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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

wurden und an ihren Spitzen Flaschenzüge trugen, aufgezogen und von den Monteurs eingesetzt und festgeschraubt. Als Motoren zum Betriebe dieser Hebe-Apparate dienten vier Dampfmaschinen, die an verschiedenen Stellen des Thales aufgestellt waren und mit dem Vorrücken der Arbeit ihren Standpunkt veränderten. Zum Montiren der schweren Gitterträger auf den Thürmen diente ein Riesenkrahn, der oben auf der Fahrbahn befestigt war und mit der Arbeit von Thurm zu Thurm vorwärts geschoben wurde.

Die Arbeiter kletterten theils an den Säulen, wobei ihnen die Nietenköpfe der Flanschen zum Aufsetzen des Fußes trefflich zu statten kamen, theils an den stets paarweise angeordneten Diagonalstangen der Verstrebungen auf und ab, worin sie bald eine staunenswerthe, beinahe „affenähnliche“ Geschicklichkeit an den Tag legten.

Einen urkomischen Anblick gewährte die Scene, die sich stets Mittags und Abends beim Arbeitsschlusse abspielte. Sobald das Signal der Dampfpfeife ertönte, sah man die Arbeiter, deren Zahl beiläufig zuweilen ein Hundert überstieg, massenweise an den Diagonalstangen der im Bau begriffenen Thürme immer im Zickzack von Etage zu Etage herabgleiten, wobei sie die neunzig Meter in weniger als einer Minute zurücklegten. Hinauf ging es freilich nicht so schnell, doch genügten in der Regel nur vier bis fünf Minuten dazu.

Um schließlich noch einen interessanten Vergleich zwischen Stein- und Eisenconstruction anzustellen, verweisen wir auf den, im obenerwähntem Artikel in Nr. 40 der „Gartenlaube“, in Wort und Bild angeführten Göltzschthal-Viaduct auf der Sächsisch-Bayerischen Staatsbahn, der gewiß Vielen unserer Leser bekannt ist. Derselbe ist 579 Meter lang und 87 Meter hoch über der Thalsohle; der Kinzua-Viaduct ist 40 Meter länger und 5 Meter höher. Der Bau des ersteren, der aus Granit und Ziegel ausgeführt ist, hat circa 6 Jahre, der des letzteren einschließlich aller Bureau-Arbeiten nur 8½ Monate in Anspruch genommen. Die Kosten des ersteren betragen 7 Millionen Mark, die des letzteren kaum ein Sechstel dieser Summe, nämlich 275000 Dollars.

Allerdings muß dabei berücksichtigt werden, daß der Göltzschthal-Viaduct zweigleisig, der Kinzua-Viaduct hingegen nur eingleisig gebaut ist; doch würde ein zweites Gleis die Kosten des letzteren kaum um die Hälfte erhöht haben, was immer nur erst ein Viertel der erstgenannten Summe ausmachen würde. Fern sei es jedoch von uns, durch diesen Vergleich den Charakter des großartigen sächsischen Bauwerks schmälern zu wollen, das stets zu den bedeutendsten Leistungen des Ingenieurwesens gehören wird. Es lag uns nur daran, die Vortheile des Eisens zu betonen und darzuthun, was sich durch seine Anwendung zu solchen Zwecken erreichen läßt. Zum Bau eines steinernen Viaductes hätte sich die Eriebahn nie entschließen können, einmal wegen der enormen Kosten, noch mehr aber des Zeit raubenden Baues wegen. Die Anwendung des Eisens als Constructionsmaterial löste die Frage in jeder Beziehung in der günstigsten Weise.

Fürwahr, dies ist das Zeitalter des Eisens, und Steinbauten werden vielleicht bald nur noch zu den Dingen der Vergangenheit gehören, zumal in dem Lande, das dem kühnen Unternehmungsgeiste ein so weites Feld bietet, in der mit Riesenschritten fortschreitenden „Neuen Welt“.

Moritz G. Lippert.




„Mein Haus meine Burg“.

Ein Streifzug auf das Gebiet der Gesundheitslehre.

„Mein Haus meine Burg!“ Das ist ein stolzes Siegeswort, welches von den frohlockenden Lippen befreiter Bürger erklang, als die Uebermacht der bevorzugten Stände gebrochen war und alle Glieder des Staates von dem Vornehmsten bis zum Geringsten gleiches Recht beschützte. Ein stolzes und gottlob ein wahres Wort ist es, denn der einfachste Tagelöhner wohnt heute in seiner Hütte sicherer, als irgend ein Ritter früherer Zeiten hinter den Gräben und Wällen seiner Felsenburg.

Leider hinkt dieser schöne Vergleich, wie alle Vergleiche der Welt, und ist nur in sehr beschränktem Maße wahr, denn sobald wir das Gebiet der Politik verlassen und ihn auf andere Erscheinungen des menschlichen Lebens anwenden wollen, so weicht alle Freude aus unseren Gemüthern, um einer tiefbetrübenden Enttäuschung Platz zu räumen. Fragen wir nur: Sind unsere Häuser so beschaffen, daß wir in ihnen, wie in festen Burgen, ruhig dem Anstürmen des vernichtenden Heeres verschiedenartigster Krankheiten trotzen können? Selbst der Laie wird diese Frage verneinen müssen, denn er weiß, daß unsere modernen Wohnstätten in dieser Beziehung nur allzu reich an Mängeln aller Art sind, und der Sachverständige kann uns bestimmt versichern, daß wir in tausend Fällen gegen Krankheiten besser auf offenem Felde geschützt wären, als wir es tatsächlich in unseren Häusern sind. Ja, wir müßten viele Spalten und Nummern dieses Blattes füllen, wenn wir auf alle diese Uebelstände genauer eingehen wollten; wir müßten eine weite, schier ermüdende Wanderung durch das Gebiet der Hygiene mit unseren Lesern antreten, um nur anzudeuten, was hier an den Fenstern und Thüren, den Wänden und Balken zu ändern und zu verbessern wäre. Darum greifen wir für heute aus der Fülle dieses Materials nur einen Fall heraus. Prüfen wir das Verhältniß des Wohnhauses zu dem Boden, auf welchen es erbaut ist; verweilen wir nur bei den Grundvesten unserer Wohnstätten, um zu erfahren, ob sie so gelegt sind, wie es die Regeln der Gesundheitslehre erfordern.

Bevor wir dies tun können, müssen wir jedoch zunächst eine irrige Anschauung berichtigen, welche lange Zeit hindurch selbst bei den Fachgelehrten für wahr galt und auf welche noch heute die große Masse des Volkes treuherzig zu schwören pflegt.

Von altersher weiß man, daß es gesunde und ungesunde Gegenden giebt, und von altersher hat man geglaubt, den Grund für diese Erscheinung in der Beschaffenheit der Luft an solchen Orten suchen zu müssen. Die „ungesunde Luft“ und das „ungesunde Klima“ sind bei uns ganz geläufige Redensarten, welche wir jedoch früher oder später, wie so viele andere Redensarten, über Bord werfen werden. Seitdem wir nämlich wissen, daß der große Luftocean, welcher die Erde umhüllt, in steter Bewegung begriffen ist, daß selbst die Luft, die wir als total windstill bezeichnen, sich mit einer Geschwindigkeit von ½ Meter in der Secunde vorwärts bewegt und daß also von einem Stillstand in der Luft nirgends (selbst nicht in den engsten Gassen) die Rede sein kann, müssen wir auch zu der Ueberzeugung gelangen, daß jene räthselhaften Ursachen, die unsere Erkrankungen bewirken, in der Luft ihren ursprünglichen Sitz nicht haben können.

Der Leser, welcher von dem Verhältniß des Grundwassers zu den Epidemien etwas gehört hat, wird nun lächelnd einwenden:

„Schon gut! Wir wissen es; das Wasser ist der Träger und der Herd aller Krankheiten.“

Aber er irrt auch.

Das Wasser fällt unschuldig rein vom Wolkenhimmel auf die Erde nieder, und selbst wenn es hier verunreinigt wird, so weiß es sich schnell zu läutern. Es steht ja fest, daß sogar Brunnen, die auf Begräbnißplätzen errichtet sind, sehr oft ein vorzügliches Trinkwasser geben. Liefert doch ferner die Elbe bei Hamburg und Altona durchaus reines Trinkwasser, wiewohl der Fluß in seinem meilenweiten Laufe den Schmutz großer und kleiner Städte in sich aufnehmen muß. Und unweit der Brücke von Asnières ergießt sich der Sammelcanal der Pariser Cloaken in breitem schwarzem Strome in die Seine, welche hierdurch so verunreinigt wird, daß an dieser Stelle in dem Flusse weder Fische noch Pflanzen leben können, aber schon in einer Entfernung von wenigen Meilen treibt die Seine vollständig reines Wasser.

Wenn aber weder die Luft, die wir athmen, noch das Wasser, das wir trinken, als der eigentliche Herd der Krankheitsstoffe erkannt werden dürfen, was ist es dann, das die gesunde oder ungesunde Beschaffenheit so vieler Orte bedingt? Die Antwort ist einfach. Es ist der Grund und Boden, der alle Verunreinigungen in sich aufnimmt, der weder wie die Lust fortstürmen, noch wie das Wasser fortfließen kann, sondern an Ort und Stelle verbleibt. Seine Ausdünstungen verpesten die Luft, die über ihm hinwegstreicht, die in ihm vorhandenen gesundheitsschädlichen Stoffe vergiften das Wasser, welches durch seine Poren rinnt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_198.jpg&oldid=- (Version vom 25.12.2023)