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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

der Bauten erhalten geblieben wären. Ja, es gelang sogar einige derselben – den Friedrichs-Bau mit dem Faßgebäude, den Neuen Hof, den Otto-Heinrichs-Bau und Theile des Ludwigs-Baues – zur Noth wiederum in einen bewohnbaren Zustand zu versetzen, sodaß der Hof zeitweise nach Heidelberg zurückkehren konnte. Aber die Freude an ihrer alten Residenz war den pfälzischen Wittelsbachern verleidet, und 1721 erkor sich Kurfürst Karl Philipp[WS 1] Mannheim endgültig zur neuen Hauptstadt.

Kurze Zeit bevor der letzte Herrscher von Kurpfalz, Karl Theodor,[WS 2] die Erbschaft der ausgestorbenen älteren Linie seines Geschlechtes antrat und nach München übersiedelte, soll er die Absicht gehabt haben, seinen Sitz wiederum im Heidelberger Schlosse zu nehmen. Ein durch einen Blitzstrahl entzündeter Brand, der am 24. Juni 1764 den achteckigen Thurm, den Neuen Hof und den Otto-Heinrichs-Bau wiederum zu Ruinen machte, vereitelte diesen Plan und besiegelte das Schicksal des Schlosses auf lange Zeit.

Grundriß des Heidelberger Schlosses.

Ueber ein Menschenalter hinaus war dasselbe nunmehr völliger Verwahrlosung preisgegeben. Zu den Elementen gesellte sich als Zerstörer noch der brutale Eigennutz Derer, welche die Schutzlosigkeit der Ruine dazu ausbeuteten, um hier in bequemer Weise Steinmaterial zu gewinnen. Wie zum Ersatze dafür nahm die Natur allmählich wieder Besitz von der verlassenen Stätte. Grüner Rasen, Büsche und Bäume entsproßten in den wüsten Gärten und Höfen wie innerhalb der dachlosen Paläste, und mitleidig deckte der Epheu die offenen Wunden des Mauerwerks mit seinem üppigen Laube. – Etwas bessere Ordnung wurde geschaffen, als im Jahre 1804 Heidelberg zu dem neu errichteten Großherzogthum Baden geschlagen wurde.

Im Schloßgarten wurde eine forst-botanische Anstalt für die Universität eingerichtet, das Schloß selbst wieder in Obhut genommen. Ja selbst an mehreren umfangreichen Reparaturen und Versuchen zur Wiederherstellung einzelner Theile hat es nicht gefehlt, seitdem der wachsende Ruhm der Ruine alljährlich viele Tausende von Reisenden gen Heidelberg führt, Wallfahrer, deren Beiträge zum Zweck der Herstellung der Ruine verwendet werden konnten. In Gemeinschaft mit den Organen der Regierung läßt sich außerdem der unterhalb der Bevölkerung Heidelbergs entstandene „Schloßverein“ die Sorge um das kostbarste Besitzthum des Ortes angelegen sein.

Aber so dankenswert diese dem Denkmal wiederum zugewendete Pflege auch ist, und wie viel des plötzlich drohenden Unheils durch sie bereits mag verhütet worden sein, so hat sich doch in technischen Kreisen die Ueberzeugung immer entschiedener Bahn gebrochen, daß es nur ein einziges Mittel giebt, um die künstlerisch werthvollen Theile des Heidelberger Schlosses vor dem Untergang zu retten: die Wiederherstellung derselben in ihrem ursprünglichen Zustande. Und für die Wahl dieses Mittels kann ich auch an dieser Stelle nur aus vollem Herzen werben.

Als vor geraumer Zeit der angesichts so manches anderen ähnlichen Unternehmens – vor Allem der Vollendung des Kölner Doms – jeweilig nahe liegende Gedanke einer Wiederherstellung des Heidelberger Schlosses zum ersten Male ausgesprochen wurde, hat er freilich nur geringe Sympathie gefunden. Das geistige Leben der Nation lag damals noch gar zu sehr im Banne der romantischen Strömung, die – aus dem ohnmächtigen Darniederliegen des Vaterlandes geboren – mit den Träumen von der Herrlichkeit alter Zeiten unwillkürlich die Resignation verband und in elegischen Empfindungen schwelgte. Man schwärmte noch immer für Ruinen, und den poetischen Zauber, der die Heidelberger Schloßruine umwebt, durch eine Restauration antasten zu wollen, mußte als ein geradezu barbarisches Verfahren erscheinen.

Dank den großen Ereignissen, welche mit dem Selbstbewußtsein unserer Nation ihre Thatkraft so mächtig erregt haben, ist jene kränkliche Stimmung heute schon stark geschwunden. Die Bestrebungen, das Heidelberger Schloß wieder herzustellen, haben seit Jahren nicht mehr geruht, und namentlich ist es Herr Bildhauer Anton Scholl in Mainz gewesen, der unermüdlich in diesem Sinne gewirkt hat. Der Heidelberger Schloßverein, die großherzogliche Regierung, vor Allem aber der Großherzog von Baden selbst, sind seinen Bestrebungen mit größtem Wohlwollen entgegen gekommen. Aber obgleich die Kosten eines derartigen Unternehmens in dem Umfange, der dafür angemessen erscheint, keineswegs allzu bedeutende – im Vergleiche zu den Baukosten des Kölner Domes sogar geringe – sein dürften, so kann dem kleinen badischen Lande doch unmöglich zugemuthet werden, dieselben allein zu tragen. Als die einzig mögliche und einzig würdevolle Lösung erscheint es vielmehr, daß die gesammte deutsche Nation das Werk auf sich nehme.

In dieser Auffassung hat im Herbst des vorigen Jahres die in Hannover tagende fünfte Generalversammlung des mehr als sechstausend Mitglieder umfassenden Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine einstimmig den Beschluß gefaßt, für die Wiederherstellung des Heidelberger Schlosses, als eine Ehrenpflicht des deutschen Volkes einzutreten. Der Aufruf schließt mit den Worten:

„Dieses Kleinod deutscher Baukunst zu retten und es in seiner Neugestaltung zu einem Denkmal der wieder gewonnenen Macht und Größe des Vaterlandes, des wieder erwachten Kunstsinns unserer Nation zu weihen, erscheint als eine Pflicht des gesammten deutschen Volkes, weil es eine dem gesammten Deutschland in der Zeit seiner tiefsten Ohnmacht zugefügte Schmach war, daß

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Karl III. Philipp (1661-1742), Kurfürst von der Pfalz
  2. Karl Theodor (1724-1799), Kurfürst von der Pfalz
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_131.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2023)