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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Zunge stillhalten müssen, die Militärmusik und alle das Piano folternden Hände (empfehlenswerth für Berlin und Leipzig!) sind in den Bann gethan. In schwarze Mantillas gehüllt, schleichen die dunkellockigen Schönen von einer Kirche zur andern – und am Charfreitag scheint die ganze Stadt in einen einzigen langen Sühnegottesdienst versunken. In Sack und Asche legt man sich möglichst früh zu Bett, um am anderen Tage bei Zeiten an die Arbeit oder auf die Wanderschaft gehen zu können. Mit Sonnenaufgang wird es draußen rege, ein geheimnißvolles Schaffen beginnt auf Straßen und Plätzen, und der portugiesische Gamin opfert seine letzten zehn Reis, um zu den allgemeinen Vergnügungen beizusteuern. „Judas!“ heißt die Parole des Tages, und in tausend und aber tausend Variationen sieht man den Verräther erscheinen. Da ist kaum ein Haus, vor dem nicht auf einem Scheiterhaufen eine grotesk ausgeputzte Figur in Lebensgröße mit scheußlichem Gesicht und langem Barte ausgestellt ist. Und nicht allein an Häusern und Gärten finden wir sie, sogar hoch in der Luft an quer über die Straßen gezogenen Stricken hängen die phantastischesten Nachbildungen und Carricaturen des Verlorenen. Hier und da hat eine mitleidige Seele ihm sogar ein Weib zugesellt, damit er nicht allein sei in der Schreckensstunde, die ihm bevorsteht.

Die Menge drängt sich in den Straßen; Hoch und Niedrig, Alt und Jung ist auf den Beinen, Niemand will das Fest versäumen. Ungeduldig harrt Alles dem großen Moment entgegen. Da endlich kündet die Glocke der Sé, der schönen, stolzen Kathedrale, des Osterfestes Nahen, und nun entsteht ein beispielloser Lärm, ein Jauchzen, Jubeln, Lachen und eine Kanonade, die der von Metz und Sedan spottet. Die Bäuche der unglücklichen Opfer sind mit Pulver und Stroh gefüllt, sie explodiren mit furchtbarem Getöse, und gleich darauf wird der ganze Judas von den Flammen verzehrt.

In wenigen Minuten ist natürlich die ganze Stadt in den dicksten Qualm gehüllt, und die Geruchsnervenbesitzenden fliehen schleunigst nach Hause oder womöglich bis hinaus an’s blaue Meer, um wieder reine, schöne Luft zu athmen. Ist der Spaß vorbei, dann sieht es scheußlich aus auf den Straßen, und es ist ein gar schwierig Werk, während der wenigen Nachmittagsstunden der Stadt wieder einen festlichen Anstrich zu geben.

Das ist ein Ostersonnabend in Oporto. So Wunderliches er uns aber auch erleben läßt, wir finden doch wieder Schiller’s Wort bestätigt: „Hoher Sinn liegt oft im kind’schen Spiel.“ Franz Bach.     




Unsere Vermißtenlisten des vorigen Jahrganges der „Gartenlaube“ in den Nrn. 8, 20, 28, 30, 34 und 42 haben folgende Nachrichten erzielt:

1) G. H. Geißler aus Bautzen arbeitet seit December 1881 als Gehülfe in einer Schreinerei zu Köln, deren Principal dies mittheilte.

2) Eine Postkarte aus Meynmühle bei Wallsbüll im Kreise Flensburg bringt auch den Eltern Hartwigsen auf Meynfeld den seit drei Jahren verlorenen Sohn wieder; er hat währenddeß in der Nähe von Uetensen in Holstein als Knecht gedient.

3) Leopold Kirsch hat vom 14. September bis 2. October 1882 zu Wabeck im Braunschweigischen in Arbeit gestanden und ist dann weiter gewandert. Sein armer alter Vater wartet noch immer vergebens auf ihn.

4) Von Richard Liebich kam nach vier Jahren wieder ein Lebenszeichen an die Seinen.

5) Die alte Mutter des Müllers K. F. Mehnert aus Cunewalde empfing endlich von dem wiedergefundenen Sohne einen reuigen Brief.

6) Ueber Karl Meyer aus Eppinghafen bei Mülheim an der Ruhr ertheilte ein Landsmann, Herr Otto Koerbin in Hobarttown, die Nachricht, daß derselbe, nach mancherlei Diensten als Kellner, Eisenbahnarbeiter etc., jetzt Besitzer eines Wirthshauses und mehrerer anderer Häuser ist und als wohlbestellter Familienvater in jener Hauptstadt der australischen Insel und Kolonie Tasmania lebt. Da Herr Koerbin die Adresse desselben angab, so konnte der Vermißte außer durch die „Gartenlaube“ auch direct an seine Pflicht gegen seine alten Eltern erinnert werden, und auch er mußte nun bekennen, daß es „die reine Nachlässigkeit“ gewesen, wie bei so vielen Ausgewanderten, daß er die Seinen so lange ohne Nachricht von sich gelassen.

7) Der Schieferdecker Otto Müller ist in Folge unseres Ausrufs gefunden, wie seine Mutter, die Wittwe Müller in Schellenberg, uns freud- und dankvoll meldet.

8) Ebenso ist der Müller Gustav Neumann nach elf Jahren durch die „Gartenlaube“ veranlaßt worden, den Seinen wieder ein Lebenszeichen von sich zu geben, wie seine Schwester Emma uns mittheilt.

9) Ueber Constantin Sauter, den einzigen Sohn und die letzte Hoffnung einer armen Lehrerwittwe in Nieder-Dollendorf, die mit 250 Mark Jahrespension vier Kinder ernähren soll, erhielten wir die Nachricht, daß er als Mechaniker in Witten an der Ruhr in Arbeit stehe; leider kam unsere Postkarte an ihn als unbestellbar von dort zurück.

10) Der seit drei Jahren für seine Eltern[WS 1] verschollene Tischlergeselle Moritz Reinhold Schmidt aus Wilsdruff bei Dresden lebt wohlbehalten als Tischlermeister zu Thierbach bei Lobenstein im Fürstenthum Reuß j. L.

11) Der Schlossergeselle Schneider soll mit einem Schlosser Paul Rohkohl auf die Wanderschaft gegangen sein und der Aufenthaltsort Beider durch des Letzteren Eltern zu erfahren sein.

12) Aus Buenos Ayres benachrichtigt uns Herr W. Altgelt, daß der Maschinenbauer Rudolf Schultz aus Berlin 1880 die „Mina Marta“ verlassen, Seemann geworden und auf den Robbenfang in den dortigen Gewässern ausgefahren sei. Er versprach, weiter zu forschen, ob Schultz noch in Punta Arenas lebe.

13) Durch die Güte des Herrn Kaufmann Georg Wenzel in Schmalkalden haben wir die Adresse des Geschäftes erhalten, bei welchem Karl Schwartz in Australien zuerst in Arbeit getreten ist.

14) Der Schlossergeselle Georg Werner, welcher seinen letzten Brief 1878 aus Oldesloe nach Hause sandte, arbeitete darnach bei Schlossermeister Bernhard Müller in Sonneberg bei Coburg, wie dieser uns schreibt, diente hierauf drei Jahre als Soldat im 85. Regiment in Gotha und ging Ende September 1888 von Neuem auf die Wanderschaft.

15) Herr Lehrer F. A. Hager in Landwüst erfreut uns mit der Mittheilung, daß die Spur des vermißten Wilh. Wunderlich durch das deutsche Consulat in Odessa gefunden worden sei und nach Tiflis hinweise, wo nun weitere Nachfragen erfolgen. Wunderliche’s Mutter ist indeß im Gram der Sehnsucht nach dem Sohn gestorben; der alte Vater steht jetzt ganz allein.

18) Aus Wilhelmshaven erhalten wir über Hans Zinserling die Nachricht, daß derselbe allerdings als Bootsmannsmaat (Unterofficier) auf S. Maj. Schiff „Vineta“ gedient, in Port-Elizabeth beurlaubt an Land ging und nicht wiederkam. Unser Gewährsmann fügt aber hinzu, daß damals allen jungen Leuten die Köpfe voll waren von den Berichten über die Diamond fields und daß auch Zinserling ohne Zweifel dorthin geeilt sei und am sichersten in der Hauptstadt der Goldfelder, Kimberley, zu erfragen sein werde.

17) Nach dem zu Rondebosch (Cap der guten Hoffimng) gestorbenen Deutschen, dessen Name unbekannt geblieben, sind zwei Nachfragen, die eine aus Windsheim, die andere aus Hohenlimburg, erfolgt. Das Resultat ihrer Nachforschungen hoffen wir mittheilen zu können.

18) Zum Schluß kommt noch eine recht erfreuliche Nachricht, die wir, wenn auch außerhalb der alphabetischen Reihe, hier noch anführen müssen. Der Tapezierer Ernst Otto Müller, der Sohn der Wittwe Müller in Gotha, ist gefunden und hat, auf Anregung der „Gartenlaube“ von zwei Seiten zugleich dazu veranlaßt, seiner Mutter nach acht Jahren zum ersten Male wieder geschrieben. Er entschuldigt sein Schweigen damit, daß er auf keinen seiner Briefe von seinen Geschwistern eine Antwort erhalten habe. Allerdings waren diese Briefe, wohl wegen mangelhafter Adresse, stets als unbestellbar zurückgekommen. Er lebt im russischen Gouvernement Saratow, im Kreise Wolsk, als Sattler. Zwei deutsche Landsleute, die Herren A. Freyer und A. Knappe, sind ihm mit der „Gartenlaube“ in der Hand in’s Haus gerückt. Ueber den Erfolg schreibt uns Herr Ed. Schau in Gotha:

„Trotzdem ich schon manchem freudigen Ereignisse beigewohnt habe, so habe ich so etwas noch nicht gesehen, und kann ich Ihnen auch nicht beschreiben, welche Freude die Ankunft des Briefes vom Sohne aus dem fernen Rußland bei der Mutter hervorrief. Die alte Frau weinte und lachte, alles durch einander, und wußte gar nicht, auf welche Weise sie ihren Gefühlen Ausdruck geben sollte. Sie hat mir ganz besonders aufgetragen, Ihnen zu schreiben, daß sie ewig Ihre Schuldnerin bleibe und nicht wisse, auf welche Weise sie Ihnen gegenüber ihre Dankbarkeit beweisen solle.“

Dieser Beweis ist ja geschehen: kann uns ein reicherer Lohn zu Theil werden, als diese Freude eines Mutterherzens? Wahrlich, wenn es uns ein Mal in jedem Jahre gelingt, mit unserer Vermißtenliste eine solche Freude möglich zu machen, so sind wir für die wenigen Spalten, die wir ihr opfern, glänzend belohnt, und unsere Leser werden uns dieselben nicht als eine Raumvergeudung verargen. Und so wollen wir denn die Erfüllung unserer freiwilligen Verpflichtung, die vermißten Deutschen in aller Welt Enden zu suchen, auch in diesem Jahre von Neuem aufnehmen. Sind wir doch schon durch den Umstand dazu verpflichtet, daß die „Gartenlaube“ eben wegen ihrer Verbreitung über die ganze cultivirte Erde allein dazu befähigt ist.




Kleiner Briefkasten.

Mehrere Abonnenten in Weißenbach. Als Maß zur Bestimmung der Arbeitsleistung einer Maschine hat man die „Pferdekraft“ gewählt. Man versteht unter ihr eine Kraft, welche nöthig ist, um in einer Secunde eine gewisse Anzahl von Pfunden einen Fuß hoch oder eine Anzahl von Kilogrammen einen Meter hoch zu heben. So beträgt z. B. die englische Pferdekraft 500 Fußpfund pro Secunde, die österreichische 430 Fußpfund etc. Im metrischen System ausgedrückt, stellen sich die Werthe der Pferdekraft wie folgt: für Preußen 75,32 Kilogrammometer, für Oesterreich 75,87, für Frankreich 75 und für England 76,03 Kilogrammometer. Die Durchschnittskraft eines lebenden Pferdes wird auf nur 50 Kilogrammometer geschätzt, sodaß bei einer Dampfmaschine, die Tag und Nacht arbeitet, eine Maschinenpferdekraft in ihrer Leistung 31/2 lebenden Pferdekräften gleichkommt.

B. K. Ungeeignet.




Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das erste Quartal dieses Jahrgangs unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.


Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferimg der bereits erschienenen Nummern eine unsichere. Die Verlagshandlung. 
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Unter Verantwortlichkeit von Dr. Friedrich Hofmann in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Elern
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_200.jpg&oldid=- (Version vom 25.12.2023)