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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

denn ich sehe, wie noth das thut. Werfen Sie mir nur den Fehdehandschuh hin, ich nehme ihn auf, und es soll ein frischer fröhlicher Krieg werden!“

Der ganze kecke Trotz der Jugend sprach aus diesen Worten, aber sie verriethen doch mehr, als nur jugendlichen Uebermuth, es lag eine Energie darin, die ihre Wahrheit verbürgte.

Das mochte auch Vilmut fühlen, denn seine Augen hafteten auf dem jungen Manne mit einem Ausdruck, als wolle er die Stärke des Gegners abschätzen. Dann aber sagte er mit jener eisernen Ruhe, die nicht zu erschüttern war:

„Sie sind sehr aufrichtig, Herr von Werdenfels! Jedenfalls weiß ich nun, was ich von dem neuen Gutsherrn von Buchdorf zu erwarten habe, und werde mich darnach richten. Für den Augenblick stehen Sie noch als Gast unter dem Dache meines Hauses, sonst –“

„Bemühen Sie sich nicht, ich gehe schon!“ fiel Paul ein. „Aber eines bitte ich Sie doch Ihren Bauern mitzutheilen. Ich halte es nach den letzten Vorfällen für nothwendig, einen geladenen Revolver bei mir zu führen, und wenn einer von der Mordbande sich wieder an meinen Onkel wagt, so schieße ich ihn ohne Weiteres nieder. Wir sind jetzt im Stande der Notwehr, da denke ich das vertreten zu können!“ und mit einem kurzen, stolzen Gruße, welcher nicht erwidert wurde, verließ Paul das Zimmer.

Draußen im Hausflur blieb der junge Mann noch einige Secunden stehen, um die Erregung niederzukämpfen, wie er sich sagte, aber sein Blick, der so sehnsüchtig auf der gegenüberliegenden Thür haftete, gab eine andere Erklärung für dies Zögern; dann aber, wie unwillig über sich selbst, warf er den Kopf zurück und wandte sich zum Gehen.

Da wurde jene Thür leise geöffnet und ebenso leise wieder geschlossen. Eine zierliche, leichte Gestalt glitt heraus, und in der nächsten Minute stand Lily vor dem jungen Baron, der bei ihrem Anblick freudig überrascht auffuhr.

„Fräulein Vilmut! Wie sehr habe ich die Gelegenheit gesucht, Sie nur einen Augenblick zu sehen, zu sprechen!“

Lily blickte mit leuchtenden Augen zu ihm auf und streckte ihm zutraulich die Hand entgegen, während sie mit gedämpfter Stimme, aber aus Herzensgrunde sagte:

„Ich danke Ihnen, Herr von Werdenfels! O, ich danke Ihnen!“

„Wie? Wofür denn?“ fragte Paul befremdet, aber dies Befremden hinderte ihn nicht, schleunigst die dargebotene Hand zu ergreifen und festzuhalten.

„Dafür, daß Sie dem Vetter Gregor endlich einmal die Wahrheit gesagt haben! Das wagt sonst Niemand, und deshalb dünkt er sich unfehlbar. Aber Sie haben ihn gründlich abgekanzelt, gerade so, wie er mich immer abkanzelt, und das freut mich, dafür danke ich Ihnen, das geschieht dem Gregor recht – ganz recht!“

Und Fräulein Lily stampfte mit den Füßchen und machte eine kleine Faust nach der Richtung des Studirzimmers.

Es war eine sehr kindische Zustimmung zu seiner Kriegserklärung, aber Paul war ganz entzückt darüber, und während er die Hand küßte, die noch immer in der seinigen lag, fragte er lächelnd:

„Sie erschrecken also nicht vor meiner Ketzerei? Sie, die Cousine des gestrengen Herrn Pfarrers!“

„In unserem Institut war man sehr freisinnig,“ erklärte Lily mit Selbstgefühl. „Deshalb war auch Gregor von Anfang an dagegen, er wollte mich zur Erziehung in ein Kloster stecken, aber Anna litt das nicht. Ich bin ganz Ihrer Meinung, Herr von Werdenfels! Ich fürchte mich auch nicht vor der geistlichen Ruthe, räumen Sie in Ihrem Buchdorf nur damit auf. Ich wollte, ich könnte Ihnen dabei helfen!“

„Ja, das wollte ich auch!“ fuhr Paul unwillkürlich heraus.

Seine kleine Vertraute war ihm nie so reizend erschienen, wie in diesem Augenblick, wo sie in voller Rebellion gegen den strengen Vetter mit heißgerötheten Wangen dastand.

Er beugte sich zu ihr nieder, und ihr tief in die Augen sehend, sagte er leise:

„Fräulein Lily, wir haben uns lange nicht gesehen – haben Sie denn bisweilen an mich gedacht?“

Um die Lippen des jungen Mädchens zuckte ein schelmisches Lächeln.

„Dafür haben Sie schon gesorgt. Sie schrieben mir ja oft genug.“

„Ich schreibe morgen wieder!“ rief Paul eifrig. „Ich werde Ihnen schriftlich alle meine Reformpläne hinsichtlich Buchdorfs aus einander setzen, und Sie werden mir umgehend antworten, nicht wahr?“

In der Wohnung des Pfarrers hörte man eine Thür öffnen und schließen, und Fräulein Lily, die so tapfer bei den Reformplänen und bei der Rebellion mithelfen wollte, fuhr erschrocken zusammen.

„Ich muß fort,“ flüsterte sie. „Wenn Gregor zufällig käme –“

„Dann gnade Gott uns Beiden!“ fiel Paul lachend ein. „Aber Sie haben Recht, auch ich darf nicht länger bleiben. Leben Sie wohl, Lily, und vergessen Sie mich nicht ganz!“

Er hatte ihre Hand bereits zum zweiten Male geküßt, jetzt unterzog er sich nochmals dieser Beschäftigung, ehe er wirklich ging. Lily sah ihm eine ganze Weile nach.

„Vergessen Sie mich nicht ganz!“

Das klang so innig und bittend, und eigentlich verstand es sich doch von selbst. Aber wie seltsam weich hatte er ihren Namen ausgesprochen und wie tief hatte er ihr dabei in das Auge gesehen!

In dem jungen Mädchen begann zum ersten Male eine Ahnung aufzudämmern, daß dieser Blick und Ton nicht blos der Vertrauten, der Trösterin galt, als welche sie sich bisher ausschließlich betrachtet hatte.

Lily erschrak bei dem Gedanken, und ihr Herz fing plötzlich so heftig an zu klopfen, daß sie die Hand darauf preßte, aber das half durchaus nichts, denn das Klopfen hörte nicht auf, und der Gedanke kam immer wieder, aber er verlor mehr und mehr das Erschreckende. Wenn Paul nun wirklich die Hoffnungslosigkeit seiner ersten Liebe eingesehen hatte – man fand ja allgemein, daß die beiden Schwestern einander so sehr glichen, vielleicht fand er es auch.

Mit gesenkten Augen und glühenden Wangen kehrte Lily in das Zimmer zurück. Sie fand Anna nicht mehr dort, und auch die zweite Verbindungsthür war jetzt geschlossen; diesmal drang kein Laut herüber von dem Gespräche, das dort drüben geführt wurde, aber das junge Mädchen dachte auch nicht mehr an das Lauschen, sondern warf sich, froh des Alleinseins, in den großen Lehnstuhl und begann zu träumen.

Vilmut ging mit tief verfinstertem Gesichte in dem Studirzimmer auf und nieder, ganz beschäftigt mit den Besorgnissen, die jenes Gespräch in ihm wach gerufen hatte. Er sah in dem für so unbedeutend und leichtsinnig gehaltenen jungen Manne einen gefährlichen Gegner erstehen, und was ihm Macht gab über den Herrn von Werdenfels, das existirte nicht für den Gutsherrn von Buchdorf, der stand ihm frei gegenüber, und er hatte soeben gezeigt, daß er diese Freiheit brauchen werde.

Da wurde unvermuthet die Thür geöffnet und Anna erschien. Sie trat vor den Pfarrer hin, der aus seinem Nachdenken auffuhr, und sagte ohne jede Einleitung, mit athemlos gepreßter Stimme:

„Siehst Du es nun endlich ein, Gregor, wohin dieser unselige Streit geführt hat?“

„Du hast gehört, was wir sprachen?“ fragte Gregor mit scharfem Tadel.

„Unfreiwillig! Eure Stimmen tönten ja so laut, daß jedes Wort vernehmbar wurde. Also so weit ist es bereits gekommen, Raimund’s Leben ist bedroht, man will ihn tödten!“

„Den Freiherrn von Werdenfels meinst Du!“ sagte Vilmut eifrig. „Du hörtest ja, daß ich seinem Neffen das Versprechen gab, diesen Angriffen ein Ende zu machen.“

„Wenn das noch in Deiner Macht steht! Ich fürchte, es ist zu spät dazu.“

Ein stolzes, halb verächtliches Lächeln kräuselte Vilmut’s Lippen bei diesen Worten.

„Meine Pfarrkinder sind gewohnt, meinem Worte zu folgen, sie werden auch diesmal gehorchen.“

„Und sie haben Dir doch diesmal verschwiegen, was der junge Baron Dir soeben enthüllte. Du wußtest nichts davon, Du, der sonst Alles weiß und erfährt, was im Umkreise von Werdenfels geschieht. Du hast die Geister des Hasses und der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_270.jpg&oldid=- (Version vom 31.12.2023)