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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

jenem Nachmittage, da sie unter der Linden gesungen. So oft sie jedoch Conradus sahe, da war es allsogleich, als erbleiche ihr Antlitz noch mehr denn sonsten, und als blitzeten die braunen Augen ihn finster an. Zuweilen dünkete es mich, ihre Blicke ruheten groß und gar böse auf mir, also daß mir sehr bange ward um’s Herze, gleichsam als drückete mich ein Alp.

‚Weiß nimmer, was ihr fehlet,‘ sagte die Base, ‚meine mit unter, sie sei krank worden im Kopfe: so närrisch Zeug schwätzet sie im Schlafe.‘

Schier stundenlang konnt sie am Fenster lehnen und müßiglich dem Treiben auf dem Schloßplatze zuschauen oder die sehnsuchtbrennenden Augen ohn Unterlaß auf das Komödienhaus richten.

Eines Abends aber, da ich hastiglich die Thür ihres Kämmerleins öffnete, o, da stund sie, verwunderlich anzusehen, vor ihrem Spiegelein, wandte sich stracks und streckte mir herrisch den Arm entgegen, daß ich verschüchtert die Thür weit offen ließ und auf der Schwelle verharrete. Hatte sich ein weiß Laken, gleichsam als sei es ein faltig Gewand, sorgfältiglich umgehangen und ein fein Nesseltuch wie einen Schleier am Hinterkopfe aufgestecket, und so stund sie da, und die Sonnenstrahlen spieleten um ihr braun Haar und den feinen Arm, und jach einen Schritt zu mir thuend, begunnete sie schier feierlich zu reden:

,Was willt Du allhier? Ist in Deiner Rede doch nichts mir erfreulich, noch wird es mir je zur Freude sein, und auch meine Rede ist gar anders, denn solche, so Dir wohlgefällt.‘

‚Hedwige!‘ schrie ich entsetzt, ‚Du redest im Fieber.‘ Und ich faßte ihre Hand. Sie aber machte sich kräftiglich los und stieß mich zurücke.

‚So geh’ doch!‘ sprach sie bitter, ‚sage es, so Du willt, dem Vater – ist mir recht, so er mich hinaus weiset; dann bin ich frei wie ein Vögelein und brauch’ mich nimmer eingemauert zu härmen in diesem Hause, so schlimmer ist denn ein Kloster.‘

‚Sei nicht undankbar!‘ rief ich gekränkt, ‚was begehrest Du für Freiheit? Was wehret man Dir allhier?‘

‚So ich es Dir sagte, ach Du würdest es dennoch nimmer verstehen,‘ gegenredete sie, und ein spöttisch Lächeln flog um ihren Mund. ‚Hast Du ein Ahnen, daß es auch Höheres giebt im Menschenleben, denn ein engkleines Glück? Kannst Du es fassen, daß auch ein Frauenherze sich nach Anderem kann sehnen, als nach eitel Spinnrad, Kochtopf und Kinderstüblein? O gehe doch! Wie kannst Du Solches wissen? Zeiget doch Dein sanft Antlitz allzeit ein zufrieden Lächeln, daß man schier neidisch werden möcht’, wenn es sich lohnete um den faden Mehlbrei, so Deines Lebens geistige Nahrung ausmachet.‘

Da ward ich stumm und vermocht nimmermehr zu antworten; als ich mich aber ganz rathlos wandte, stund Conradus in der Thür und schauete an mir vorüber auf das schönschlanke Weib in der fremdartigen Gewandung, um das die Sonnenstrahlen just einen güldenen Schleier woben.

‚Conrade,‘ fragte ich bang, ‚was ist worden mit ihr? Sie redet irr’; sprich Du doch ein Wörtlein zu ihr! –‘

Da wanderte sein Blick langsam von ihr zu mir, von mir zu ihr, und seine lieben Augen die starreten mich an aus dem bleichen Antlitze, als schaueten sie ängstiglich in leere Luft, so kalt und so todt.

,Conrade!‘ wollt ich rufen; denn das Herze that mir jählings wehe, aber das Wort erstarb auf meinen Lippen, und er wendete sich wieder zu Hedwige.

,Was sagtest Du alleweile, als die Schwester zu Dir trat?‘ fragte er sie sanft, ‚und wo hörtest Du Solches?‘

Sie war purpurn erglühet, aber als fühle sie tiefinnen, daß ihr nimmer ein strenger Richter gegenüberstünde, trat sie trutziglich einen Schritt näher zu ihm heran, faßte seine Hand und zog ihn an’s offene Fenster.

‚Dorten!‘ rief sie und deutete auf das Komödienhaus, ‚und so es eine Sünde war, möge mir Gott verzeihen – ich kann es nimmer glauben, daß so Edles und Schönes verdammlich sei.‘

Er aber erwiderte kein Wörtlein, blickte nur gleich wie träumend nach dem weißen Hause hinüber.

,Wen sahest Du alldort die Antigone spielen?‘ fragte er dann. Da kam wieder Leben in das Mägdelein, und wie schier verzückt hub sie die gefalteten Hände empor.

,Wen? rief sie. ‚Ei, Conrade, das rathet Ihr nimmer! Aber schön war sie – meiner Treu! – erhaben schön und hoheitsvoll, wie sie so daher trat in ihrer weißen Gewandung, viel herben Schmerz und gar große Trauer in dem Angesicht. Ihr wißt, der Hof spielete gestern zur höchsteignen Belustigung, und die alte Silberschließerin, welcher ich mannigmal ein einsam Stündlein vertreiben helfe, die hat mich fein heimlich mit hineingenommen in den Kunsttempel; vom dunkelsten Winkel aus habe ich sie geschauet, Prinzessin Liselotte, als Antigone –‘

‚Prinzessin Liselotte?‘ fragte er, und das Herze klopfte mir hoch bis zum Zerspringen.

‚Ja, Conrade! O, wäret Ihr dabei gewesen!‘ Und lieblich bittend setzte sie hinzu: ‚Zürnet Ihr mir darob? Saget auch Ihr, daß das Agiren in der Komödie ein sündhaft Ding sei?‘

Da wandte er sich jählings um: sein blaß Gesicht war nunmehro plötzlich entfachet zu eitel Feuer und Flammen; stracks verließ er das Gemach, ohn’ mich anzuschauen – Hedwige aber riß sich den Narrentand vom Kopfe, warf ihn zur Erde und hub also bitterlich zu weinen an, daß ich meinete, sie wolle schier verzagen. In mir war eine Stimme laut worden, so da predigte: Christel, Christel, mußt eilig zum Vater gehen und ihm sagen all das, so Du geschauet hast.

Als ich aber fürbaß schritt, stund Conradus vor der Thür an der Treppen.

,Christiane,‘ fragte er, ‚willt Du zu dem Vater gehen?‘

Das war nun das erste Wörtlein, so er an mich richtete seit jenem Tage, da er um mich geworben.

‚Ja!‘ erwiderte ich, ‚denn Hedwige ist mir ein Aergerniß, dieweil sie meines Vaters Gebot also mißachtet. Ach, ob sie gleich in unserem Hause wohnet, so hat sie doch allbereits Schaden genommen an ihrer Seele.‘

Er sagte nichts, sah mich nur an – ich weiß nimmer was Alles in seinen Augen spielte: Mitleid, Vorwurf und Bitten, stummes trauriges Bitten.

‚So gehe denn!‘ sprach er endlich und war alsogleich in sein Studirstüblein verschwunden, daß es mich dünkete, er sei zürnend von mir gangen. Da ich aber bei meinem Vater eintrat, schalt dieser:

,Wo bleibest Du gar so lange? Hast Du denn ganz vergessen, daß ich Dir das Ordinations-Sermönlein wollt dictiren für Conradus Verordnung?‘

Ich setzte mich flugs zum Schreiben, und da ich sahe, er wär ungeduldig, hütete ich mich fein, ihn zu erzürnen und verschwieg all das, so ich gehöret, und schrieb, wie er dictirete. Er aber hub also an:

,Jeremias, 1. Cap. Vers 6 und 7. Ach Herr, Herr, ich taug nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. Da sprach der Herr zu ihm, sage nicht: Ich bin zu jung, sondern Du solt gehen, wohin ich Dich sende, und predigen, was ich Dich heiße.‘

Und dann schrieb ich weiter, wie es der Vater fein auslegete, daß Conradus durch sonderbare Schickung Gottes, jung an Jahren zu hoher Ehre berufen, wie er solle streben nach einem unbefleckten Wandel und unsträflicher Arbeit; denn Klugheit sei das rechte graue Haar und gottselig Leben das rechte Alter. Und also schloß es:

,Gegenwärtiger Conradus, genannt Ehrentraut, tritt itzo an seines alten Pflegevaters, des Hofpredigers Sebastianus Ehrentraut Stelle, da er ordentlicher Weis’ zu Helmstädt Gottes Wort und reine Kirchenlehre wohl studiret und gefasset hat, auch versprochen und gelobet, nicht allein bei solcher Lehre beständig zu verharren, sondern auch sein Ambt mit gebührender Treu und Fleiß zu verrichten, und wird itzo auf vorgehendes Examen apostolischer Weis’ ordiniret.‘

Ich mußte nunmehro laut vorlesen, was ich geschrieben, und da just meines Vaters Stellvertreter kam, ein alter Mann, gar ruhig und milde, hörete er zu, da ich las, und sagte alsdann:

‚Also wolle die Jungfer noch hinzuschreiben: „So möge Gott seinen reichen Segen geben, auf daß er möge treten in seines alten lieben Vaters Fußstapfen und gleichen Nutzen schaffen in seiner Kirche!“‘

Und da ich es geschrieben, gebot mein Vater:

‚Nun gehe und trage es Conradus hinauf, auf daß er es lese, und frage ihn, ob er zufrieden mit der Rede, so gehalten werden soll bei seiner Ordination; er möge mir selbsten Bescheid geben.‘

Beklommen trat ich in des liebwerthen Jünglings Gemach; er hatte mein Pochen wohl nimmer vernommen, saß er doch vor dem

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