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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

welche plötzlich das Gesicht des jungen Barons überfluthete. Paul sah dieses Befremden und versuchte eine anscheinende Gleichgültigkeit zu erzwingen, was ihm aber durchaus nicht gelang.

„Ich lernte auf meiner Reise eine Dame dieses Namens kennen,“ sagte er. „Eine junge, sehr schöne Frau.“

„Ja – das ist sie allerdings,“ entgegnete der Haushofmeister mit einem langen Blick in das erregte Antlitz des jungen Mannes.

„Ist sie schon lange verwittwet? Sie lebt wohl für gewöhnlich nicht in Rosenberg? Besucht sie die Besitzung bisweilen?“

Die heftigen, beinahe ungestümen Fragen fanden eine sehr kühle und gemessene Antwort.

„Wir leben hier in Felseneck sehr abgeschlossen, Herr Baron, und haben gar keinen Verkehr mit der Umgegend, deren Verhältnisse mir größtentheils fremd sind. Ich weiß nur durch Zufall, daß Frau von Hertenstein in Rosenberg erwartet wird, schon in der nächsten Woche. Justizrath Freising, den ich gestern sprach, erwähnte es.“

Paul wäre im Uebermaß seines Entzückens am liebsten dem alten Manne, den er vorhin sehr respectwidrig eine „Mumie“ genannt hatte, um den Hals gefallen. Da sich dies nun nicht gut ausführen ließ, brach er in eine plötzliche Liebenswürdigkeit aus, die er bisher durchaus nicht entwickelt hatte. Er lobte die Aussicht, die Zimmer, das Schloß, alles, was überhaupt zu loben war ; er schwärmte für die Gemsenjagd, die er gleich morgen unternehmen wollte, und erkundigte sich angelegentlich nach der Schloßbibliothek, seiner „Studien“ wegen – kurz, er zeigte sich ganz entzückt von dem Aufenthalte in Felseneck. Um so zurückhaltender verhielt sich der alte Haushofmeister; vielleicht dämmerte ihm eine Ahnung der Wahrheit auf, aber er blieb höflich und gelassen wie vorhin und empfahl sich nach einigen Minuten. – –

Arnold war noch bei seiner früheren Beschäftigung, als sein junger Herr wieder eintrat, diesmal aber mit ganz verändertem Gesichtsausdruck.

„Bist Du noch nicht fertig?“ fragte er etwas ungeduldig.

„Nein; denn ich packe den großen Koffer aus, die ganze Garderobe,“ erklärte Arnold mit nachdrücklicher Betonung, indem er sich zugleich kriegsbereit emporrichtete, aber die Kriegsbereitschaft war diesmal nicht nothwendig; denn Paul zeigte eine ganz merkwürdige Sanftmuth bei dieser directen Mißachtung seines Befehles.

„Thue es immerhin!“ entgegnete er. „Ich habe mir die Sache überlegt und gefunden, daß Du eigentlich vollkommen Recht hast.“

Arnold ließ vor Schreck ein Dutzend Taschentücher, die er gerade in der Hand hielt, zu Boden fallen. Es war etwas so Unerhörtes, daß sein junger Herr ihm Recht gab, daß er sich gar nicht darein finden konnte.

„Es ist wahr, ich habe Rücksichten auf meinen Onkel zu nehmen,“ fuhr Paul fort. „Er ist der Chef der Familie; er ist mein Vormund und hat mich mit Güte überschüttet. Es wäre undankbar, wollte ich seinen Wünschen den Gehorsam versagen. Wie gesagt, Arnold, Du hast ganz Recht, und ich verzeihe Dir auch Deinen eigenmächtigen Schritt. Er war nicht in der Ordnung, aber Du hast es gut gemeint – ich sehe das jetzt ein. Wir bleiben jedenfalls in Felseneck“.

„Den ganzen Winter?“ fragte der alte Diener, der seinen Ohren nicht traute.

„Den ganzen Winter! Und auch noch den Sommer, wenn mein Onkel es verlangt. Packe sämmtliche Koffer aus, Arnold! Wir bleiben hier.“

Damit kehrte Paul in das Wohnzimmer zurück, wo er zu seiner großen Befriedigung bemerkte, daß man von den Fenstern aus Rosenberg ganz deutlich sehen konnte.

Arnold stand noch immer neben dem geöffneten Koffer, aber mit sehr kritischer Miene; er kannte seinen jungen Herrn viel zu gut, um an diese plötzliche Bekehrung zu glauben. Endlich bückte er sich nach den Taschentüchern und hob sie auf, während er halblaut sagte:

„Er muß hier irgend etwas unter sechszig Jahren entdeckt haben – ich kenne das!“


Die Werdenfels waren in alten Zeiten eines der mächtigsten Geschlechter gewesen, das beinahe absolut auf seinen Besitzungen herrschte und sich auch absolut dünke. Die neuere Zeit mit ihren Umwälzungen und Gesetzen hatte dem nun freilich ein Ende gemacht, aber es blieben dem jedesmaligen Herrn der Güter immer noch genug Rechte übrig, um ihm einen weittragenden Einfluß zu sichern, der je nach Umständen segensreich oder unheilvoll werden konnte. Segensreich freilich war das Regiment der Werdenfels für ihre Untergebenen niemals gewesen. Härte und Unterdrückung von der einen Seite, Furcht und mühsam verhaltener Haß von der anderen hatten seit Generationen geherrscht, und unter dem Vater des jetzigen Besitzers war jene lang verborgene Feindschaft sogar zum offenen Ausbruch gekommen.

Der alte Freiherr war seit Jahren todt, aber er hatte dafür gesorgt, daß er und sein Regiment nicht sobald vergessen wurden. Er war eine jener wilden, rücksichtslosen und gewaltthätigen Naturen gewesen, wie sie in seinem Geschlecht leider nicht zu den Seltenheiten gehörten. In einer Zeit geboren und erzogen, wo ein Mann seines Standes sich nahezu alles erlauben durfte, während der Niedriggeborene ihm fast rechtlos gegenüberstand, und durch die hohe militärische Stellung, die er jahrelang bekleidete, vollends an unbedingten Gehorsam seiner Untergebenen gewöhnt, kannte und wollte er es nicht begreifen, daß eine andere Zeit anbrach, die ihm eines seiner Privilegien nach dem anderen aus den Händen wand, die seiner Willkür Schranken auferlegte und ihn zwang, die Rechte Anderer zu achten. Seine Gewaltthätigkeit brach bei jeder Gelegenheit aus; die Insassen seiner Güter mußten sie ebenso schwer empfinden wie die Beamten und Diener, und nicht einmal seine nächsten Angehörigen waren sicher davor.

Seine Gemahlin gehörte einem Geschlechte an, das noch älter war als das der Werdenfels und eine Fürstenkrone im Wappen führte. Das allein hatte den Freiherrn bei seiner Wahl geleitet; die Neigung spielte keine Rolle dabei. Er war stolz auf die Abkunft seiner Frau, und er war auch stolz darauf, daß ihm ein Sohn geboren wurde; er hätte einen Erben seines Namens und Stammhalter seines Hauses sehr schwer vermißt, aber eine andere Bedeutung hatte dieser Sohn kaum für ihn. Wäre Raimund gleichfalls wild und zügellos gewesen, vielleicht hätte der Vater sein Ebenbild in ihm erkannt und geliebt, aber die ernste, etwas träumerische Natur des Knaben war ihm in tiefster Seele zuwider und forderte seinen herbsten Spott und Tadel heraus. Man hörte und sah wenig von dem jungen Freiherrn; er hatte früh seine Mutter verloren und wuchs ausschließlich in der strengen, beinahe sclavischen Zucht seines Vaters heran, der ihm nicht die geringste Selbstständigkeit gestattete. Den Gutsangehörigen, dem eigentlichen Volke, trat er niemals nahe; entweder durfte er es nicht oder er wollte es nicht. Jedenfalls geschah von seiner Seite nichts, um den Haß zu mildern, den der Vater überall gegen sich wachrief; man wußte freilich, daß er bei diesem keine Stimme hatte und sich ebenso wie jeder Andere seinem eisernen Willen beugen mußte, aber die allgemeine Abneigung ging doch allmählich auch auf ihn über.

Da kam jenes Jahr, dessen revolutionäre Bewegung, ursprünglich von den Städten ausgehend, bald auch die gesammte Landbevölkerung ergriff. Auch auf den Gütern gab es überall Widersetzlichkeit, Tumult und offenen Aufstand gegen die Gutsherren; wo nur ein Funke verborgen lag, brach er jetzt in heller Flamme aus. In Werdenfels lag der Zündstoff überreichlich aufgehäuft; dort kam all der jahrelang im Geheimen genährte Groll und Haß zum Ausbruch, und die Verhältnisse gestalteten sich daselbst drohender als an den anderen Orten, aber der Freiherr war trotzdem nicht zu der geringsten Nachgiebigkeit zu bewegen. Er verhöhnte seine Nachbarn wegen ihrer Furcht vor den Bauern und Tagelöhnern und trat den seinigen noch hochmüthiger und herausfordernder gegenüber als sonst.

Die Folgen konnten nicht ausbleiben; es gab eine Reihe der schlimmsten Scenen und Auftritte, aber trotzdem ging Werdenfels stets als Sieger daraus hervor. Er verstand es nun einmal, den Gebieter zu spielen, wie kein Anderer, und sein Stolz, seine Furchtlosigkeit imponirten den Leuten, die ringsum so viele Beispiele kläglicher Zaghaftigkeit sahen; sie lärmten und drohten, aber sie wagten sich nicht ernstlich an den so lange Gefürchteten.

Endlich aber kam es doch zum Aeußersten. Ein an sich geringfügiger Vorfall gab den Anlaß dazu, und der unbeugsame

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_058.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)