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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

„Ich habe Ihr Wort,“ erwiederte darauf freundlich John Dobson und entfernte sich mit einer tiefen und höflichen Verbeugung.

Als er fort war, eilte Lizzie in ihr Zimmer, warf sich auf ihr Bett und preßte das Gesicht in die Kissen, um ihr heftiges Schluchzen und Weinen zu ersticken; denn sie hatte Dobson geliebt, heiß, wild, leidenschaftlich, wie sie nur lieben konnte, und liebte ihn noch. Sie hatte ihn abgewiesen, weil seine Ruhe und würdige Männlichkeit sie tief beleidigte.

Sie hatte gehofft, ihn als Liebhaber zu ihren Füßen zu sehen, wie ihre anderen Anbeter, und was sie bei jenen verachtete, ja haßte, das ersehnte sie mit der ganzen Kraft ihres heißblütigen, stolzen Herzens von diesem Manne. Sie hätte sich ihm mit jubelndem Herzen in die Arme geworfen, wenn er ihr nur ein wenig die Cour gemacht, sie bewundert, ihr ein schmeichelndes Wort gesagt haben würde, nur einmal, nur auf eine Stunde den Anbeter, den Liebhaber ihr gegenüber gezeigt hätte; sie hätte ihr Leben gegeben für einen schwärmerischen Aufblick aus seinen Augen, für einen Handkuß, für eine Minute Schmachtens, für ein Zeichen, daß seine ruhige, stolze, in sich gefaßte Männlichkeit besiegt sei durch ihren Zauber. Nur ein Atom von dem seinerseits, womit sie überschüttet wurde von Anderen – aber nichts von dem gewann sie ihm ab. – Er hatte keinen Blick für ihr heißes Wünschen, für ihr Sehnen, welches schon monatelang ihr Inneres verzehrte.

Gegenüber ihrer heißen Liebe – so sah Lizzie dies an – behielt er seine empörende Gleichgültigkeit und zeigte eine Sicherheit, wie ein Basilisk, der einen kleinen Vogel gebannt hat und ihn verschlingt, wenn es ihm gutdünkt. Dieses Vögelchen wollte sie nicht sein; er sollte sich in seiner unfehlbaren Sicherheit doch getäuscht haben, und als er nun ohne weiter vorhergegangene Annäherungen – in Lizzie’s Sinn – so mir nichts dir nichts mit seiner Werbung kam, da explodirte der seit Langem angehäufte Zündstoff der Leidenschaft und des Verdrusses bei Lizzie in der Art, wie wir das gesehen haben.

Lizzie war nach diesem verhängnißvollen Vormittag noch bleicher als sonst, ihr Mund fester geschlossen und ihre Haltung noch stolzer und ablehnender als früher.

Dobson schien Lizzie nie näher gekannt zu haben.

In der Gesellschaft jedoch hieß es von der Zeit an: Miß Castor habe eine unglückliche Leidenschaft für John Dobson, und das sei die Ursache ihrer Gleichgültigkeit und Kälte gegen alle anderen Männer.

Herr Castor, der Vater, hätte John Dobson sehr gern als seinen Schwiegersohn gesehen. Er sprach sich nach der Katastrophe, von der er nichts Näheres, weder von seiner Tochter noch von Dobson, erfahren, gegen Lizzie deshalb aus.

„Dobson kommt nicht mehr in unser Haus,“ begann Herr Castor diplomatisch. „Ihr müßt Euch gezankt haben.“

„Wir haben uns gezankt,“ erwiderte darauf eiskalt Lizzie.

„Er ist ein ehrenhafter, reicher, nobler Mann, den ich vor Allen gern als Deinen Gatten gesehen hätte,“ fuhr Herr Castor mit mehr Gefühl, als er sonst merken zu lassen pflegte, fort.

„Er hat einen Leberfleck an der linken Wange,“ warf Lizzie scheinbar frivol und spöttisch leicht hin.

„Es ist nicht der Leberfleck, der Euch trennt,“ sprach darauf ernst Herr Castor und richtete seine klugen, scharfen Augen auf seine Tochter: „das ist nicht Deine Art, um eines Leberfleckes willen einen Mann wie Dobson zurückzuweisen; es ist die Eitelkeit und der Hochmut Deines Herzens, der auch diesen edlen Mann verwirft. Du machst Dich sehr unglücklich,“ schloß darauf der kluge, starre Geschäftsmann auffallend weich. „Es ist mir leid um Dich, wie um Dobson.“

Darauf sprachen Vater und Tochter nicht mehr über diesen Gegenstand.

Herr Castor jedoch verkehrte jetzt mehr mit dem abgewiesenen Freier seiner Tochter als früher, stets jedoch außer seinem Hause, und Dobson lebte so ruhig und dem Anschein nach mit sich und der Welt durchaus zufrieden, wie bisher.

Und Lizzie?

Wer in ihr Herz hätte blicken können, der würde unter ihrem Stolz und ihrer Kälte eine heiße Gluth entdeckt haben, deren Gewalt noch geschürt wurde durch Reue und Verzweiflung darüber, einen Mann wie Dobson , den sie jetzt ganz zu erkennen anfing, dessen so ruhige, männliche Entsagung und Treue – denn er näherte sich keiner anderen Frau – ihr immer mehr imponirte, immer mächtiger ihre Achtung gewann und ihr eine immer tiefere Leidenschaft einflößte, von sich gestoßen zu haben.

So vergingen zwei Jahre.

In dieser Zeit näherte sich Dobson Fräulein Castor nicht; jedoch fiel es scharfen Beobachtern – und solche giebt es in der Gesellschaft immer – auf, daß der Mann, welchen eine schon halb verklungene Sage mit der stolzen Schönheit in Verbindung gebracht, diese sozusagen umkreise, allerdings in einem sehr weiten Kreise und so vorsichtig, zurückhaltend und unmerklich, daß nur wenige dies wahrnahmen; denn andere, gleichfalls feine und geschickte Beobachter des vornehmen New-Yorker Lebens bestritten das entschieden.

Da reiste Dobson plötzlich nach der alten Welt; er unternahm eine Vergnügungstour, und wenige Wochen später hieß es, daß auch Herr Castor eine Tour nach Europa machen wollte.

Das Gerücht log nicht.

Eines Tages eröffnete Herr Castor Lizzie seine Absichten.

„Ich mache eine Sommertour nach London, Paris, Neapel und so weiter,“ begann er ziemlich kurz und geschäftsmäßig beim Diner zu Lizzie. „Ich will und kann Dir nicht verhehlen,“ fuhr Herr Castor fort, „daß Dobson schon drüben ist und mich eingeladen, ihm zu folgen: ich sage nicht, daß ich mich ihm anschließen werde für die ganze Reise – ein Zusammentreffen mit ihm ist jedoch sicher und unvermeidlich, und ich frage Dich deshalb, ob Du mit willst.“

Lizzie wurde blaß, und dann flog eine flüchtige Röthe über ihr Gesicht – jedoch ohne einen Moment sich zu besinnen, antwortete sie:

„Ich werde Dich begleiten, Pa! Europa ist groß; wir werden nicht immer beisammen sein, und eine Begegnung mit Dobson fürchte ich nicht –“

In Herrn Castor’s unbeweglichem, hartem Gesicht leuchtete etwas wie Befriedigung, ja fast wie verhaltene Freude.

Lizzie merke dies nicht; denn sie schaute beharrlich zu den großen, grellen, weißen Wolken draußen am Himmel auf und suchte mit aller Macht ihre Erregung und das heftige Klopfen ihres Herzens niederzukämpfen.

Als sie in ihrem Boudoir war, seufzte sie aus tiefster Seele, und in ihre starrblickenden leidenschaftlichen Augen kam ein Ausdruck von Schmerz, und dann wurde deren Feuer milde; um den festen Mund zuckte es verrätherisch, und die stolze Schönheit weinte lautlos und heiß.

„Ich liebe ihn heut wie vor Jahren,“ sprach es in ihrem Herzen; „aber ich werde ihm nie angehören können – ich Thörin! Es steht ein Schwur zwischen ihm und mir, und ich werde mich nie so demüthigen können, ihm zu zeigen, daß ich wünschte, jene hohen Worte damals nicht ausgesprochen zu haben. Er hat es auch so ernsthaft genommen, wie es ihm entgegengeschleudert wurde – diese zwei Jahre haben mir bewiesen, daß er fest an meinen Worten hält; sonst hätte er doch versucht, sich mir wieder zu nähern. Gelegenheiten boten sich ja in Fülle. Ich habe, grausam gegen mich selbst, aus Thorheit, Eitelkeit, Laune mein Lebensglück verscherzt, aber ich werde ihn wiedersehen, vielleicht sprechen, in seiner Nähe weilen – und schon das erscheint mir ein Glück, wenn es auch ein sehr schmerzliches sein dürfte.“

So sprach Reue, Gram und resignirte Hoffnung in dem Herzen des leidenschaftlichen Mädchens.

Dem schnellen Entschluß des Herrn Castor folgte amerikanisch rasch die That, und drei Wochen später waren Herr Castor und Fräulein Tochter schon in Paris und trafen alsbald Dobson. Die Männer sprachen sich öfter, und auch Lizzie traf mit Dobson zusammen.

Die Begegnung war jedoch flüchtig; sie wanderten einige Mittagsstunden durch den Louvre. Er war so ruhig, höflich, freundschaftlich und leidenschaftslos wie immer, und Lizzie, deren Brust fast zu zerspringen drohte vom Uebermaß sich widersprechender Empfindungen, benahm sich, ein Raub dieses inneren Kampfes, ganz gegen ihren Willen steif und theilnahmlos.

Dobson verließ Paris und reiste gen Süden; auch Castor fand bald die Metropole Frankreichs nicht mehr interessant genug, um ihn noch ferner zu fesseln, und wandte sich der Schweiz zu.

In Luzern trafen Dobson und Castors sich wieder, und man wohnte zufälliger Weise sogar in dem gleichen Hotel. Lizzie und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_036.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2023)