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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

„Von dem Augenblicke an, wo Vilmut das Geheimniß unserer Liebe entdeckte, war ihr Urtheil gesprochen,“ fuhr Raimund fort. „Du folgtest ihm blindlings, und ich wurde ungehört verdammt.“

„Ungehört? Ich hätte keinem anderen Zeugniß auf der Welt geglaubt, als Deinem eigenen. Ich selbst habe Dich in das Pfarrhaus gerufen, wo unsere letzte Unterredung stattfand.“

„In Vilmut’s Gegenwart! Er stand zwischen uns mit seinem Eisesblick und wehrte jede Verständigung. Wäre ich nur eine Minute lang mit Dir allein gewesen, ich hätte den Weg zu Deinem Herzen gefunden, trotz alledem, was geschehen war. Aber Du verweigertest mir das Alleinsein.“

„Weil es nutzlos gewesen wäre. Ich hatte nur eine einzige Frage an Dich, und ein einziges ‚Nein‘ aus Deinem Munde hätte alles wieder gut gemacht. Du hast dieses Nein nicht gesprochen; Du schlugst das Auge zu Boden. Dein Schweigen war es, was uns trennte, nicht eine fremde Macht.“

„Und was hätte ich Dir denn sagen sollen?“ fragte Raimund langsam. „Ich wußte ja, es war alles vergebens, so lange dieser Priester an Deiner Seite stand, der nur verurtheilen und verdammen kann, dem das Wort Verzeihung fremd ist. Ich habe es ja noch einmal versucht, Dir zu schreiben, trotz Deines Verbotes, und Dir rückhaltlos alles enthüllt. Nach drei Tagen kam die Antwort, aber sie war von der Hand Deines Vetters und lautete: ‚Anna Vilmut ist seit gestern die Braut des Präsidenten Hertenstein!‘ – Bis dahin hatte ich all dem Haß noch Stand gehalten; jetzt gab ich den Kampf auf – für immer – und floh in die Einsamkeit.“

Es folgte eine lange schwere Pause, die junge Frau stand unbeweglich da, aber sie war sehr bleich geworden, und es schien, als ringe sie nach Athem.

„Was – was stand in jenem Briefe?“ fragte sie endlich leise.

Raimund richtete das Auge voll und finster auf sie; wieder zeigte sich jener seltsame Funke darin, jene Gluth unter der Asche.

„Das weißt Du ja,“ erwiderte er; „oder – hast Du den Brief nicht gelesen?“

„Nein.“

„Er wurde aber doch in Deine eigenen Hände gelegt. Ich weiß, daß es geschah, und Du hast ihn nicht gelesen?“

Das Drohende, das in dieser Frage lag, rief Anna’s Trotz wach. „Nein,“ wiederholte sie. „Ich hatte bereits dem Präsidenten mein Wort gegeben, als ich jenes Schreiben empfing, und damit war das Loos über mein Schicksal geworfen – der Brief wurde uneröffnet verbrannt.“

Werdenfels fuhr auf; seine Hand ballte sich, und in seinem Auge loderte wieder jene Flamme empor, die wie ein zuckender Blitz die dunklen Tiefen enthüllte. Ein stürmisches leidenschaftliches Wort schien sich auf seine Lippen zu drängen, aber er bezwang sich.

„Verzeih!“ sagte er nach einer secundenlangen Pause mit erzwungener Kälte. „Dann allerdings hatte ich mich an eine falsche Adresse gewandt.“

„Was stand in dem Briefe?“ fragte Anna noch einmal unruhig und dringend.

„Was Du auch verworfen hättest; denn es war ja ein Schuldbekenntniß!“ brach Raimund in grenzenloser Bitterkeit aus. „Ich wandte mich an die Liebe der Frau, die mir gelobt hatte, die Meine zu werden. Die Liebe verzeiht ja Alles, und sie hätte verziehen; Du aber, die Du meine letzte verzweifelnde Bitte ungelesen den Flammen preisgabst, Du hast mich nie geliebt. Gregor Vilmut und Du, Ihr seid einander gleich; Ihr steht so fest und sicher auf Eurer Tugendhöhe und blickt mitleidslos herab auf den Träumer, den Schuldigen. Ihr wißt ja nicht, was es heißt, wenn auf ein junges Leben ein Fluch geworfen wird und das ganze fernere Dasein hinfort nur ein Kampf, ein Ringen mit diesem Fluche ist. Ich habe das erfahren – leb’ wohl!“

Er wandte sich von ihr, schwang sich in den Sattel und gab dem Pferde die Zügel, das, froh der endlich gewonnenen Freiheit, über die Wiese hinjagte. Es nahm einen mächtigen Anlauf und setzte wieder über die Schlucht. Zum zweiten Male wurde das Wagestück unternommen, und zum zweiten Male gelang es. Der Reiter hörte nicht den halb erstickten Angstruf, der ihm nachhallte; er wandte sich nicht um, sondern sprengte hinein in die Waldlichtung.

Anna stand allein unter den Tannen; ihre Lippen waren zusammengepreßt wie im Zorn oder Schmerz, aber ihr Auge hing noch immer an jener Lichtung. Starr und schwer senkten sich die Zweige des Baumes über ihr unter der Schneelast, und starr und weiß war Alles ringsum. Aber aus der Tiefe drang wieder jenes Hallen und Rauschen empor, fern und geheimnißvoll, als flüsterten darin all die Stimmen jenes tausendfachen Lebens, das in der eisigen Hülle gefangen lag. Es war gebannt und versunken – erstorben war es nicht.




Buchdorf, das Gut, welches der Freiherr seinem jungen Verwandten zum Geschenk gemacht hatte, lag nur einige Stunden von Werdenfels entfernt. Es war nicht so groß und prächtig als dieses, aber doch ein schönes Rittergut mit stattlichem Herrenhause und schattigem Park. Paul hatte in der That die Schenkungsurkunde mit der Unterschrift Raimund’s auf seinem Schreibtische gefunden und sein neues Eigenthum auch bereits in Augenschein genommen. Das Gut befand sich allerdings vorläufig noch in den Händen des Pächters, der es bisher bewirthschaftet hatte und mit seiner Familie sogar das Herrenhaus bewohnte. Der neue Gutsherr sah ein, daß er mit der Uebersiedelung bis zum Frühjahr warten müsse, wo der Pachtcontract ablief, und überdies fühlte er sich gerade jetzt verpflichtet, den Wünschen des Freiherrn nachzukommen und vorläufig in Felseneck zu bleiben.

Augenblicklich befand sich Paul in seinem Schlafzimmer und war mit der Toilette beschäftigt, die ihn heute sehr in Anspruch nahm. Er musterte sich wiederholt im Spiegel und schwankte minutenlang zwischen der Entscheidung, ob er eine dunkle oder eine helle Halsbinde wählen solle.

Arnold, der ihm beim Ankleiden half, verrieth gleichfalls ein gesteigertes Selbstgefühl; denn „wir wären ja nun Gutsherr“. Er hatte es natürlich durchgesetzt, daß sein junger Herr ihn mit nach Buchdorf nahm, hatte dort alles beaugenscheinigt und gefunden, daß ein Onkel, der so großartige Geschenke mache, des höchsten Respectes werth sei. Der Freiherr war überhaupt seit jener verunglückten Audienz sehr in der Hochachtung des alten Dieners gestiegen. Dieser hatte nicht allein die empfangene Lehre ganz ruhig hingenommen, sondern schien sogar eine Art Hochgefühl darüber zu empfinden, daß ihm endlich einmal Jemand imponirte. Er sprach seitdem nur in den Ausdrücken tiefster Bewunderung von dem Schloßherrn, und es fiel ihm nicht mehr ein, zu behaupten, daß dieser etwas verrückt sei. Werdenfels hatte ihm in nachdrücklichster Weise seine Vernünftigkeit klar gemacht.

„Die dunklen Handschuhe, Arnold!“ sagte Paul, was zur Folge hatte, daß Arnold ein Paar helle Handschuhe brachte und sie demonstrativ auf den Toilettentisch legte.

„Nehmen Sie diese, Herr Paul,“ sagte er. „Helle Handschuhe passen besser zu Ihrem Anzuge und sind überhaupt in der Ordnung, wenn man einen Antrag macht.“

Paul wandte sich um und sah ihn verwundert an.

„Ich? Woher weißt Du denn das? Ich habe Dir doch kein Wort davon gesagt.“

„Als ob man mir dergleichen zu sagen brauchte!“ meinte Arnold. „Sie nehmen ja das Ankleiden heute als eine Haupt- und Staatsaction. Sie haben den Wagen zur Fahrt nach Rosenberg bestellt, weil der lange Ritt Ihrem Anzuge schaden könnte; Sie sind überhaupt so merkwürdig aufgeregt – Ihnen sieht man es ja schon auf zehn Schritte an, daß Sie auf Freiersfüßen gehen.“

„So – das wußte ich nicht!“ sagte Paul etwas ärgerlich, aber ohne zu widersprechen, während der alte Diener fortfuhr:

„Ich habe die Geschichte kommen sehen von dem Augenblicke an, wo ich erfuhr, daß unsere Reisebekanntschaft aus Venedig hier in der Nachbarschaft wohnt. Sie waren ja ganz unglaublich verliebt, und ich bin auch im Ganzen dafür, daß Sie heirathen.“

„Wirklich, giebst Du mir die Erlaubniß dazu?“ rief der junge Mann lachend. „Ich hatte allerdings vergessen, Dich darnach zu fragen.“

Arnold zuckte die Achseln.

„Sie fragen mich ja leider niemals, aber Sie haben keinen schlechten Geschmack – das muß man sagen. Frau von Hertenstein ist eine sehr schöne Dame, und nach Allem, was man hört, auch eine sehr vernünftige Dame, und das können wir gebrauchen; denn

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