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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

No. 11.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Alle Rechte vorbehalten.

Gebannt und erlöst.

Von E. Werner.
(Fortsetzung.)

Er sprach mit möglichster Unbefangenheit; denn er sah, daß die scharfen Augen der Dame seine Gala musterten, und ärgerte sich unbeschreiblich über das leise, aber verständnißvolle Lächeln, das dabei um ihre Lippen spielte. Er nahm indessen Platz, und nach zwei Minuten waren die Beiden auch schon wieder im Streit begriffen. Fräulein Hofer hatte die ebenso einfache wie unbestreitbare Behauptung aufgestellt, daß heute Freitag sei, und das gab dem Justizrath sofort Veranlassung zu einem Ausfall.

„Das ist ja wohl ein Unglückstag in Ihren Augen?“ fragte er. „Soviel ich weiß, steht der Tag im Codex des Aberglaubens mit dieser Eigenschaft verzeichnet.“

„Wenigstens würde ich an solchem Tage nichts Wichtiges unternehmen oder beginnen,“ erwiderte das Fräulein mit einem anzüglichen Blick auf das Bouquet.

„Ich denke anders darin,“ sagte Freising mit Nachdruck. „Ich wähle mit Vorliebe gerade diesen Tag, um meine freisinnige Stellung damit zu documentiren. Das ist bisweilen nothwendig, um der hiesigen Bevölkerung ein Beispiel zu geben, die noch auf ihre Geisterspitze, ihre Eisjungfrau und allerlei Hexenzeug schwört.“

Fräulein Hofer wußte recht gut, wer mit der „Bevölkerung“ gemeint war; sie antwortete daher in gereiztem Tone:

„In Ihren Proceßacten steht allerdings nichts davon geschrieben, und ich erlaube mir, sie etwas nüchtern und prosaisch zu finden – die Acten nämlich!“

„Und ich nehme mir die Freiheit, sie etwas überspannt zu finden – die Sagen nämlich!“ gab der Justizrath schlagfertig zurück.

Das Fräulein wurde roth vor Aerger.

„Natürlich, Sie sind ja ein Mann der reinen Vernunft und sympathisiren in dieser Beziehung mit Frau von Hertenstein. Die gnädige Frau ist gleichfalls ein Freigeist in solchen Dingen.“

„Zu meiner großen Befriedigung,“ bestätigte der Justizrath, dessen Zufriedenheit in diesem Augenblicke noch erhöht wurde, da Anna in Begleitung ihrer Schwester eintrat. Die Letztere ließ ihm aber kaum Zeit zur Begrüßung; sie hüpfte ihm entgegen und fragte neugierig:

„Onkel Justizrath, weshalb erscheinen Sie denn heute so feierlich im Frack?“

Die vertrauliche Anrede datirte noch aus Lily’s Kinderzeit, wo Freising, der die gesammte Rechtspraxis der Umgegend in Händen hatte, bisweilen in das Pfarrhaus von Werdenfels kam. Lily hatte in aller Unbefangenheit die alte Vertraulichkeit wieder aufgenommen, und der Justizrath hatte auch nichts dagegen, sich von einem jungen hübschen Mädchen „Onkel“ nennen zu lassen. Heute aber schien ihn diese Bezeichnung etwas in Verlegenheit zu setzen, ebenso wie die Frage, aber er faßte sich rasch und antwortete :

„Ich habe bei einer festlichen Gelegenheit die Verhandlungen zu leiten, möchte aber vorher noch mit der gnädigen Frau eine wichtige geschäftliche Angelegenheit besprechen.“

„Dann wollen wir gehen, Lily,“ sagte Fräulein Hofer, den Arm des jungen Mädchens ergreifend. „Bei Geschäften sind wir überflüssig. Kommen Sie!“

Lily fand das auch und folgte ohne Widerspruch in das Nebenzimmer, konnte aber doch nicht umhin, sich zu erkundigen, ob der Justizrath das schöne Bouquet gebracht habe, das auf dem Tische lag.

„Jawohl, er probirt sein Glück am Freitag – ich hoffe, die Bedeutung des Tages wird ihm diesmal klar gemacht,“ sagte Fräulein Hofer nachdrücklich, indem sie aus dem Zimmer ging.

Lily versank ob dieser orakelhaften Worte in tiefes Nachdenken. Der Frack des Onkel Justizrath war ihr von vornherein verdächtig vorgekommen; sie blieb also im Zimmer, um die weitere Entwickelung der Sache abzuwarten. Leider hatte Fräulein Hofer die Thür nach dem Salon geschlossen; zu sehen war also nichts, aber wenn man das Ohr an die Thürspalte legte, konnte man hören, was drinnen gesprochen wurde, und die junge Dame that das denn auch ohne alle Gewissensbisse.

Drinnen im Salon begann der Justizrath soeben die Verhandlungen einzuleiten, indem er das Bouquet nahm und der jungen Frau überreichte.

„Die Rosen – der Rose!“ sagte er mit steifer Galanterie, aber offenbar sehr zufrieden mit dem Complimente, an dem er lange studirt haben mochte. Anna nahm die Blumen mit freundlichem, aber etwas kühlem Danke; sie war an diese kleinen Huldigungen und Aufmerksamkeiten von Seiten Freising’s zu sehr gewöhnt, als daß ihr die heutige hätte besonders auffallen sollen.

„Sie haben Wichtiges mit mir zu besprechen?“ fragte sie, ihm gegenüber Platz nehmend. „Es betrifft vermuthlich den Verkauf von Rosenberg.“

„Das nicht,“ versetzte der Justizrath mit vielsagendem Lächeln. „Ich hoffe im Gegentheil, daß es möglich sein wird, Ihnen den Landsitz zu erhalten, wenigstens als Sommeraufenthalt, wenn Sie auch für gewöhnlich in der Stadt wohnen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_169.jpg&oldid=- (Version vom 24.12.2023)