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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

er trug auch eine schwere Krankheit davon. Seitdem ist er gebannt.“

„Ah, gebannt?“ fragte Lily, der das Wort ungemein imponirte, da sie es durchaus nicht verstand. „Ist das etwas Grausiges?“

„Etwas sehr Grausiges!“ bestätigte das Fräulein. „Die Eisjungfrau hat ihn da oben geküßt, und wer einmal in ihren eisigen Armen geruht hat, der kann nie wieder zum Leben erwarmen, der ist in all seinen Empfindungen abgestorben. Seit jener Stunde war der junge Freiherr nicht wieder zu erkennen. Ich habe ihn ja früher oft gesehen und gesprochen, wenn er nach der Försterei kam. Er war wohl immer ernst und ein wenig träumerisch, aber er konnte doch auch lachen und heiter sein und hatte gar nichts von dem Hochmuthe seines Vaters. Seit seiner Krankheit aber war das Alles vorbei. Er blickte keinen Menschen mehr an, sprach auch mit Keinem mehr und sah aus, als hätte er im Grabe gelegen. Es war ja auch beinahe so gewesen - denn die Eisjungfrau läßt nicht wieder los, was ihr einmal verfallen ist!“

Lily hörte mit großen Augen und mit halb geöffneten Lippen zu; die Geschichte war augenscheinlich ganz nach ihrem Geschmacke.

„Deshalb hat er sich auch da oben in Felseneck angesiedelt,“ meinte sie. „Da hat er die Geisterspitze ganz in der Nähe. Die Bauern meinen, daß er da oben allerlei Hexenkünste treibt. Ist es denn wahr, daß er damals Werdenfels angezündet hat?“

„Lily , um Gotteswillen schweigen Sie!“ rief das Fräulein erschrocken. „Dergleichen sagt man nicht laut.“

„Aber im Geheimen erzählt es sich doch alle Welt. Mir hat es unser Gärtner, der alte Ignaz, anvertraut. Er behauptet steif und fest, es sei die Wahrheit. Wissen Sie etwas Näheres darüber?“

„Nein, es weiß überhaupt Niemand etwas Bestimmtes darüber. Es ist freilich wahr, daß Baron Raimund seit dem Brande Werdenfels förmlich geflohen hat und, wenn er wirklich einmal dorthin gekommen, das Schloß kaum verließ. Sein Vater allerdings ließ sich das Gerücht ebenso wenig anfechten, wie den Haß der Bauern. Er fuhr und ritt nach wie vor durch das Dorf, so hochmüthig wie immer, der Sohn aber setzte keinen Fuß wieder hinein. Später, als er selbst Herr auf den Gütern wurde, da versuchte er es freilich, in ein besseres Verhältniß mit den Leuten zu kommen, und er that alles Mögliche für sie, aber sie hatten ein Grauen vor ihm und seinen Wohltaten, und jetzt ist er ja schon seit Jahren förmlich verschollen da oben in seiner Felsenburg!“

„Es existiren aber doch wenigstens Menschen in Felseneck,“ sagte Lily, die diese Thatsache bisher ernstlich bezweifelt zu haben schien. „Wer mag nur der junge Jäger gewesen sein, der uns begegnete?“

„Wahrscheinlich Paul von Werdenfels, der Neffe des Freiherrn; er soll ja jetzt dort zum Besuche sein.“

„Hu, was muß das für ein Leben bei diesem schrecklichen Onkel sein! Der arme junge Mann, wenn ihm nur nichts zu Leide geschieht! Er sah so freundlich aus, und er grüßte mich so tief, ganz wie man es bei einer Dame thut. Der Justizrath nickt mir nur immer so obenhin zu, wie einem Kinde, und Gregor möchte mir noch am liebsten mit der Ruthe drohen. - Aber ist Anna denn noch immer draußen aus dem Balcon? Sie kommt ja gar nicht zurück.“

Mit diesen Worten sprang das junge Mädchen auf und eilte gleichfalls hinaus.

Anna stand in der That noch auf dem Balcon, obgleich es heute empfindlich kalt im Freien war. Sie blickte nach den Bergen hinüber, von denen ein schneidender Wind herwehte, und ihre Rechte griff dabei wie unbewußt in die schon halb entblätterten Rosengesträuche, die das Gitter umranken"

„Hier wird man ja beinahe fortgeweht!“ rief Lily, welche vergebens versuchte, sich gegen den Wind zu schützen. „Ist es Dir denn nicht zu kalt, Anna? Du hast ja nicht einmal ein Tuch umgeworfen.“

Anna wandte sich um, und wie zur Bestätigung der Worte schauerte sie zusammen.

„Ja, es ist kalt, Komm, laß uns hineingehen!“

Sie zog langsam die Hand zurück, die mit beinahe krampfhaftem Griff das Rosengebüsch umfaßt hielt, und auf der weißen Haut zeigten sich einige Blutstropfen.

„Mein Gott Du hast in die Dornen gegriffen.“ rief Lily. „Du blutest ja! Thut es sehr weh?“

Die junge Frau sah aus ihre Hand nieder, von der die einzelnen dunkelrothen Tropfen niederrannen.

„Ich weiß nicht - ich habe es nicht gefühlt.“

„Nicht gefühlt?“ wiederholte Lily, die nicht begriff, wie man sich an einem Dorn ritzen konnte, ohne einen Schmerzensschrei auszustoßen.

„Nein! Aber was Dir Fräulein Hofer da drinnen erzählt hat, ist ein Gemisch von Aberglauben und Kindermärchen, das Du auf keinen Fall für Wahrheit nehmen darfst. Wenn sie fortfährt, Dich mit solchen Dingen zu unterhalten, so werde ich Dich nicht mehr in ihrer Gesellschaft lassen. Und noch eins, Lilly Du wirst nie wieder den Umkreis von Felseneck betreten! Hörst Du, nie wieder!“

„Weshalb denn nicht?“ fragte Lily, halb verwundert, halb eingeschüchtert durch den ganz ungewohnten Ton.

„Ich will es nicht! Das muß Dir genug sein, und ich fordere unbedingten Gehorsam in diesem Punkte - richte Dich darnach!“

Sie schritt an der Schwester vorüber und kehrte in das Zimmer zurück.

Lily hatte Recht, die junge Frau konnte auch hart sein, sehr hart, und jetzt war sie es sogar gegen ihren sonstigen Liebling. Gregor's Erziehung trug ihre Früchte: in diesem Augenblick war seine Schülerin ebenso eifrig und mitleidslos wie er selbst.



Paul Werdenfels befand sich nun schon volle acht Tage in Felseneck und hatte zu seiner eigenen höchsten Verwunderung bisher noch nicht die mindeste Langeweile empfunden. Seine persönliche Freiheit wurde allerdings in keiner Weise beschränkt; die Wagen und Pferde standen den ganzen Tag lang zu seiner Disposition, und es fragte Niemand, wohin er seine Ausflüge richtete. Ueberdies war er ein ziemlich leidenschaftlicher Jäger, und die Bergwälder boten in der That ein vorzügliches Jagdterrain.

Dies half dem jungen Manne einigermaßen über die Einsamkeit fort, zu der er hier verurtheilt war; denn den Freiherrn sah er nur wenig. Er betrat dessen Zimmer nur dann, wenn er eigens gerufen wurde, was oft tagelang nicht geschah, aber selbst diese Besuche dauerten immer nur kurze Zeit, und die eisige Ruhe und Gleichgültigkeit Raimunds blieb immer dieselbe. Er ließ seinem jungen Verwandten alle mögliche Freiheit; er stellte ihm alle Annehmlichkeiten seines Schlosses zur Verfügung, aber ein wärmeres Interesse verrieth er niemals, und es war unmöglich, ihm auch nur einen Schritt näher zu kommen, als bei der ersten Begegnung.

Trotzdem unterhielt sich Paul sehr gut; seine hauptsächliche Unterhaltung bestand allerdings darin, die Aussicht von seinem Fenster aus zu bewundern und Tag für Tag einen gewissen Punkt derselben mit dem Fernglase zu beobachten - zu Arnolds Verzweiflung, der durchaus nicht entdecken konnte, was sein junger Herr dort so eifrig suchte. Er hatte zwar jetzt alle Ursache, mit der Solidität desselben zufrieden zu sein, hatte aber seinen Argwohn hinsichtlich des bewußten Gegenstandes „unter sechszig“ noch keineswegs aufgegeben. Trotz aller Anspielungen aber erfuhr er nicht das Geringste, und diese ganz ungewohnte Verschwiegenheit brachte ihn schließlich zu dem Resultat, daß die Sache diesmal „bedenklich“ sei.

Paul hatte längst jene augenblickliche Verstimmung überwunden, welche die Mittheilung des Justizrathes bei ihm hervorgerufen. Er suchte und fand mehr als eine Erklärung und Entschuldigung für jene Vernunftheirath. Die Ueberredung der alten Dame, die jedenfalls für den Wunsch ihres Bruders eingetreten war, das Drängen, vielleicht sogar der Zwang von Seiten des geistlichen Verwandten, der für seine Pflegebefohlene diese glänzende Partie befürworten mußte - es war am Ende nur natürlich, wenn die arme abhängige Waise diesem Drängen ihrer Umgebung nachgab und sich drückenden Verhältnissen entzog.

Paul beklagte jetzt die Frau, die er im ersten Momente fast verurtheilt hatte, und interessirte sich, gerade in Folge dieser Heirath, noch mehr für sie. Wann wäre auch je eine jugendliche Leidenschaft solchen Rücksichten gewichen? Und es war wirklich die

erste ernste Leidenschaft seines Lebens. Was er bisher an derartigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_090.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)