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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

französischer Kürassiere, mit roßschwanzumwehetem Helme und blinkendem Harnisch sowie mit geladenen und gespannten Pistolen, den armen alten, gebrechlichen Becker in seiner friedsamen Hütte hatte aufheben und fortführen lassen.

Als der Herzog von Gotha, dem man auch hier wieder die äußerste Geringschätzung und die schnödeste Mißachtung seiner landesherrlichen Rechte zu erkennen gegeben hatte, nach dem Schicksale und dem Aufenthalte seines Unterthanen fragte, gaben ihm die Franzosen zur Antwort, Becker sei auf Befehl des Kaisers verhaftet worden; er werde als Gefangener „au grand secret“ behandelt, und folglich sei von nun an seine Existenz, sein Aufenthalt etc. für Jedermann, und also auch für seinen deutschen Herzog, das größte Geheimniß. In der That hat der gute alte Becker als „höchst gefährliches Subject“ vom 2. December 1811 bis zum 29. April 1813 in französischer Gefangenschaft in Magdeburg geschmachtet. Er war zum „Oublié“ geworden, und nur einem günstigen Zufalle verdankte er seine endliche Befreiung, freilich erst zu einer Zeit, da das Napoleonische Regiment schon sichtbarlich wankte.

Vielleicht werde ich ein anderes Mal über diese seine höchst interessante Leidensgeschichte berichten. Becker beklagt sich in seiner naiven Weise über die Wandelbarkeit der Ansichten des Kaisers über den Tabak.

„Weil der Kaiser 1810,“ schreibt er, „sich zum alleinigen Tabaksfabrikanten des ganzen Reichs erklärt hatte, so waren Robin’s Ideen vom Tabake falsch und anstößig geworden, indem die Wahrheit in despotischen Staaten nicht durch die Natur und das Verhältniß der Dinge, sondern durch den Willen des Herrschers bestimmt wird. Ich wäre also wegen einer nicht von mir gemachten, ohne mein Wissen gedruckten Uebersetzung einer Stelle eines französischen, in Paris mit kaiserlicher Censur und Genehmigung gedruckten Buches einer rechtsförmlichen Untersuchung unterworfen worden, wenn nicht der Marschall Davoust dem rechtlichen Verfahren durch seine widerrechtliche Gewaltthat zuvorgekommen wäre.“

Die Davoust’sche Gefangenschaft bewahrte ihn also vor der gothaischen Untersuchung. Da war denn doch am Ende die Arznei schlimmer als die Krankheit, die Hülfe schlimmer als das Uebel.




Wie erzeugt die Sonne ihre Wärme?

Ein Bericht über neuere Erklärungen und Vermuthungen.
Von Carus Sterne.


Von allen Vorgängen im Weltenraume, die das Erdleben und den Menschen als höchsten Inbegriff desselben näher angehen, trägt wohl keiner mehr den Charakter einer „brennenden Frage“ als der Ursprung der ungeheuren Wärmemenge, welche die Sonne Tag und Nacht, ohne jede Unterbrechung in den weiten Weltenraum hinausstrahlt. Wir dürfen die Sonne nicht etwa blos als eine Art von Central-Heizungs-Einrichtung unseres Planetensystems betrachten, sondern müssen sie uns vielmehr wie eine ungeheure Kraftmaschine vorstellen, von der die Erde, ebenso wie die andern Planeten, ihren gesammten Kraftbedarf bezieht und seit undenklichen Zeiten bezogen hat.

Nicht blos im gegenwärtigen Pflanzen- und Thierleben oder in den Strömungen der Luft und des Wassers, welche unsere Segelschiffe, Mühlen und Turbinen treiben, sondern auch in unsern Dampfmaschinen und elektrischen Apparaten wirkt die Sonnenkraft mittel- oder unmittelbar; denn alle Brennstoffe, mit denen wir die letztere in Betrieb setzen, mögen sie nun Holz, Steinkohle, Petroleum oder wie sonst heißen, sind organischen Ursprungs und von der Sonne erzeugt. Nur ganz vereinzelte und für das Gesammtleben wenig in Betracht kommende Kraftentfaltungen auf unserem Erdball, wie z. B. die Ebbe und Fluth, sind von dem großen Kraftübertragungsmittel der Sonnenstrahlen unabhängig.

Aber trotz des ungeheuren Kraftbetrages, der uns täglich und stündlich mit dem Sonnenlichte zuströmt, ist die von der Erde bezogene Licht- und Wärmemenge natürlich doch nur ein fast verschwindender Bruchtheil der von der Sonne im Ganzen und nach allen Richtungen des Weltraumes ausgestrahlten Kraftsumme, die man auf jährlich dreitausend Quintillionen Wärme-Einheiten[1], oder auf achtzehn Millionen Wärme-Einheiten für jede Stunde und jeden Quadratfuß ihrer Oberfläche berechnet hat.

Woher stammt diese unfaßbare Gluthmenge? Dürfen wir uns mit Stokes, W. Thomson und andern englischen Physikern die Sonne als einen unerschöpflichen Feuerbrunnen vorstellen, aus dessen Tiefe immer neue Gluthströme an die Oberfläche emporquellen, ohne sich je zu erschöpfen, oder doch wenigstens im Laufe der Jahrtausende an wärmender und leuchtender Kraft merklich nachzulassen? Schwerlich. Denn so hoch auch die Anfangstemperatur der Sonne angenommen werden mag, so ergiebt doch eine einfache Rechnung, daß die gesammte ungeheure Sonnenmasse, durch den oben abgeschätzten Betrag ihrer beständigen Wärme-Abgabe, sich schon in zweitausend Jahren um ungefähr viertausend Grad abgekühlt habe müßte, was offenbar der geschichtlichen Erfahrung widerspricht. Wir müssen demnach einen wenigstens annähernden Ersatz der beständig ausgestrahlten Wärmemenge voraussetzen. Wie können wir uns denselben vorstellen?

Die Physik der Sonne und aller Himmelskörper hat in den zwanzig Jahren, welche seit Entdeckung der Spectralanalyse verflossen sind, unendliche Fortschritte gemacht. Bis dahin herrschte in der Wissenschaft die im vorigen Jahrhundert von Wilson und Herschel aus der Beobachtung der Sonnenflecken abgeleitete Annahme, daß nur die äußere Hülle der Sonne Licht und Wärme ausstrahle, daß hingegen ihr Kern, den man öfter durch Risse der Hülle (in den Sonnenflecken) hindurch zu erblicken glaubte, ein dunkler, vielleicht gleich der Erde von Wesen unserer Art bewohnter Weltkörper sei. Durch die neue Beobachtungsmethode wurde diese ihrerzeit von Arago, Humboldt und den ersten Naturforschern getheilte Ansicht, die uns heute recht naiv vorkommen will, alsbald mit Entschiedenheit widerlegt, und die Sonne als ein Gluthball erkannt, dessen Temperatur nach den neueren Rechnungen von Rosetti (1878) mit einiger Wahrscheinlichkeit auf zehn- bis zwanzigtausend Grad Celsius geschätzt wird, während die älteren Schätzungen zwischen zwei- bis dreitausend Grad (Vicaire und Violle) und ein bis zwei Millionen Grad (Erikson und Pater Secchi) schwankten.

Welche dieser Schätzungen nun aber auch der Wahrheit näher kommen mag, jedenfalls machten es die neuen Beobachtungen unabweisbar, den Ersatz der beständig ausgestrahlten Sonnenwärme von den kolossalen Verbrennungsprocessen herzuleiten, welche man mittelst verbesserter Spectroskope beständig an der Sonnenoberfläche beobachtet. Aber selbst wenn der Sonnenkörper durchweg aus brennbaren Stoffen bestünde, z. B. einen einzigen Steinkohlenblock darstellte, so würde er doch nur etwa fünftausend Jahre lang die Unsumme von dreitausend Quintillionen Wärme-Einheiten liefern können, die er heute im Jahre ausstrahlt, und dann verzehrt sein. Man muß demnach wohl mit Bestimmtheit annehmen, daß in irgend einer Weise ein beständiger Ersatz der ausgestrahlte Sonnenwärme stattfindet, und in diesem Sinne sind verschiedene namhafte Physiker der Ansicht beigetreten, daß eine unaufhaltsam fortschreitende Verdichtung oder Zusammenziehung der Sonnenmasse beständig eine dem Verluste entsprechende Wärmemenge frei werden lasse. Helmholtz hat eine Rechnung aufgestellt, nach welcher der Sonnenkörper, wenn er durch plötzliche Zusammenziehung eines Urnebels von der Ausdehnung unseres Planetensystems auf seinen jetzigen Umfang entstande wäre, eine Temperatur von achtundzwanzig Millionen Celsiusgraden erlangt haben müßte. Dieselbe Wärmemenge würde nun aber auch bei der allmählichen Zusammenziehung der Sonnenmasse, wie sie die Kant-Laplace’sche Weltbildungstheorie voraussetzt, frei werden, und so würde diese Ansicht zugleich mit der Wahrscheinlichkeit in Einklang zu bringen sein, daß der Erde in früheren Perioden von einem damals noch ausgedehnteren Sonnenballe mehr Licht- und Wärmestrahlen zugeflossen sind, als heute, eine Annahme, die unter Anderem durch das Vorhandensein eines üppigen Pflanzenwuchses um den Nordpol bis in die Tertiär-Epoche hinein unterstützt wird.

  1. Als Wärme-Einheit bezeichnet man bekanntlich diejenige Wärmemenge, die man einem Kilogramm Wasser zuführen muß, um seine Temperatur um einen Grad zu erhöhen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 846. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_846.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2023)