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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Verhältnissen nur solche Strahlen zu einem Bilde in unserem Auge zu vereinigen, welche unter sich gleich laufen oder aus einander gehen.

Um in’s Innere eines Auges hineinschauen zu können, mußten daher alle diese natürlichen Hindernisse erst beseitigt und aufgehoben werden.

Dies ward in’s Werk gesetzt, indem mittelst spiegelnder, schräggestellter und durchsichtiger Glasplatten im verdunkelten Zimmer die Strahlen eines seitwärts in gleicher Höhe mit diesem stehenden Lichtes in das zu beobachtende Auge hineingeleitet wurden, wodurch dessen Inneres erleuchtet, dessen Pupille zum „Leuchten“ gebracht ward. Darauf wurden die aus letzterer convergent zurückkehrenden Strahlen durch eine hinter den spiegelnden Scheiben angebrachte Zerstreuungs-, also hohlgeschliffene Glaslinse divergent, aus einander gehend, gemacht, und zwar so, daß das durch die Glasplatten und die Linse hindurchsehende Auge des Beobachters die von dem fremden Auge zurückkommenden Strahlen genau auf seiner lichtempfindenden Netzhaut zu einem Bilde vereinigen konnte.[1]

So hatte jener junge Königsberger Professor sich die Sache gedacht, und siehe da, die inneren Augentheile erschienen nunmehr in zauberhafter Klarheit und Deutlichkeit dem beobachtenden Blicke!

Mehrere auf beiden Seiten ganz ebene, polirte Glasplättchen, im Winkel von sechsundfünfzig Graden zur Lichtquelle geneigt und das fremde Auge beleuchtend, bildeten im Verein mit dem dahinter angebrachten Zerstreuungsglase ein neues Auge für das Auge: den Augenspiegel.

Der in diesem Falle „mit kluger Erfindung über Verhoffen Begabte“ war Hermann Helmholtz, jetzt in Berlin, dessen Name inzwischen ein Weltname geworden ist.

War der Augenspiegel ursprünglich nur zu physiologischen Zwecken, also für die Beobachtung des gesunden Zustandes unseres Auges geschaffen, so hatte doch der Erfinder schon angedeutet, daß derselbe auch sehr wohl zur Erkennung der seither so geheimnißvollen inneren Augenkrankheiten dienen könne.

Das ging denn auch sehr rasch in glänzende Erfüllung, und zwar durch den berühmten, 1870 verstorbenen Berliner Augenarzt Albrecht von Gräfe, welcher die Tragweite des „neuen Auges“ sofort mit dem Scharfblick und Feuereifer des Genies erfaßte, und neben diesem durch den noch lebenden Augenarzt Ed. von Jäger, der alsbald einen classischen Atlas der inneren Augenkrankheiten lieferte. Durch diese Männer, sammt ihren gleichstrebenden Genossen und Jüngern, Liebreich, jetzt in London, Otto Becker in Heidelberg, Mauthner in Wien und Andere, ward die deutsche Augenheilkunde zu dem, was sie heute ist: zur Lehrmeisterin und zum Muster für die Bestrebungen der übrigen Culturvöker auf gleichem Gebiet! Sind doch noch bis heute in Paris, London, New-York und in anderen Weltstädten deutsche Augenärzte die anerkanntesten und gesuchtesten!

Der Helmholtz’sche Augenspiegel erforderte jedoch große Uebung in der Handhabung und in jedem Falle zeitraubende Untersuchung, da man immer nur sehr keine Bezirke des Augeninnern mit dessen Hülfe übersehen konnte, weshalb er sich für die alltägliche ärztliche Praxis nur bedingungsweise bewährte. Auch war die durch denselben bewirkte Beleuchtung nur schwach. Doch sah man mittelst desselben die Theile in ihrer natürlichen Lage oder, wie man zu sagen pflegt, im aufrechten Bilde, d. h. was man nach unten sieht, ist auch unten; was man nach außen findet, ist auch außen etc.

Einen leichter zu benutzenden Spiegel, der zugleich eine stärkere Beleuchtung zuließ, erfand alsbald der Leipziger Augenarzt Rüte. Er verwendete einen das Licht zurückstrahlenden, in der Mitte mit einer Oeffnung zum Durchblicken versehenen Hohlspiegel zur Einleitung des Lampenlichtes in das fremde Auge und eine starke Vergrößerungslinse zum Vorhalten vor dieses. Damit sah man Alles zwar jetzt im umgekehrten Bilde – was unten sichtbar ist, liegt in Wirklichkeit oben etc. – man mußte also Alles in Gedanken umkehren, dafür übersah man aber eine viel größere Fläche des Augengrundes mit einem Blick und unter stärkerer Beleuchtung. Man erhielt somit einen raschen Gesammtüberblick, was für die praktische Orientirung des Arztes von Wichtigkeit ist.

Beide Formen aber bilden bis heute die Modelle für all die zahlreichen Arten von Augenspiegeln, die wir jetzt haben. Auch die Grundsätze der Verwendung beider sind geblieben: man untersucht im aufrechten Bilde, wenn es sich um große Genauigkeit der Resultate handelt,[2] im umgekehrten, wenn man einen für die Zwecke der alltäglichen Praxis immerhin ausreichenden Ueberblick haben will.

Sieht man nun mittelst eines Augenspiegels in das gesunde Auge hinein, so erhält man ein zwar einfaches, aber überraschend schönes Bild.

An die Stelle der Pupillenschwärze tritt eine leuchtende Hohkugelfläche, die prachtvoll gelbroth oder rosa zurückstrahlt, und den Glanz des Seidensammets mit der feinen Körnung eines lithographischen Steines verbindet. Sie ist zunächst von zahlreichen, baumförmig verästelten, dunkel- und hellrothen, zum Theil äußerst zarten Blut- und Schlagaderstämmchen durchzogen – in Fig. 2 sind solche schematisch eingezeichnet – wie man sie sonst nirgends im Körper findet. Verfolgt man aber diese Zweige in der Richtung ihres zunehmenden Durchmessers oder, was dasselbe sagt, in der Richtung ihres Ursprungs, so gewahrt man mit einem Male eine runde, durchscheinende, mattglänzende, weißröthliche Scheibe, in deren Mitte jene Gefäße ein- und austreten (s. F. 2). Es ist dies der aus dem Gehirn kommende Sehnerv, welcher sich im Augeninnern als Netzhaut ausbreitet und als solche zum eigentlich sehenden Gebilde wird. Dieses spinnwebendünne Sehhäutchen ist jedoch so durchsichtig, daß es für gewöhnlich nur einen matten, fettartig glänzenden Widerschein giebt, während die farbige Aderhaut (Fig. 1), das Nährhäutchen des Auges, wie man sie nennen kann, welche dicht hinter jenem liegt, deutlich sichtbar ist. Die hinter ihnen sich befindende Lederhaut des Auges, welche das sogenannte Weiße in diesem bildet, ist dagegen von innen her im gesunden Zustande nicht zu sehen.

Jenes so äußerst dünne, mikroskopisch aber sehr zusammengesetzte Sehhäutchen hat neuerdings erhöhtes Interesse gewonnen.

  1. Versuchen wir, uns dies mit Hülfe der nebenstehenden Figur klar zu machen.

    Die Aufgabe sei, daß der Arzt den Punkt aim Auge des Kranken (K) deutlich sehe. Die nöthige künstliche Beleuchtung im Dunkelzimmer liefert uns das seitwärts stehende Licht (L). Von diesem nun gehen Strahlen aus in der Richtung der Pfeile c, treffen den Spiegel und dringen zum Theil durch denselben hindurch (f f), sind damit also für die Beleuchtung verloren, ein anderer Theil (c’ c’) dagegen schlägt in Folge der Rückstrahlung durch die Glasfläche (durch Reflexion) den Weg nach dem Auge K ein, trifft dieses und wird von ihm so gebrochen, daß der Punkt a des letzteren hellerleuchtet ist. Nunmehr gehen von diesem Punkte a wieder Lichtstrahlen nach außen auf dem Wege der Pfeile d, nähern sich allmählich ebenfalls wieder einander (werden convergent) durch die brechende Wirkung des Auges K, treten so durch den Spiegel (S) und erreichen die Hohllinse (Z). Ist dies geschehen, so werden sie durch diese aus einander getrieben, wie die Pfeile d’ zeigen, somit divergent. Alsdann aber sind sie geeignet, von dem Auge des durch die Hohllinse und den Spiegel hindurchsehenden Arztes gebrochen (d’’), und zwar convergent gebrochen zu werden, um den Punkt b im Auge dieses (A) zu treffen und dort ein ganz genaues Abbild des Punktes a herzustellen: a wird also in b gesehen, und obige Aufgabe ist gelöst.

  2. Auch wenn man Fehler des Auges, die durch Brillen beseitigt oder gebessert werden können, unabhängig von den Aussagen der Kranken, bestimmen will, was z. B. bei absichtlich falschen Angaben von Recruten von Wichtigkeit ist.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_111.jpg&oldid=- (Version vom 16.2.2023)