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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Gottfried Kinkel.

Von Ernst Ziel.

Eine Zeit, die alle Hände voll Arbeit hat, die ein Volk beruft, morsch gewordene Throne hinwegzufegen wie eitel Spreu von der Tenne, zugleich aber ein Kaiserreich aufzurichten mit Blut und Eisen und den neuen Staatsbau zu festigen in mühsamer Friedensarbeit – eine Zeit, wie die unsere, läßt uns Deutschen wenig Muße übrig, uns in die Geschichte voriger Tage zu vertiefen, seien sie auch die eigentlichste Wiege der Dinge von heute.

Fragen wir uns ehrlich: wer hat gegenwärtig in Deutschland noch ein Herz, wer noch den richtigen Maßstab für die Bewegungen der Vierziger Jahre, die in den Ereignissen des Sturmjahres 1848 ihren gewaltsamen Abschluß fanden? Außer den Alten, welche sie miterlebt, wohl nur noch Wenige. Und doch – ohne jene nationalen Frühlingsstürme müßten wir heute ein gut Theil jener politischen und socialen Errungenschaften entbehren, die den Stolz unserer Tage bilden; ein Strich durch jene Jahre – und wir wären in Deutschland bis zur Stunde höchst wahrscheinlich ohne eine gemeinsame Volksvertretung, ohne Freizügigkeit, ohne Preßfreiheit, ohne Schwurgerichte.

Das einmal wieder so recht zu beherzigen und unserer politischen Vergangenheit damit einen Zoll der Dankbarkeit zu zahlen, dazu giebt uns das noch frische Grab eines echtesten und edelsten Achtundvierzigers heute eine mahnende Gelegenheit, das Grab eines Mannes, den man in seiner Doppeleigenschaft als Dichter und Kämpfer nicht bester charakterisiren kann als mit Meister Uhland’s Wort: „Ein Sänger und zugleich ein Held“: Gottfried Kinkel ist am 14. November vorigen Jahres zu Zürich gestorben.

Der nun dahingegangen, war schon seit Jahren ein nahezu Vergessener; seine Rolle war längst ausgespielt; er war still geworden, der laute Rufer im Streit, still geworden, lange bevor der Tod ihn im eigentlichsten Sinne des Wortes zu einem stillen Manne gemacht. Aus seiner schweizerischen Professur-Verborgenheit tönte nur selten noch ein Wort von ihm zu uns herüber und in die Welt hinaus; ja selbst die großen Ereignisse von 1870 und 1871 lösten ihm nicht die stumm gewordene Dichterlippe. Wenn es nicht paradox wäre, würden wir sagen: sein Tod war das erste Lebenszeichen, das er der Welt nach Jahren des Schweigens gegeben.

Gottfried Kinkel zählt zu den im Revolutionsjahre so zahlreich auftauchenden Kämpfern, die, ursprünglich weichere Naturen, nur in der Zeiten Noth umgeschmiedet und gehärtet wurden zu wuchtig dreinschlagenden Männern der That, die, entzündet durch des Vaterlandes Schmach, den stillen Lehrkatheder mit der lauten Volkstribüne, die Leier mit dem Schwerte vertauschten. Er war zum Revolutionär geworden durch die Macht der Verhältnisse, nicht durch eine innere Nöthigung seiner Natur. Er hatte von Hause aus keinen Tropfen politischen Blutes in den Adern; nur sein warmer Idealismus, der die bedrohte Sache des Volkes als seine eigene Sache fühlte, riß ihn in den Wirbel der Revolution hinein und bis hart an die Pforten des Blutgerichts.

Das innere Werden Kinkel’s erhellt am besten, wenn wir einen Blick auf sein äußeres Leben werfen: Als Sohn eines strenggläubigen Pfarrers zu Oberkassel bei Bonn geboren (11. August 1815) und in pietistischen Grundsätzen erzogen, gehörte er während seiner Universitätsstudien und später als Licentiat in Bonn, als Hülfsprediger in Köln der orthodoxen Schule an und schöpfte aus den Quellen Hengstenberg’scher Weltanschauung volle Lebensbefriedigung. Aber seiner gesunden und nur irregeleiteten Natur mußte dieses Quellwasser der sogenannten Rechtgläubigkeit sehr bald fade und abgestanden erscheinen. Das mühsam aufgebaute Kartenhaus seiner nach der königlich preußischen Kirchenschablone zugeschnittenen Ueberzeugung warf ein kräftiger Sturm schnell genug über den Haufen. Bezeichnend für Kinkel’s Art und Charakter ist es, aus welcher Richtung dieser Sturm blies und an welcher Seite sie ihn packte: es war ein Sturm der Liebe. Es ist eine oft gemachte Erfahrung, daß geistig kräftige Frauen vor Andern dazu berufen erscheinen, gerade im Leben von Männern, die besonders nach der Seite des Gefühls hin beanlagt sind, die entscheidende Rolle eines Bekehrers zu spielen. So war es auch in Kinkel’s Leben eine Frau, die – umgekehrt wie bei dem Apostel – aus dem Paulus einen Saulus machte. Um den weich gestimmten und in Anbetracht des Gemüthslebens so zart organisirten Mann vom Dogma zur Freiheit zu bekehren, dazu bedurfte es eben der Berührung mit einer stark an’s Männliche streifenden, bedeutenden Frauennatur. Im Frühling 1839 lernte Kinkel die musikalisch hochbegabte Johanna geb. Mockel, die seit mehreren Jahren ihrem Gatten abtrünnige (seit 1840 geschiedene) Frau des Buchhändlers Mathieux in Köln kennen, eine Frau von hochfliegender Phantasie und großer Leidenschaft des Herzens. Sie war nicht eigentlich schön; Kinkel selbst charakterisirt sie in den „Elegien an Johanna“ folgendermaßen:

„Nicht wie ein liebliches Kind mit zärtlich schmachtendem Auge,
     Das mit des Schweigens Gewalt zaub’risch verwundet das Herz –
Nicht wie die träumende Blume, noch halb umhüllt von der Knospe,
     Nein, im vollesten Duft stehst Du, ein herrliches Weib!
Mag Dich die Masse verschmäh’n, weil Dir die schaffende Mutter
     Gab für die Farbe die Form, gab für die Fülle die Kraft:
Aber wem je sich entzündet der Sinn für Macht des Charakters,
     Der auf die leibliche Form prägt den gewaltigen Druck …
Diesem wendest das Herz Du im Busen …“

Es war eine wunderbare Ironie des Schicksals, die in dem sich schnell entspinnendem Verhältnisse des jungen orthodoxen Protestanten zu der um acht Jahre älteren katholischen Johanna die Würfel warf: der Theologe Kinkel hatte sich die Aufgabe gestellt, die mit sich selbst zerfallene geistreiche Frau zum Frieden des Christenthums zurückzuführen und dadurch mit sich selbst zu versöhnen, aber der Weg theologisch-philosophischer Untersuchungen, den sie in gemeinsamen Studien beschritten, löste sie Beide vom Glauben einer geoffenbarten Religion los und führte sie zuerst dem Zweifel, dann aber einer pantheistischen Weltanschauung in die Arme.

Es war ein vielseitig angeregtes geistiges Leben, das damals in Bonn herrschte. Um diese Zeit wurde auch durch Kinkel und seine Freundin „Der Maikäfer, Zeitschrift für Nicht-Philister“, begründet, ein belletristisches Blatt von stark humoristischem Gepräge, dem Kinkel damals seine ganze poetische Thätigkeit widmete und dem wir außer einer Reihe lyrischer Poesien unseres Dichters namentlich auch dessen formschönes und gefühlsfrisches Epos „Otto der Schütz“ verdanken. Um das eifrig gepflegte Blatt gruppirte sich der von frischem dichterischem Geiste getragene „Maikäferbund“, eine Gesellschaft, die alle poetischen Gemüther Bonns unter dem Präsidium von Johanna und Gottfried vereinigte und der unter Anderen Karl Simrock, Alexander Kaufmann, Arnold Schloenbach und Nicolaus Becker angehörten.

Nach mancherlei Kämpfen und nachdem Johanna öffentlich zum Protestantismus übergetreten, wurden die durch Geist und Herz längst Verbundenen nun am 22. Mai 1843 auch durch Priesterhand ehelich zusammengethan. Für Kinkel hebt hiermit eine neue Lebensperiode an; denn mit der Begründung seines eigenen Herdes vertiefte und festigte sich sein Wesen; er war im ganzen Umfange des Wortes Mann geworden. Der Befehdungen müde, welchen der Gemahl der geschiedenen Katholikin von Seiten der theologischen Professoren Bonns ausgesetzt war, entschloß sich Kinkel, aus der theologischen Facultät auszutreten; er ging in die philosophische über, hielt Vorlesungen über Kunstgeschichte und Literatur und ließ den ersten Band seines verdienstvollen Werkes „Geschichte der bildenden Künste bei den christlichen Völkern“ (1845) erscheinen, was seine Ernennung zum Professor der Kunst- und Literaturgeschichte an der Universität Bonn zur Folge hatte.

In die kaum befestigte Lehrtätigkeit des jungen akademischen Bürgers brach das Jahr 1848 herein. Er hatte schon seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm’s des Vierten an der nationalen Bewegung lebhaft Theil genommen – aber in durchweg maßvoller Weise, und auch seine politischen Forderungen beim ersten Auflodern der Revolutionsflamme waren noch durchaus gemäßigte: er wollte eine Bundesverfassung unter Aufrechterhaltung der Throne; erst die allgemeine Empörung über den Waffenstillstand von Malmö drängte seine gemäßigte Natur in das Lager der Demokratie. Nun erst bäumte sich der Zorn in ihm empor; nun erst wurde er der eigentliche Organisator der demokratischen Partei in den Kreisen Bonn und Sieg; entschlossenen Sinnes übernam er im Dienste der Sache die Leitung der „Bonner Zeitung“ und stiftete

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_080.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2023)