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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

alte düstere Ernst darin, aber die Müdigkeit, die tödtliche Gleichgültigkeit war verschwunden und mit ihnen auch die starre, todte Ruhe, die so unheimlich und erkältend berührte. Es stand jetzt ein Zug tiefster Bitterkeit dort, aber auch ein Zug unleugbarer Energie. Die Augen waren noch träumerisch verschleiert, aber trotzdem leuchtete etwas darin, wie der Wiederschein einer Flamme, die sich hinter dem Schleier barg. Man sah es, der Mann hatte sich emporgerafft aus seinem Hinbrüten; er war erwacht, vielleicht zu Qual und Kampf, zu Schmerz und Bitterkeit, aber doch zum Leben erwacht.

„Du siehst, ich bin gekommen,“ nahm er wieder das Wort. „Was hast Du mir zu sagen?“

„Ich habe eine Bitte an Dich!“ sagte Anna hastig und gepreßt. „Ich fürchtete, daß ein Brief allein Dich nicht bewegen würde, deshalb bin ich selbst gekommen – verlaß Werdenfels!“

Raimund schien gerade diese Bitte am wenigsten erwartet zu haben, aber ohne nur einen Augenblick zu zögern, antwortete er mit voller Bestimmtheit:

„Nein.“

„Aber Dein Leben ist dort in Gefahr,“ mahnte Anna dringender. „Bis jetzt sind die Anschläge mißglückt, aber wenn Du fortfährst, Dich ihnen so auszusetzen, werden sie ihren Zweck erreichen. Kehre nach Felseneck zurück, geh’ auf Reisen, geh’ wohin Du willst, nur verlaß Werdenfels!“

„Um mich wieder als Feigling verachten zu lassen? Nein, diesmal bleibe ich und fechte den Kampf durch, bis zum Ende. Die Furcht war es nicht, die mich das erste Mal zwang, ihn aufzugeben, das solltest Du am besten wissen. Jetzt habe ich nichts mehr zu gewinnen, aber auch nichts zu verlieren, als höchstens das Leben, und der Verlust wiegt wahrlich leicht genug.“

„Aber wenn ich Dich bitte, Raimund! Wirst Du auch meine Stimme nicht hören? Ich habe Dich gerufen, ja, aber ich konnte ja nicht ahnen, daß Dir das bereitet war, als ich Dich zu der Welt und den Menschen zurückrief. Ich hoffte auf Versöhnung, ich glaubte wenigstens an einen offenen ehrlichen Kampf. Jetzt flehe ich Dich an, zu weichen, den Mordanschlägen zu weichen, die Dich auf Schritt und Tritt bedrohen. Wozu willst Du Dich dem wahnsinnigen Hasse dieser Menschen preisgeben, Du siehst es ja, wessen sie fähig sind. Sie werden nicht ruhen, bis Du ihnen wirklich zum Opfer fällst.“

Es war eine leidenschaftliche, angstvolle Bitte, aber sie schien abzugleiten an der kalten Bitterkeit, womit Werdenfels sich gewaffnet hatte.

„Nun, und wenn ich falle!“ fragte er. „Wen kümmert das? Vilmut und seine getreue Gemeinde werden darin nur die Vollstreckung eines verdienten Urtheils sehen. Paul wird durch meinen Tod Herr von Werdenfels. Ich glaube, daß er wahre Anhänglichkeit für mich hegt, aber das reiche Erbe wird ihn bald genug über meinen Verlust trösten, und Du – athmest vielleicht auf, wenn mit mir die Erinnerung an eine Vergangenheit erlischt, die sich bisweilen noch mahnend und quälend in Dein Leben drängt.“

„Raimund!“

Es war ein halb zürnender, halb vorwurfsvoller Ausruf. Raimund hielt inne, und seine eben noch so herbe Stimme verschleierte sich, als er fortfuhr:

„Oder würdest Du um mich weinen? Hättest Du wirklich noch eine Thräne für mich übrig?“

Die junge Frau hob das Auge zu ihm empor, und die heiß aufquellenden Thränen darin gaben ihm die Antwort, noch ehe die Lippen sie aussprachen:

„Dir liegt nichts mehr an dem Leben? Nun denn, so denke an mich und meine Angst! Schütze Dich – um meinetwillen!“

Eine leichte Röthe floß über das Antlitz des Freiherrn, es flammte darin auf, wie ein Wiederschein der Jugend und des Glückes, er trat rasch einen Schritt vor, als wolle er diesen thränenumschleierten Blick und diese bebenden Worte festhalten.

„Um Deinetwillen, Anna? Kennst Du Deine Macht so gut? Und Du weißt es doch nicht ganz, was Du mir einst gewesen bist. Der einzige Sonnenstrahl in einem Leben voll Nacht und Verzweiflung, das einzige Glück, das sich zu mir herniederneigte, um wie ein Traum zu verschwinden, als ich es in die Arme schließen wollte. Ich wähnte, das Alles sei untergegangen in der Bitterkeit unserer Trennung, und doch ist es bei mir gewesen in all den Jahren meiner Einsamkeit, und doch hat es mich allein im Leben festgehalten. Du hast es auch nicht überwunden, Du kannst auch nicht loskommen von der Vergangenheit. Anna – muß der Traum denn zu Ende sein? Kann er uns nie zur Wirklichkeit werden?“

Es war ein längstverschollener Klang, der aus diesen Worten hervorwehte, verschollen, aber nicht vergessen! Mit diesem Tone hatte einst Raimund um die Geliebte geworben, und das waren auch wieder seine Augen, mit der alten schwärmerischen Gluth, mit jenem strahlenden Aufleuchten, das die düsteren Tiefen auf einmal sonnenhell erscheinen ließ. So hatte er sich damals den Weg gebahnt zu dem Herzen des jungen Mädchens, dem man gelehrt hatte, das Leben nur als eine Kette harter, strenger Pflichten anzusehen, und das nun zum ersten Male die Seligkeit dieses Lebens kennen lernte. Wohl war der Traum kurz gewesen, aber er schloß doch ein grenzenloses Glück ein, und die stolze, willensstarke Frau erlag noch jetzt seinem Zauber. Widerstandslos lauschte sie den alten süßen Klängen und hatte weder die Kraft noch den Willen zu einem harten Nein.

Raimund war an ihre Seite getreten, jetzt beugte er sich leise nieder und ergriff ihre Hand, um sie in die seinige zu schließen, aber diese Berührung löste den Bann. Anna zuckte zusammen, als habe sie ein glühendes Eisen getroffen, mit einer unzweideutigen Bewegung des Schauders, des Entsetzens stieß sie die Hand von sich und wich zurück.

Werdenfels war todtenbleich geworden, das Leuchten in seinen Augen erlosch, und die alte Starrheit legte sich wieder schwer und kalt über seine Züge.

„Du hast Recht!“ sagte er dumpf. „Ich vergaß – was uns trennte.“

Die junge Frau schien sich jetzt erst bewußt zu werden, wie tief ihre Zurückweisung getroffen hatte.

„Vergieb,“ sagte sie tonlos. „Ich wollte Dich nicht kränken, es geschah unwillkürlich –“

„Daß Du mich zurückstießest! Gewiß! Die Regung war unwillkürlich und eben deshalb wahr. Ich weiß genug – lassen wir die Vergangenheit in ihrem Grabe.“

Anna strebte sichtbar, sich zu fassen, und es gelang ihr auch die verlorene Selbstbeherrschung wiederzufinden, sie wurde ruhiger, und jetzt war sie es, die dem Freiherrn nahte.

„Sei offen gegen mich, Raimund!“ sagte sie ernst und bittend. „Was enthielt jener Brief, den Du mir bei der Trennung sandtest? Du hast mir die Auskunft verweigert, und doch fühle ich, daß es eine Erklärung, eine Vertheidigung war. Vielleicht war ich ungerecht gegen Dich, vielleicht habe ich zu schnell verurtheilt. Sage mir die Wahrheit, ich – will nicht mehr davor zurückbeben.“

Sie machte eine Bewegung, wie um die Hand auszustrecken, aber Werdenfels hob die seinige nicht und seine Haltung blieb starr und eisig, als er antwortete:

„Das ist zu spät! Deine Empfindung hat zu deutlich gesprochen, ich täusche mich nicht mehr darüber, auch wenn Du selbst Dich täuschen wolltest. Du würdest Dich vielleicht überwinden und mir die Hand reichen, wenn Du alles wüßtest, aber ich würde in jedem Lächeln, in jedem Händedruck den Schauder und das Entsetzen fühlen, das nur Deine Willenskraft niederzwingt, und das wäre mir eine Hölle, schlimmer als all der Haß, den ich ertragen habe. Du wolltest mich damals nicht hören, als ich alles daran setzte, von Dir gehört zu sein, Du rührtest nicht einmal die Hand, als Vilmut mein Bekenntniß den Flammen überlieferte – nun denn, so laß es auch darin begraben sein!“

Die Worte trafen, Anna senkte das Haupt, aber sie machte keinen ferneren Versuch, ihm das Geheimniß zu entreißen, erst als er sich zum Gehen wandte, fragte sie mit wieder erwachender Angst:

„Und Du willst Werdenfels nicht verlassen?“

„Nein! Du hast mich auf den Kampfplatz gerufen, jetzt werde ich ihn behaupten. Mag Vilmut die ganze Bevölkerung gegen mich hetzen, mögen sie das Aergste versuchen, ich will ihnen nicht weichen, und ich weiche nicht, verlaß Dich darauf!“

Er ging und die Thür fiel hinter ihm zu. Das war nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_286.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2024)