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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

er fürchtete sich schließlich selbst vor den Geburten seiner Phantasie. Und wie es seinem Schwesterlein, die natürlich auch hier seine Vertraute war, gegruselt haben mag, das können wir uns wohl denken! Gerade in jener Zeit aber sprießen zwischen all den Kindereien leise, leise die ersten Keime männlichen Denkens bei unserm Helden hervor.

Einmal trug er der Cäcilie eine dämonische Stelle vor, in der ein Lebender auf einen Geist zuschreitet. Da ruft ihm die dumpfe Grabesstimme ein Zurück: „Rühre mich nicht an; denn meine Nase zerfällt in Staub, sowie man sie anfaßt.“ Meine Mutter behauptet, daß ihr das schon damals ein wenig sonderbar vorkam. Bald darauf besuchte eine Freundin den jungen Poeten.

„Wie geht’s mit dem Trauerspiel?“ frug sie.

„Nu, bis auf Einen hab’ ich sie Alle todt!“ war seine Antwort. Das sagt kein Kind. Das ist erwachende Selbstkritik. Auch äußerlich war ein Abschnitt in Wagner’s Leben eingetreten: seine Familie war nach Leipzig zurückgesiedelt. Das Suchen und Träumen des Knaben wich der geregelten Arbeit, dem geregelten Vorwärtsstreben des Jünglings. Er hörte Beethoven’s Musik – ihr Eindruck auf ihn war „allgewaltig“ und, was sich bisher nur leise flüsternd in den Zweigen geregt, die Liebe zur Musik, nun brach sie mächtig wie ein Lenzessturm hervor und fegte alle die Blätter vor sich hin, die in früheren Jahren erblüht und verwelkt waren. Noch wenige Lehrjahre, dann folgen die Jahre der Wanderschaft.

Das Schauspiel, das dann beginnt, ist ein wenig großartiger, als jenes mit den „zweiundvierzig“ Todten: das Schauspiel von Wagner’s Werden, das herrlich, wie nicht so leicht ein anderes, zeigt, wie der Genius auch aus dem ihm Fremdesten und Widerwärtigsten gerade das und das allein herausfindet, was ihn nährt, stärkt und stählt.

Hoffnungen und Enttäuschungen, und wieder Enttäuschungen und Hoffnungen, das ist der Inhalt der Jahrzehnte, welche folgen. Endlich sucht Wagner sein Glück im Ausland, zunächst in Riga, dann mit kühnem Entschluß in der Musikweltstadt Paris. Auch hier Enttäuschung und die Erkenntniß, daß es auch hier keinen Kampf der Talente giebt, sondern einen Kampf der Namen. Bald lebt er in Verhältnissen, die so ärmlich sind, daß er um des lieben Brodes willen Arbeiten übernimmt, die nicht viel besser sind, als Abschreiben, ja, daß er alles irgend Entbehrliche versetzen muß, selbst theure Andenken seiner Verwandten. Wohl tritt an ihn die Versuchung heran, es auch so zu machen, wie die Andern, dem Publicum zu schreiben, was ihm Spaß macht, und das, was er auf geradem Wege nicht erreichen kann, auf krummem Wege zu versuchen.

Aber er selbst erzählt uns, wie der Geist der deutschen Musik ihn schnell und kräftig über alles Schwanken emporträgt: Beethoven’s Klänge, die die Brust des reisenden Knaben wie Chöre des Himmels durchbebten; sie heben ihn wieder vom Staube der Erde empor – er sieht ihn noch, aber er fühlt ihn nicht mehr. Jener Stolz, jene gewaltige Energie, die wir an ihm bewundern, jetzt entwickelt sie sich. Er glaubt fortan felsenfest an sein Ideal; so sehr er am Gelingen des Einzelnen zweifeln mag, an den Sieg seiner Ueberzeugungen glaubt er fortan mit dem Glauben, welcher Berge versetzt.

Und endlich, endlich sollte ihm ja auch die erste Anerkennung kommen, der erste große Erfolg: die Aufnahme des „Rienzi“ zur Aufführung in Dresden. Auch der „Holländer“ nahte seiner Vollendung entgegen. Wie rührend sind Wagner’s Erzählungen aus jener Zeit, wie ergreifend ist der Bericht, in dem er davon erzählt, wie er sich nach langer Entbehrung endlich wieder – ein Clavier miethen konnte!

„Nachdem es angekommen, lief ich in wahrer Seelenangst umher, ich fürchtete nun entdecken zu müssen, daß ich gar nicht mehr Musiker sei. – Alles ging mir im Fluge von Statten und laut auf jauchzte ich vor Freude bei der innig gefühlten Wahrnehmung, daß ich noch Musiker sei.“

Meine Eltern, die damals mit Wagner in Meudon wohnten, waren bei jener ersten Probe zugegen. Es war in einem kleinen Landhaus, in einem Zimmerchen, dessen einzige Ausstattung jenes geliehene Piano und ein paar Stühle bildeten. Auch meine Eltern erzählen, daß Wagner „laut aufjauchzte vor Freude“, dann wandte er sich um:

„Hört, klingt das nicht nach etwas?“

Da klopfte es. Monsieur Jadin, der Hauswirth, ein altes Original, das Wagner selbst köstlich geschildert hat, schickte herauf. Er ließe bitten, solches Musiciren zu unterlassen. Das war die erste Kritik des – Spinnerliedes aus dem „Holländer“.

Doch der „Rienzi“ sollte in Dresden nun bald in Scene gehen. Wagner kehrte in die Heimath zurück.

„Ich kann es Euch nicht sagen, wie ich sie hasse, diese große kalte Fremde für unsere deutschen Herzen!“ schrieb er, als er die Grenze überschritten hatte, an meine Eltern. Und die Selbstbiographie seines ersten Lebensabschnittes schließt: „Zum ersten Male sah ich den Rhein – und mit hellen Thränen im Auge schwur ich armer Künstler meinem deutschen Vaterlande ewige Treue.“ Und allzu lange währte es nicht, da traf ein Briefchen in Paris bei meinem Vater ein. Es trägt das Datum vom 21. October 1842 – am 20. October 1842 war der „Rienzi“ zum ersten Male über die Bretter gegangen. Das Briefchen lautet:

„Na, liebste Kinder! In aller Eile und Abspannung muß ich Euch heute doch wenigstens mit einer Zeile melden, was gestern vorgefallen ist. Es wäre mir lieber, Ihr erführet es von einem Andern, denn ich muß Euch sagen, daß noch nie, daß, wie mir alle versichern, in Dresden zum ersten Male eine Oper mit solchem Enthusiasmus aufgenommen worden ist, wie mein ‚Rienzi‘. Es war eine Aufregung, eine Revolution durch die ganze Stadt; ich bin viermal tumultuarisch gerufen. Uebermorgen ist die zweite Vorstellung, schon auf die dritte sind alle Plätze genommen. Ich bin furchtbar ermüdet und abgespannt; nach der zweiten Vorstellung schreibe ich ausführlich. Die Aufführung war hinreißend schön – Tichatschek, die Devrient – Alles – Alles in einer Vollendung, wie man es hier noch nie erlebt. Triumph! Triumph! Ihr guten, treuen, lieben Seelen! Der Tag ist angebrochen! Er soll auf Euch Alle leuchten!“

Bei Gott, er hat auf uns Alle geleuchtet!

Und nun ist er todt. Was er gewirkt und geschaffen – ein jeder Berufene hat das Recht, es frei zu beurtheilen. Das jämmerliche Geschrei aber, mit der die Person des Mannes ihr Leben lang beschimpft ward, möge über seiner Gruft verstummen!




Züchtet Pilze!

Der eßbare Pilz, jener vielbegehrte Leckerbissen, um welchen der römische Dichter Martial „Gold und Silber und die Freuden der Liebe“ hingab – wenn auch nur in einem Epigramm – war bisher wohl eine eifrig gesuchte, doch nie eine gepflegte Himmelsgabe. Man brach ihn weg ohne Wahl und Qual, einfach wo und wie man ihn fand, und dachte nicht im Entferntesten daran, daß auch dem Pilze sozusagen eine Möglichkeit belassen werden muß, Nachkommen zu erzeugen, wenn die Ernte nicht ganz aufhören soll.

Freilich hat sich die grundgütige Mutter Natur in vielen Gegenden in diesem Punkt ohne die geringste Rache-Aeußerung mißhandeln lassen, in andern aber macht sich ihre Rache doch bemerklich, denn ganze Wälder haben aufgehört, die würzigsten aller Waldfrüchte dem rücksichtslosen Menschengeschlecht zu spenden. Glücklicher Weise finden sich jedoch immer einzelne freundliche Seelen, welche den stillen Bedürfnissen, den geheimen Neigungen der Natur mit Liebe und Eifer nachspüren, ihr Nachhülfen angedeihen lassen und sie dadurch zu tausendfacher Vergeltung der oft nur geringen Mühen sich verbinden. So ist auch das schüchterne und geheimnißvolle Waldkind, der Pilz, nach und nach in das Bereich der Culturpflanzen hereingezogen worden.

In Frankreich, wo die Feinschmeckerei mehr zu Hause ist, als bei uns, wachsen die Pilzculturen selbst wie die Pilze aus der Erde, und in Deutschland sind in Hannover und in Strehlen bei Dresden Pflanzstätten für Pilzzucht entstanden, die als Centralstellen für mancherlei Versuche im weiten deutschen Reiche gelten können. Als die Seele aber des neuen Culturzweiges ist die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_224.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2023)