Seite:Die Gartenlaube (1883) 219.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

zertreten wurde. Und mit diesem Herzen drängte ich Dich zu jenem Entschlusse, mit diesem Herzen traute ich Dich einem Andern an und sprach den Segen über Eure Häupter.“

Anna erwiderte keine Silbe, aber sie blickte mit einem Gemisch von Scheu und Bewunderung auf den Mann, der ebenso eisern und unbarmherzig, wie er Andere richtete, auch die Empfindungen seines eigenen Herzens niederzwang. Wohl sprach der Triumph über den errungenen Sieg aus jedem seiner Worte, aber diese Worte klangen so unbewegt, als läge ein Menschenalter zwischen ihm und jenen Kämpfen.

„Jetzt ist die Schwäche längst überwunden und begraben,“ fuhr er fort, „sonst hättest Du überhaupt niemals davon erfahren, aber ich wollte Dir an meinem Beispiel zeigen, was der Wille und das Bewußtsein der Pflicht vermag. Was mir die Pflicht gebot, das gebietet Dir die Schuld jenes Mannes. Aergert Dich Dein Auge, so reiß’ es aus! sagt die Schrift. Ich folgte diesen Worten – thu’ Du desgleichen!“

„Gregor, Du bist furchtbar in Deiner starren Größe,“ sagte die junge Frau mit einem leisen Schauer. „Ich bewundere sie, aber ich kann mich nicht zu ihr erheben.“

„So lerne es!“ versetzte er mit Nachdruck. „Du gehörst nicht zu den Schwachen, auch Dein Wille ist eine Macht, lerne sie gebrauchen. Die Gefahr, die ich für immer beseitigt wähnte, tritt Dir zum zweiten Male nahe, seit Werdenfels wieder in Deiner Nähe ist. Du wirst jeden Annäherungsversuch unerbittlich zurückweisen, hörst Du, Anna? Ich fordere es von Dir im Namen der Vergangenheit, im Namen jener Flammen, die vor vierzehn Jahren unser Dorf in Asche legten!“

Anna zuckte zusammen, aber sie widerstand nicht der schonungslosen Mahnung, stumm senkte sie das Haupt, und ebenso wortlos legte sie ihre Hand in die ausgestreckte Rechte Gregor’s. Ihm war das genug; denn er wußte, dies Gelöbniß werde gehalten werden.




Monate waren vergangen, der Winter hatte seine unbestrittene Herrschaft angetreten, die diesmal ungewöhnlich hart war. Es war ein stürmischer, eisiger Winter, der Alles in Schnee begrub und das Gebirge und dessen nächste Umgebung oft wochenlang ganz unwegsam machte. Die ärmere Bevölkerung litt schwer in dieser harten Jahreszeit und gerade auf den Werdenfels’schen Gütern gab es viel Noth und Elend. Der verstorbene Freiherr hatte trotz seines Reichthums nie auch nur das Geringste für seine armen Gutsangehörigen gethan, und sein Sohn hatte sich nach einigen mißglückten Versuchen, ihnen nahe zu treten, in die Einsamkeit zurückgezogen, wo er überhaupt nicht mehr nach dem Wohl und Wehe der Menschen fragte.

Jetzt war Raimund von Werdenfels freilich zurückgekehrt und schien dauernden Aufenthalt in seinem Stammschlosse nehmen zu wollen. Er fuhr zwar noch öfter nach Felseneck und blieb tagelang allein dort, aber der eigentliche Haushalt befand sich in Werdenfels, und die Abgeschlossenheit wurde dort nicht so streng aufrecht erhalten, wie droben in dem einsamen Bergschlosse.

Paul hatte mit Erlaubniß, ja auf ausdrücklichen Wunsch seines Onkels Besuche bei den Gutsnachbarn gemacht, die sehr zahlreich erwidert wurden. Man kam schon aus Neugier, um den vielbesprochenen Schloßherrn zu sehen, den indessen Niemand zu Gesicht bekam. Werdenfels zog sich persönlich von jedem Verkehr mit der Gesellschaft zurück und ließ sich stets durch Paul vertreten. Die Landleute dagegen sahen ihn öfter, denn er fuhr regelmäßig durch das Dorf, wenn er Felseneck besuchte, und zeigte sich auch bisweilen zu Pferde in der Umgegend. Selbst seine Unzugänglichkeit den Beamten gegenüber hatte theilweise aufgehört, er empfing nicht selten persönlich ihre Berichte. Es war, als versuche er langsam und allmählich wieder die Fühlung mit den Menschen zu gewinnen, die er so ganz verloren hatte.

Die Zimmer, welche der Freiherr bewohnte, lagen in der Hauptfront des Schlosses und waren von den ehemaligen Gemächern seines Vaters durch einen Salon getrennt, der in früheren Zeiten als Empfangszimmer benutzt worden war. Es war ein ziemlich großes Gemach, reich, aber ohne jene düstere Pracht eingerichtet, die in Felseneck vorherrschte. Durch die hohen Fenster fiel das Licht voll herein und das lebensgroße Bild des verstorbenen Freiherrn, das die Hauptwand schmückte, zeigte sich in bester Beleuchtung.

In dem Armsessel am Kamin saß Raimund von Werdenfels und hörte den Bericht des ersten Verwalters an, den er hatte rufen lassen. Paul, der soeben eingetreten war, stand neben seinem Onkel und folgte aufmerksam dem Gespräche. Der Freiherr wandte sich eben zu ihm und sagte erklärend:

„Es handelt sich um die Dammbauten, die sehr kostspielig sind, aber doch endlich in Angriff genommen werden müssen. Das Schloß und die Gärten sind hinreichend geschützt, das Dorf aber ist einem etwaigen Hochwasser schutzlos preisgegeben, und der Strom hat uns in diesem Herbste wieder eine drohende Mahnung zugerufen. Ich habe der Gemeinde den Vorschlag gemacht, die sämmtlichen Kosten zu tragen und einstweilen Erddämme aufführen zu lassen, damit einer möglichen Gefahr im Frühjahr vorgebeugt wird. Mit dem Eintritt der milden Witterung soll dann sofort der eigentliche Bau beginnen.“

Die Worte hatten nichts von der gewöhnlichen Theilnahmlosigkeit des Freiherrn, und die Zeichnungen und Pläne, welche neben ihm auf dem Tische lagen, zeigten, daß er sich eingehend mit der Sache beschäftigte. Auch Paul hielt eine der Zeichnungen in der Hand, die er mit großem Interesse betrachtete, und die beiden Herren waren so eifrig dabei, daß sie gar nicht die augenscheinliche Verlegenheit des Verwalters bemerkten, der sich verschiedene Male räusperte, ohne ein Wort hervorzubringen, endlich sagte er:

„Die Sache ist aber noch nicht geordnet, gnädiger Herr, es haben sich da noch verschiedene Schwierigkeiten ergeben –“

„Schwierigkeiten?“ fragte Raimund aufblickend. „Ich dächte, die Sache wäre vollkommen klar und einfach. Ich übernehme die Kosten und stelle meinerseits nicht eine einzige Gegenbedingung. Sie haben das betreffende Schriftstück doch der Gemeinde übergeben?“

„Schon vor einigen Tagen, und der Gemeindevorstand war in dieser Angelegenheit auch heute bei mir, aber – man weigert sich, das Anerbieten anzunehmen.“

Paul fuhr mit einer Bewegung der Entrüstung auf.

Raimund blieb ruhig sitzen, aber er erbleichte.

„Weigert sich?“ wiederholte er. „Aus welchem Grunde?“

„Herr Pfarrer Vilmut wird eine Petition bei der Regierung einreichen, von der man sich Erfolg verspricht. Man rechnet auf die Beihülfe des Staates, und ihren eigenen Antheil an den Kosten will die Gemeinde selbst bestreiten.“

„Sind die Leute denn von Sinnen?“ rief Paul heftig. „Da klagen sie fortwährend über die Armuth ihres Dorfes, die ihnen keine Schutzmaßregeln gestattet, und solch ein Geschenk, solch eine Wohlthat, die ihnen unverdienter Weise zufällt, weisen sie zurück? Das ist ja reine Tollheit!“

„Nein,“ sagte Raimund kalt, „es ist nur ein Beweis, daß Vilmut’s Macht noch größer ist, als die Geldliebe der Bauern. – Also an die Regierung will man sich wenden! Wenn da wirklich etwas bewilligt wird, so kann das Jahre dauern, und jedes Frühjahr kann die Gefahr bringen. Haben Sie das den Leuten nicht vorgestellt?“

„Gewiß, gnädiger Herr, aber sie blieben dabei – sie wollten –“

„Nun? Sprechen Sie nur frei heraus, Feldberg.“

„Sie wollten kein Gnadengeschenk, sie würden allein thun, was Noth wäre, und damit gaben sie mir dieses Schriftstück zurück.“

Er zog ein Papier hervor, das er dem Freiherrn überreichte; dieser nahm es, ohne einen Blick darauf zu werfen, seine Hand bebte dabei in nervöser Erregung, aber seine Züge blieben unverändert.

„So mag die Sache denn ihren Lauf nehmen,“ sagte er. „Lege die Zeichnungen bei Seite, Paul, Du hörst es ja, daß sie nicht mehr gebraucht werden. Und nun weiter, Feldberg, wie steht es mit der Unterstützung, welche ich für die Familie des verstorbenen Schullehrers bestimmt habe? Ist sie ausgezahlt worden?“

In dem Gesicht des Verwalters zeigte sich derselbe Ausdruck peinlicher Verlegenheit wie vorhin.

„Noch nicht, gnädiger Herr,“ erwiderte er. „Ich wollte erst Ihre Willensmeinung hören, denn die Hülfe scheint bei der Familie nicht mehr nöthig zu sein.“

„Sie sagten mir aber doch selbst, daß die Wittwe mit den Kindern sich in der größten Noth befindet, und gar keine Hülfsmittel besitzt.“

„Das war auch bei dem Tode des Mannes der Fall, aber jetzt ist Herr Pfarrer Vilmut eingetreten und wird selbst die nöthigen Mittel herleihen, um –“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_219.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2023)