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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Rosenberg gehörte nicht zu den eigentlichen Gütern der Umgegend, es war nur ein kleiner Landsitz, in reizender Lage, unmittelbar am Fuße des Gebirges, wie man ihn für einige Sommermonate auswählt. Die verstorbene Besitzerin freilich hatte jahraus jahrein dort gelebt, nach ihrem Tode stand das Haus einige Jahre lang unbewohnt, unter der Obhut der ehemaligen Gesellschafterin, die nach der Vermählung der Frau von Hertenstein deren Stelle eingenommen hatte und von der alten Dame testamentarisch mit einem Legat bedacht worden war. Der Präsident und seine Gemahlin, die in der Residenz lebten, kamen nie nach ihrem nunmehrigen Besitzthum – die junge Frau hatte sich erst, seit sie Wittwe war, wieder dorthin zurückgezogen.

Das einfache Landhaus, das inmitten eines ziemlich umfangreichen Gartens lag, konnte weder auf Vornehmheit noch auf Schönheit besonderen Anspruch erheben, aber es war freundlich, bequem und geräumig und machte mit seinen weißen Mauern und hellen Fenstern einen sehr anheimelnden Eindruck.

In dem keinen Salon, der wie die sämmtlichen Räume des Hauses, seine frühere, etwas alterthümliche, aber sehr behagliche Einrichtung behalten hatte, saß die jetzige Besitzerin von Rosenberg und hörte dem Justizrath Freising zu, der ihr gegenüber Platz genommen hatte. Vor ihm lagen mehrere Papiere, aus denen er etwas zu berichten schien, während em anderer Herr, in der Tracht eines Weltgeistlichen, einige Schritte entfernt am Fenster stand. Es war ein Mann von etwa vierzig Jahren mit scharfen ausdrucksvollen Zügen, die eine nicht gewöhnliche Intelligenz verriethen, aber es lag zugleich eine herbe Strenge darin. Das schlichte dunkle Haar umgab eine hohe Stirn, die schon einige Furchen zeigte, und die dunklen Augen hatten jenen durchdringenden Blick, der gewohnt ist, im Inneren der Menschen zu lesen, wie in einem Buche. Der Geistliche betheiligte sich nicht an der Unterhaltung, aber seine Spannung zeigte, daß er ihr mit der größten Aufmerksamkeit folgte und ebenso viel Interesse daran nahm, wie die Sprechenden selbst.

„Soweit also wäre alles geordnet,“ sagte der Justizrath, indem er die Papiere zusammenlegte. „Ich bin genau nach Ihren Anweisungen verfahren, gnädige Frau. und habe die sämmtlichen Posten gedeckt. Jetzt bleibt nur noch die eine größte Summe übrig. Ich bedaure sehr, daß es mir nicht möglich war, irgend eine gütliche Vereinbarung mit dem Gläubiger zu treffen. Sie haben in Folge dessen die Sache persönlich in die Hand genommen. Ist Ihre Reise von Erfolg gewesen?“

„Ja,“ antwortete Frau von Hertenstein, die dargebotenen Papiere an sich nehmend. „Ich traf allerdings den Gläubiger nicht in seinem Wohnorte und war genöthigt ihm nach Venedig zu folgen, dort aber habe ich in mündlicher Unterredung erreicht, was uns brieflich versagt wurde. Man wird sich einstweilen mit dem Pfandrecht auf Rosenberg begnügen und mir hinsichtlich der Zahlung Frist bis zum nächsten Jahre geben. Bis dahin wird es nur möglich sein, das Gut zu verkaufen.“

„Sie wollen Rosenberg verkaufen?“ fragte der Justizrath betroffen. „Es gehört ja nicht zum Nachlaß des Präsidenten, sondern ist Ihr persönliches Eigenthum. Fräulein von Hertenstein hat es Ihnen ausdrücklich im Testament vermacht, und Niemand hat das Recht, irgend einen Anspruch darauf zu erheben.“

„Das weiß ich,“ entgegnete die junge Frau, „aber ich fühle mich verpflichtet, mit allem, was ich besitze, für den Namen und für die Ehre meines Gatten einzutreten. Ich habe das Gut freiwillig angeboten.“

Freising schüttelte mißbilligend den Kopf.

„Verzeihen Sie, gnädige Frau – das war unbedacht. Sie haben mich von Anfang an zum Vertrauten Ihrer Angelegenheit gemacht, also darf ich wohl offen sprechen und Ihnen sagen, daß Sie bereits Opfer genug gebracht haben, mehr als jede andere Frau in Ihrer Lage. Die Pension, die Sie vom Staate beziehen, ist so gering, daß sie kaum für die allereinfachsten Bedürfnisse ausreicht. Rosenberg ist Ihre letzte Zuflucht und Ihre letzte Hülfsquelle für die Zukunft.“

„Und ich decke damit die letzte Forderung. Ich will frei davon werden, koste es, was es wolle! Um unseren Namen rein zu erhalten, ist mir kein Opfer zu hoch.“

Der Justizrath wollte einen neuen Einwand erheben, als der Geistliche sich in das Gespräch einmischte.

„Meine Cousine hat Recht,“ sagte er in einem Tone, der keinen Widerspruch zuließ. „Sie thut nur ihre Pflicht, wenn sie voll und ganz für das Andenken ihres Gatten eintritt; wir haben hier einen anderen Standpunkt zu wahren als nur den geschäftlichen.“

„Ja, wenn Herr Pfarrer Vilmut auch noch gegen mich Partei nimmt, dann werde ich allerdings überstimmt,“ sagte Freising etwas empfindlich. „Ich kann trotzdem meine Rathschläge nicht zurücknehmen; sie haben einzig und allein das Wohl der gnädigen Frau im Auge.“

„Daran habe ich nie gezweifelt,“ erwiderte die junge Frau, indem sie ihm die Hand hinstreckte. „Ich habe ja von jeher einen treuen, zuverlässigen Freund in Ihnen gehabt.“

Der Justizrath führte ritterlich die schöne Hand an seine Lippen, und seine etwas trockenen pedantischen Züge erhielten dabei einen eigenthümlich belebten Ausdruck.

Um die schmalen Lippen des Pfarrers zuckte ein halb spöttisches, halb verächtliches Lächeln bei dieser Huldigung; er verließ seinen Platz und trat näher.

„Es handelt sich also darum, Rosenberg möglichst vortheilhaft zu verkaufen,“ nahm er den Faden des Gespräches wieder auf. „Wir rechnen auch in dieser Beziehung auf Ihren Beistand, und da die Frist bis zum nächsten Jahre währt, so wird der Verkauf hoffentlich keine Schwierigkeiten haben.“

„Ich werde thun, was in meinen Kräften steht – verlassen Sie sich darauf, Hochwürden,“ versicherte der Justizrath, indem er aufstand und seinen Hut nahm.

„Sie bleiben nicht zu Tische?“ fragte Frau von Hertenstein „Ich hatte wie gewöhnlich darauf gerechnet.“

„Für diesmal müssen Sie mich entschuldigen, gnädige Frau; ich habe dringende Geschäfte, die mich nach der Stadt zurückrufen,“ antwortete der Justizrath, dem es augenscheinlich schwer wurde, die Einladung auszuschlagen. Er schien geneigt zu sein, einen zweiten Handkuß zu probiren, aber die scharfen, spöttischen Augen des Geistlichen genirten ihn offenbar. Er begnügte sich daher mit einem bloßen Händedruck und empfahl sich dann.

Frau von Hertenstein hatte sich wieder niedergesetzt und blätterte schweigend in den zurückgelassenen Papieren; Vilmut war zu ihr getreten und nahm gleichfalls einige derselben auf.

„Das sind wahrlich nicht kleine Summen,“ bemerkte er nach einer Pause. „Ich begreife nicht, Alma, wie es Dir möglich gewesen ist, das Alles zu decken.“

„Mein Schmuck war sehr reich,“ entgegnete Anna ruhig, „und Brillanten behalten immer ihren Werth. Ich habe allerdings auch das letzte Stück hingegeben, aber es reichte doch wenigstens aus.“

„Jawohl, der Präsident überschüttete Dich ja mit dergleichen Kostbarkeiten, wie er sein Haus zu einem Tempel des Luxus für Dich machte. Er legte alles seiner vergötterten jungen Frau zu Füßen – mit fremdem Gelde! Und Du hast das ruhig hingenommen.“

Es lag ein herber Vorwurf in den letzten Worten, aber die junge Frau verteidigte sich mit ruhiger Gelassenheit.

„Ich habe Hertenstein’s Vermögensverhältnisse nie gekannt, und ich, die ich arm in sein Haus kam, konnte ihn auch füglich nicht darnach fragen. Er ließ mich stets in dem Glauben, daß er reich sei, und daß unsere Art zu leben seinen Mitteln entspräche. Ich ahnte nicht, daß das Vermögen, das er von seiner Schwester ererbte, seine einzige Hülfsquelle war. Aber dieses Vermögen hätte hingereicht, all jene Verpflichtungen zu decken; es war ein Unglück, daß er es verlor.“

„Durch Speculation! Freilich, das verschwendete Geld sollte ja wieder eingebracht werden, und da sank der Präsident von Hertenstein zum Speculanten herab, zum Börsenspieler!“

„Laß das Vergangene ruhen, Gregor!“ sagte Anna ernst. „Ich kann und will eine Anklage gegen den Mann hören, von dem ich fünf Jahre hindurch nur Güte empfangen habe. Wenn er schwach gewesen ist, so war er es um meinetwillen.“

„Vielleicht auch um seiner selbst willen,“ ergänzte Gregor. „Um seiner Eitelkeit zu genügen! Seine schöne Frau sollte überall die Erste, die Gefeiertste sein; er konnte sie nicht genug bewundern lassen. Du hast ein gefährliches Geschenk erhalten, Anna, in dieser Schönheit, die Alles zu Deinen Füßen führt. Sie konnte bisher nur Unheil stiften – glücklich hat sie noch Keinen gemacht.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_074.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)