hospiz stand auf der andern Seite der Chaussee und war mit der Capelle durch ein befestigtes Thor, die Bastille Saint Antoine, verbunden; die untere Hälfte der Insel hieß Motte-des-Poissonniers und war von Fischern bewohnt. Zwischen dem elften und zwölften Bogen erhob sich auf der östlichen Seite ein Kreuz von vergoldeter Bronze, la Belle-Croix genannt, mit vier Basreliefs, das ein Bürger 1407 auf seine Kosten hatte errichten lassen. Auf dem Platze, wo hier die Brücke ausmündete und den 1429 das von Jeanne erstürmte Bollwerk einnahm, wurde am 8. Mai 1817 ein monumentales Kreuz, la Croix des Tourelles, errichtet; es ist die vorzugsweise heilige Stätte, denn hier war es, wo die Jungfrau im Kampfe verwundet worden war. Bis hierher geht noch alljährlich die Procession.

Von diesem Tage an, wo Jeanne Orleans befreit und den übermüthigen Feind zum ersten Mal so tief gedemüthigt hatte, erhielt sie durch den Mund des Volkes, der die Kunde ihres Sieges von Ort zu Ort trug, den Namen, der ihr seitdem in der Geschichte geblieben ist: die Jungfrau von Orleans, la Pucelle d’Orléans nach mittelalterlicher Redeweise (die Jungfer), wie auch die Stadt seitdem oft la ville de la Pucelle genannt wird; in der Poesie erhielt sie zuweilen nach ihrem Geburtsort den idealeren, unserem „Jungfrau“ entsprechenden Namen la Vierge de Domremy.

Als Jeanne auf dem Scheiterhaufen zu Rouen am 31. Mai 1431 ihr reines dem Vaterlande geweihtes Leben geendet hatte und die Kunde von ihrem Tode nach Orleans gedrungen war, ergriff Entsetzen die Bürger; am Jahrestage desselben ließ die Stadt ein feierliches Todtenamt für die Ruhe ihrer Seele halten. Dieser Gottesdienst wurde bis zum Jahre 1439 alljährlich erneuert. Im Jahre 1440 kam Jeannens Mutter, Isabelle Romée (ihr Vater war bald nach ihrer Hinrichtung vor Gram gestorben), nach Orleans, wo sie bis zu ihrem Tode (28. November 1458) verblieb; sie erhielt von der Stadt eine Pension. Jeanne war als Zauberin und Ketzerin verurtheilt worden; im Jahre 1450 richteten daher ihre Mutter und Brüder an den Papst das Gesuch, eine Revision des Processes zu verordnen. Dies geschah; unter den Zeugen, die zur Vertheidigung der Märtyrerin aussagten, war auch Charlotte, die Tochter des Schatzmeisters, Jeannens Bettgenossin, jetzt sechsunddreißig Jahre alt und mit Guillaume Havet verheirathet; 1456 wurde endlich die Rehabilitation der Jungfrau in Rouen und am 28. Juli auch in Orleans verkündet.

Mit der Ehre ihrer Retterin erkannten die Bürger die Ehre ihrer eigenen Stadt gerechtfertigt, und sie beschlossen voll dankbarer Begeisterung der Märtyrerin in ihrer Stadt ein Denkmal zu errichten. Frauen und Jungfrauen von Orleans beraubten sich zur Bestreitung der Kosten all ihrer Kleinodien und Ersparnisse, um das Gedächtniß des verehrten Mädchens zu verherrlichen, und so erhob sich denn im Jahre 1458 auf dem dritten Brückenpfeiler von der Stadt aus auf der linken Seite das erste Monument der Jungfrau. Wir geben eine Abbildung davon. Es war für jene Zeit nichts Geringes, auf einem Sockel vier Personen in fast Lebensgröße in Bronzeguß herzustellen; auch ist dies Denkmal eines der ersten dieser Art in Frankreich. Die Figuren hatten in künstlerischer Hinsicht etwas Steifes, Unbeholfenes, aber der naive Sinn der gläubigen Menschen dieser Epoche begnügte sich mit dem symbolischen Ausdruck. Da die Jungfrau als Gotteslästerin verbrannt worden war, so mußte auch das Denkmal zu Ehren der Rehabilitirten einen religiösen Charakter tragen; in der Mitte ragte das Kreuz mit dem Erlöser empor, bei ihm weint seine Mutter Maria, zu seiner Rechten kniet König Karl der Siebente, zu seiner Linken die Jungfrau.

Aber gerade dieser religiöse Charakter war dem Denkmal im folgenden Jahrhundert gefährlich. Die Hugenotten, die in allen kirchlichen Kunstgebilden nur Götzendienerei sahen, stürzten im October 1567 das Crucifix um und verstümmelten die Figuren, von der Jungfrau blieben nur die Beine, Arme und Hände übrig. Im Jahre 1571 beauftragten die Schöffen von Orleans einen Gießer der Stadt, Hector Lescot, mit der Restauration des Monuments, das jetzt insofern eine Veränderung erlitt, als Maria, am Fuße des Kreuzes sitzend, den Leib ihres Sohnes auf dem Schooße haltend dargestellt wurde. Erst jetzt wurde auf dem Kreuze der Pelikan angebracht, den das mitgetheilte Bild schon auf dem ursprünglichen Denkmal darstellt.

Nach und nach drohte die alte Brücke den Einsturz, so brach man denn 1755 das Denkmal ab und legte es in einem Winkel des Stadthauses nieder. Erst sechszehn Jahre später, 1771, wurde es wieder aufgerichtet, diesmal aber nicht auf der neuen, 1760 vollendeten Brücke, sondern auf einem kleinen Platze der von der Brücke auslaufenden Rue Royale oder Nationale, ungefähr der Kathedrale gegenüber.

Da brach die große Revolution aus, die alle Denkmäler und Sinnbilder der Kirche und des Königthums vom französischen Boden wegfegen wollte. Auch das Denkmal der Jungfrau fiel dem Hasse des Volkes gegen alles Königliche zum Opfer, denn „le monument des Charles VII“ wurde es genannt; umsonst machte der Gemeinderath geltend, daß es „kein Sinnbild der Feudalität, sondern ein Zeichen der Dankbarkeit gegen das höchste Wesen, ein Zeugniß der Tapferkeit der Vorfahren wäre, welche die französische Nation von dem Joche befreit hatten, das die Engländer ihnen auferlegen wollten“; ein Gesetz vom 14. August 1792 hatte vorgeschrieben, daß alle Denkmäler und Inschriften aus Bronze zum Guß von Geschützen verwandt werden sollten, und so mußte auch der Gemeinderath am 21. September verordnen, daß die Figuren des Denkmals der Jungfrau von Orleans in Kanonen umgeschmolzen werden sollten, daß aber, „um das Andenken zu wahren“, eine dieser Kanonen den Namen „Jeanne d’Arc, zubenannt die Jungfrau von Orleans“ tragen sollte. Die Eisenstäbe des Gitters wurden zu Piken umgewandelt.

Im Jahre 1824 hatten die Missionäre, die in Orleans predigten, den Gedanken, eine Subscription zu eröffnen, um das alte Denkmal wieder aufzubauen, er kam aber nicht zur Ausführung.

In dieser Zeit der Umwälzung, wo die Retterin der französischen Nationalität in Frankreich selbst vergessen war, schuf Schiller in Deutschland sein Drama, um das Bild des heiligen Mädchens von dem Schimpfe zu reinigen, den der witzigste Geist Frankreichs, Voltaire, ihm angethan hatte. Nur in Orleans selbst war die Jungfrau nie vergessen, und so beschloß denn der Gemeinderath 1803, das alte Denkmal durch ein neues auf einem öffentlichen Platze der Stadt zu ersetzen. Der General Bonaparte als erster Consul genehmigte das ihm vorgelegte Gesuch, der Kampf zwischen England und Frankreich war ja damals auf’s Neue entbrannt, und der Bildhauer Gois wurde mit der Ausführung beauftragt.

Aber konnte jene Epoche den mittelalterlichen Geist begreifen? Von der religiösen Begeisterung der Jungfrau erkennt man in dem Denkmal, das 1804 im Hintergrunde des Hauptplatzes der Stadt errichtet wurde, keine Spur; auch das Costüm entspricht nicht der geschichtlichen Wahrheit. Die vier Basreliefs des Piedestals sind einfach, doch nicht ohne künstlerischen Werth.

Am getreuesten von allen Künstlern hat eine Prinzessin von Orleans, Maria, Tochter Ludwig Philipp’s, die mit einem Prinzen von Württemberg sich vermählte, das Bild der Jungfrau getroffen, es ist, als ob nur ein weibliches Herz dies weibliche Heldenthum voll religiöser Innigkeit hätte verstehen und wiedergeben können. Das Original dieser Statue in Marmor steht in Versailles, Ludwig Philipp schickte 1841 eine Copie in Bronze an die Stadt Orleans; nach der Restauration des Stadthauses wurde sie hier 1851 zwischen dem Geländer der Ehrentreppe aufgestellt.

Das Werk des Bildhauers Gois genügte zuletzt der geschichtlichen Erkenntniß eines späteren Geschlechtes nicht mehr. Als 1840 die neue effectvolle Straße eröffnet ward, die den vollen Anblick der Façade der Kathedrale gewährt und die den Ehrennamen Jeanne d’Arc erhielt, wurde im Gemeinderath der Wunsch laut, das Gedächtniß der Jungfrau durch ein Denkmal geehrt zu sehen, das der Dankbarkeit der Bürgerschaft einen würdigen Ausdruck leihe.

Der Bildhauer Foyatier erbot sich 1845 dasselbe auszuführen, aber sein Modell ward zu einfach befunden; nicht zu Fuß, sondern zu Pferd sollte die Befreierin dargestellt werden. Demgemäß wurde auch ein Beschluß gefaßt; da aber die Kosten die Mittel der Stadt überstiegen und „in Erwägung, daß ein solches

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verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1883, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_290.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2023)