Seite:Die Gartenlaube (1882) 864.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

bestehen hatte, bis man ihn als Meister betrachtete und seinen Namen in das „Trinkbuch“ aufnahm, das in Ambras sonderlichen Ruhm genoß. Und war man der Gelage müde, dann ging’s hinaus zur Jagd; hoch zu Roß zog man empor an den blauen Achensee, der einsam zwischen den Bergen lag und wo den Herren von Tirol Gejaid und Fischfang zu eigen war. Dort hatte noch die Meute schrankenloses Spiel; da stiegen die Falken noch lustiger zur Höhe, und auf den Wogen schaukelten die schlanken Gondeln, welche Ferdinand nach venetianischem Muster hatte bauen lassen. Lebensarbeit und Lebensgenuß griffen damals noch näher in einander, und Freude zu bekunden, war auch eine That.

So führt uns unser Rundgang in den Waffensaal – wie glänzt da an allen Wänden Harnisch und Schwert! Aber es ist nicht blos Stahl und Eisen: es ist die Kampflust vergangener Zeiten, die uns entgegenblitzt und die noch haftet an den verwitterten Standarten. Da ist das ganze Rüstzeug jauchzender Turniere, wie es Mann und Roß ehedem getragen, Tartsche, hohe Sättel, Brechschild und Dilgen; da steht die ganze lärmende Landsknechtzeit vor unseren Blicken. Das sind die alten Zweihänder mit ihren geflammten Klingen; daneben hängt die geschwärzte Eisenbrust, und dazwischen klingen unsichtbar die Erinnerungen an Pavia, an die Schanzen von Straßburg und Metz.

Damals, als Schloß Ambras am höchsten blühte, waren jene Tage noch eine Wirklichkeit; da gab es in der That noch jenes Leben, das jede Stunde zwischen dem Taumelkelche und dem Todesstoße stand. Da war auch noch der Frundsberg lebendig, der kühne Führer der Landsknechte, die großen Städte des Reiches blühten, und manchen, der von hinnen zog, sahen lichte Augen auf Nimmerwiederkehr scheiden. Er aber wandte sich wohl sehnend nach dem Erker um; es ging gen Wälschland hin, an Ambras vorüber, und wenn man Abends Rast hielt vor den Lagerfeuern auf der breiten Brennerstraße in Matrei oder Gossensaß, dann konnte wohl mancher denken und singen:

„Es mißt schier gute zwei Ellen,
Mein altes flämisches Schwert;
Hab’ manchen schlimmen Gesellen
Damit zum Himmel bekehrt.

Ich mag ihm mein Leben schulden
Wohl zehenmal und mehr –
Doch wider deine Hulden
Hilft keine Waffe noch Wehr.

Da ist jeder Harnisch offen –
Da schützt kein eisernes Kleid,
Wen du in’s Herz getroffen,
Ist wund für alle Zeit.“

So weht uns eine gewaltige Geschichtsperiode hier an; aus aller Herren Ländern sind diese Prachtstücke zusammengetragen, wie ja auch das Leben jener Zeit einen starken internationalen Zug hatte, wenn wir das moderne Wort für vergangene Verhältnisse gebrauchen dürfen. Waren es doch die Tage, wo die Sonne in den Reichen Karl des Fünften nicht unterging; aus Spanien, Frankreich und Italien stammen diese Waffen, die der Neffe Karl’s, Philippinens Gatte, hier aufgehäuft; auch Wien und Nürnberg weisen ihre Beschauzeichen hin, aber nicht nur des Meisters Hand hat sie geschmiedet, sondern auch des Kriegers Hand hat sie geschwungen, und dieser Odem der Wirklichkeit ist gewissermaßen der letzte und geheime Reiz, den solches alterthümliche Geräthe übt. Und doch wie naiv war jene Zeit bei all ihrer stürmischen Kraft! Auf der Decke des Saales, wo die Sternbilder gemalt sind, finden wir auch den „Fuhrmann“, und der ist dargestellt als fröhlicher Tiroler, im echtesten Nationalcostüm mit der Hahnenfeder auf dem Hut und der langen Peitsche in der Hand. So steht er mitten unter den mythologischen Gestalten, als ob er jeden Augenblick beginnen wollte, das lustige Lied vom „Fuhrmannsbua“ zu pfeifen.

Nicht minder glänzend und kostbar ist die Sammlung der Schießwaffen, die uns in alle Gebiete der Kriegsgeschichte führen, in die Zeiten der „Türkennoth“ und des Prinzen Eugen bis auf die napoleonischen Schlachten und die Sturmzeit von 1848. Von der Gallerie aber winken die Schützenfahnen der verschiedenen Kronländer herab, ein Bild gewaltiger Wehrhaftigkeit – während draußen im Grün die Finken schlagen und die Bienen um den duftenden Flieder summen.

Diejenige Räumlichkeit indessen, welche eigentlich den Festen, den größeren Zusammenkünften, kurzum der Repräsentation in Ambras gewidmet war, befand sich nicht im Schlosse selbst, sondern es ist dies ein langgestrecktes Parterregebäude, welches den großen „Spanischen Saal“ enthält. Er galt als ein Meisterwerk der Renaissance, doch haben leider die Jahrhunderte und die ungünstige Lage dicht am Felsen manches von der alten Herrlichkeit zerstört. Am meisten litt der Saal in jenen Tagen, wo er zeitweilig als Caserne diente; da malten die Soldaten unbekümmert ihre Namen und andere Spuren ihres Daseins an die Wände, welche einst die Hand der Niederländer und der Italiener geschmückt hatte. Es sind die Bildnisse der fürstlichen Herren von Tirol und Motive aus der römischen Geschichte; auch ihnen kam die Sorgfalt zu statten, mit der die Restauration des Gebäudes in den jüngsten Jahren vollzogen ward.

Dann gehen wir in die eigentlichen Wohnräume, in’s „Hochschloß“. Da stehen noch jene großen geschnitzten Truhen, die einst mit lieben Habseligkeiten gefüllt waren; überall sind prächtige Schränke in die Wand gelassen; dort lugt man aus einem traulichen Erker in’s Blaue; hier steht das breite kunstvolle Bett und daneben die kleine Wiege. In der Schnitzarbeit gewahren wir die Zirbelnuß, das alte Wahrzeichen von Augsburg – die Erinnerung an die Heimath. Schreibpult und Laute aber erzählen uns auch von manchem schweren einsamen Tage. Und noch stimmungsvoller und geweihter sieht sich das Oratorium und die kleine Capelle an, die unter dem Schutze des heiligen Nicolaus steht; da mag wohl mancher stille Seufzer aus gepreßter Brust erklungen sein; denn auch hier galt die alte Wahrheit, daß jedes Glück seinen Schatten hat, wie hell es auch nach außen strahle.

Eine tiefe, unwandelbare Liebe verband wohl das junge Paar, aber welche Stürme hatte es gekostet, bis diese Liebe an’s Licht treten durfte! In tiefster Stille hatte im Frühlinge 1548 die Vermählung des Erzherzogs mit Philippine stattgefunden: neun Jahre weilte sie getrennt von ihrem Gatten in Böhmen, und die Kinder der Beiden wurden als Findlinge im Schloßhofe niedergelegt, wo die junge Mutter wohnte. Obwohl die Trauung des Paares im Jahre 1557 durch den Beichtvater Ferdinand’s wiederholt ward, flammte der Kaiser doch im wildesten Zorne auf, als er endlich das Geschehene erfuhr; kniefällig überreichte ihm die junge Frau, als Pilgerin verkleidet, eine Bittschrift, in der sie um Erbarmen für ihre Liebe bat.

Aber selbst dann noch, als ihnen der Kaiser verzieh, forderte er die strengste Geheimhaltung ihrer Ehe, und das Volk wußte nicht, daß die Gute, deren Walten überall gesegnet wurde, wirklich die Frau des Fürsten war, an dessen Seite sie stand. Wie viel Herzeleid mochte das der keuschen, stolzen Patriciertochter gekostet haben!

Erst spät kam auch für sie die Erlösung, als im Jahr 1576 der Papst die Gültigkeit der Ehe erklärte; nun war ihr Ehre und Friede wieder gegeben, doch nur kurze Zeit währte dieses Glück. Am 14. April 1580 schloß sie zu Ambras die Augen: „Diva Philippina“ stand auf den Denkmünzen, welche der Erzherzog zu ihrer Erinnerung prägen ließ, das Volk aber, das in ihrem Namen noch immer einen geheimnißvollen Zauber sah, munkelte wohl, die schöne Fürstin sei eines gewaltsamen Todes verstorben; man habe ihr im Bade die Adern geöffnet.

Obgleich dieser Mythus jeder Begründung entbehrt, gehen wir doch mit einem leisen Gefühl der Wehmuth von hinnen aus diesen Mauern, wo soviel Herzensglück und Herzeleid in einander webt. Tief und frei athmen wir auf in der Sonne, wenn wir über den steilen Wall hinunterlugen in’s Thal und dann die Fußsteige betreten, welche rings das Schloß umgeben. Am herrlichsten aber von all den lauschigen Winkeln ist die Stätte, die den seltsamen Namen trägt „der Tummelplatz“ (vergl. Jahrg. 1877. S. 479 u. 481). Das ist ein zauberhaftes Idyll in grüner Einsamkeit.

Ein schmaler Hohlweg führt hinauf; doch plötzlich öffnet sich im Walde eine Lichtung. Der Boden ist mit kurzem Grase bewachsen; in den zerstreuten Tannen säuselt der Wind, und regellos neben einander stehen kleine verwitterte Kreuze. Sie sind mit Blumen umwunden; an den alten Stämmen hängt hier und dort ein Gottesbild; auf den morschen Bänken kniet ein murmelndes Mütterlein – wohin sind wir gerathen?

Es sicht aus wie ein Friedhof im Walde, und doch schmettert die Drossel im Wipfel so froh; die Zweige blühen, und die Abendsonne funkelt, daß uns heiße Lebenswonne durch die Brust wogt.

Wir stehen in einem jener Erdenwinkel, wo sich das ewige Geheimniß von Werden und Vergehen in Waldesrauschen löst,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 864. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_864.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2023)