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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

„Also darnach haben Sie sich schon erkundigt? Ja, das Weibliche, das hat wieder das ganze Unheil angerichtet! Denken Sie, ich weiß es nicht, warum Sie auf einmal so obstinat sind? Die Reisebekanntschaft aus Venedig steckt dahinter. Sie haben es ja nun glücklich herausgebracht, daß sie in W. geblieben ist, während wir abreisen mußten. Darum waren Sie so wüthend auf der ganzen Reise; darum wollten Sie Hals über Kopf wieder fort; darum riskren Sie sogar den Zorn des Herrn Onkels und die Erbschaft und die ganze Zukunft. O, ich weiß Bescheid!“

„Arnold, ich verbitte mir dergleichen Predigten!“ rief Paul gereizt. „Du vergißt vollständig, daß ich nicht mehr der Knabe bin, den Du hofmeistern durftest. Ich bin vierundzwanzig Jahre und fordere jetzt den Respect, die Ehrfurcht, die Du unter allen Umständen Deinem Herrn schuldig bist.“

„Da müssen Sie erst vernünftiger werden, Herr Paul,“ sagte Arnold trocken. „Viel vernünftiger! Bis jetzt sind Sie es noch nicht – das haben wir in Italien gesehen. Und Sie brauchen sich nicht den Kopf zu zerbrechen, woher der Onkel unsere dortigen Streiche erfahren hat. Ich habe ihm die Wahrheit gesagt.“

„Du?“ dem jungen Manne blieb vor Erstaunen und Entrüstung das Wort im Munde stecken. „Du hast –?“

„Dem gnädigen Herrn geschrieben! Ja, das habe ich gethan, und ihm allerunterthänigst gemeldet, daß wir eben dabei sind, uns an Leib und Seele zu ruiniren, und daß der Wirthschaft schleunigst ein Ende gemacht werden müßte. Das hat auch geholfen; denn acht Tage darauf kam das Abberufungsschreiben. Ich habe bisher darüber geschwiegen, weil Sie sonst überhaupt nicht nach Felseneck gegangen wären, und der Herr Onkel hat auch geschwiegen, wie ich sehe. Er denkt vielleicht, ich könnte Unannehmlichkeiten davon haben. Er weiß ja nicht,“ hier hob Arnold mit großem Selbstgefühl den Kopf, „wie wir Beide mit einander stehen.“

Die gerühmte Stellung hatte aber jetzt eine schwere Probe zu bestehen; denn Paul gerieth außer sich über diese Enthüllung. Er sprach von unberechtigten Eingriffen, von Intriguen, von unerträglicher Bevormundung und schüttete die ganze Heftigkeit seines leicht erregbaren Temperamentes über den alten Diener aus, dieser aber nahm das alles in unerschütterlicher Ruhe hin.

„Ich habe meine Pflicht gethan und nichts weiter,“ erklärte er. „Ich habe es der seligen Frau Baronin auf dem Sterbebette versprochen. Sie hat mich eigens rufen lassen, um mir zu sagen –“

„Arnold, hör’ auf! Du könntest mir das Andenken meiner Mutter verleiden mit diesen ewigen Wiederholungen!“ rief Paul verzweiflungsvoll; denn er wußte, daß dieses Thema unerschöpflich war. „Ein für alle Mal: ich bleibe nicht in Felseneck, und wenn Du Dir etwa einfallen lassen solltest, neue Intriguen gegen mich zu spinnen, so reise ich allein ab und lasse Dich hier!“

Er stürmte fort. Arnold blickte ihm kopfschüttelnd nach.

„Und solch ein Brausekopf verlangt Respect und Ehrfurcht von Unsereinem!“ sagte er indignirt. „Aber diesmal hilft uns all das Aufbrausen nichts. Wir bleiben hier und müssen uns fügen lernen. Gott sei Dank, in diesem einen Punkte wenigstens scheinen der Herr Onkel vernünftig zu sein!“

Damit holte er einen Schlüssel hervor und begann, ganz unbekümmert um das Verbot seines jungen Herrn, den großen Koffer auszupacken.

Paul hatte in voller Aufregung das Zimmer verlassen und war auf die Terrasse hinausgegangen, die sich vor seinen Fenstern hinzog. Er war wüthend über den ihm gespielten Streich und noch wüthender über den Befehl des Onkels, in Felseneck zu bleiben, während er doch um jeden Preis fort wollte. Die scharfen Augen des alten Dieners hatten ganz recht gesehen: es war die schöne Reisegefährtin, welche das ganze Sinnen und Denken des jungen Mannes ausfüllte. Er war gleichzeitig mit ihr in W. eingetroffen und wußte, daß sie in einem dortigen Hôtel abgestiegen war, folglich stand es für ihn fest, daß er gleichfalls dorthin müsse. Weiter hatte er allerdings nichts erfahren; denn die Dienerin zeigte sich sehr unzugänglich und Arnold, den er als Kundschafter benutzen wollte, hatte ihm, anstatt zu gehorchen, eine nachdrückliche Predigt gehalten. Es galt daher, die glücklich gefundene Spur nicht zu verlieren, und es fragte sich nur, wie und unter welchem Vorwande die Abreise zu bewerkstelligen war. Eine plötzliche Erkrankung in der rauhen Luft von Felseneck erschien noch als das beste Mittel.

Rauh war die Luft hier oben allerdings, aber ihr herber, würziger Hauch berührte doch die Nerven des jungen Mannes unendlich erfrischend, die in der weichen, schwülen Luft Italiens erschlafft waren. Er stand auf der kleinen Burgterrasse, die, weit auf den Fels hinausgebaut, den vollen Anblick des Schlosses selbst gewährte, und erst hier, in unmittelbarer Nähe, kamen die mächtigen Verhältnisse desselben zur vollen Geltung. All diese Mauern, Thürme und Erker, die in scheinbarer Regellosigkeit und Willkür bald vorsprangen, bald zurücktraten, fügten sich doch zu einem einzigen malerischen Ganzen, das jedenfalls großartiger und bedeutender war als die ehemalige Burg, wenn auch die Pläne derselben maßgebend gewesen sein mochten. In mächtigen Pfeilern und Bogen, deren reich durchbrochene Arbeit allein ein Kunstwerk war, führte die breite steinerne Gallerie hinüber in den alten Theil des Schlosses. Auch hier hatte die Hand des Baumeisters theilweise eingegriffen, um den Verfall aufzuhalten, aber das Vorhandene war möglichst geschont und erhalten worden.

Dichter hundertjähriger Epheu umspann wie ein dunkles Gewand den halbrunden Thurm, in dem das Arbeitszimmer des Freiherrn lag. Die beinahe armdicken Wurzeln und Stämme waren tief in das Mauerwerk hineingewachsen und überzogen es mit einem undurchdringlichen Netz grüner Ranken. Auch der Seitenflügel, der sich an den Thurm anschloß, trug dieses Epheugewand; nur war es hier nicht so dicht und ließ an vielen Stellen die noch eisenfest gefügten Quadern der altersgrauen Mauern erblicken.

Schloß Felseneck führte seinen Namen mit Recht. Auf einem Felsengipfel gegründet, beherrschte es weithin das ganze Thal und ragte stolz und trotzig empor zu den Wolken, die oft genug zu ihm herniederstiegen und es von allen Seiten umflatterten.

Und ein derartiges Bauwerk ließ der Freiherr in dieser weltverlorenen Einsamkeit erstehen, wo Niemand es sah und bewunderte. nicht einmal der eigene Herr! Paul konnte nicht umhin, sich der Meinung Arnold’s anzuschließen, der im allertiefsten Respect meinte, daß der gnädige Herr Onkel doch einigermaßen verrückt sei.

(Fortsetzung folgt.)




Die kleine Haselmaus, ihr Thun und Treiben und ihr Winterschlaf.

Von Gebrüder Adolf und Karl Müller.

Aus der Ordnung der Nager wählen wir heute für unsere Betrachtung den keinsten, niedlichsten Vertreter der Unterordnung Bilche oder Schlafmäuse (Myoxina), die kleine Haselmaus.[1]

Vielen bleibt das Thierchen zeitlebens unbekannt; denn es verfällt dem ausgesprochensten Winterschlafe, der bei normaler Witterung, das heißt in strengen Wintern, volle sieben Monate währt, wie der des Siebenschläfers, und auch während des Sommers pflegt es zu schlummern, so lange die Sonne am Firmamente steht. Es liegt, theils den Kopf unter die Brust oder den Bauch geschoben, theils seitwärts zusammengerollt, Tags über in einem Schlupfwinkel des Waldbodens oder in einem kleinen, sehr künstlich geformten runden Neste verborgen, und erst wenn die Abenddämmerung eintritt, beginnt das Schläferchen sich zu regen. Vorsichtig und furchtsam lugt dann das erwachte Mäuschen aus dem Verstecke heraus, windet nach allen Richtungen hin mit dem Näschen und weilt oft eine Minute lang, halb dem Schlupfwinkel entstiegen, vor dem Eingange seines Nestchens oder vor


  1. Zum Unterschiede von dem Contingente der kurz- und langgeschwänzten oder der eigentlichen und Wühlmäuse ist diese Thiergruppe von der Wissenschaft zwischen die Eichhörnchen und Mäuse gebracht worden. Alle zu ihr gehörenden Arten zeichnen sich durch eine mausähnliche Körperform aus; sie sind mit einem Eichhornschwanze versehen. Die keine Haselmaus wird zum Unterschiede von ihrem größeren Verwandten, der großen Haselmaus oder dem Gartenschläfer (Myoxus nitela), in der Kunstsprache Muscardinus avellanarius benannt. Die erwachsene kleine Haselmaus erreicht die Größe von 7,5 Centimeter, den Schwanz eingerechnet; ihre Hautfarbe ist röthlichgelb, und nur die Brust und die Kehle sind weiß.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_044.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2023)