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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Herzen der um ihn Versammelten durchdringt. Und finden wir in irgend einem entlegenen Dorfe noch Ueberreste jener alten Weihnachtspiele, so ist es nur ein äußeres Interesse, welches ihr Anblick in uns erweckt, fern aber bleibt uns dabei das Verlangen, dieselben in unserer Heimath wiederzubeleben.

Sie würden auch in unsere Zeit gar nicht hineinpassen, diese alten Weihnachtspiele, wenngleich sie in Süddeutschland und Deutsch-Ungarn noch dann und wann aufgeführt werden. In dem naiven Glauben des Volkes hatten sie einst ihre beste Heimstätte, da uns aber dieser verloren gegangen, so sind auch sie unrettbar dem Untergange geweiht. Schon heute, da wir uns anschicken einen flüchtigen Blick auf jene alten Weihnachtspiele zu werfen, beschleicht uns das Gefühl, als wäre es nicht leicht, einem Gegenstande Glanz und Farbe zu leihen, der doch längst nicht mehr dem Leben der Gegenwart, sondern nur noch der Geschichte angehört. Aber vielleicht liegt doch gerade darin ein besonderer Reiz; denn:

Es trägt den Heil’genschein das zeit- und räumlich Ferne,
Und wären sie dir nah’, nicht glänzten dir die Sterne.“

Die Benennungen der alten Weihnachtspiele, wie „Christkindspiel“ und „Paradiesspiel“, deuten darauf hin, daß sie im Christenthum fußen und die biblische Legende zu ihrer Grundlage haben. Die geschichtliche Forschung bestätigt auch in vollem Umfange diese Vermuthung; denn bereits im vierten Jahrhundert wurde die Feier der Geburt Christi in der abendländischen Kirche eingeführt und gestaltete sich bald zu einem großartigen Kirchenfeste. Man begnügte sich dabei nicht mit Predigten und Messelesen, sondern führte einzelne Abschnitte der heiligen Schrift dramatisch auf, da solche Darstellungen tiefer als Predigten auf das Gemüth des Volkes einwirken mußten.

So wurde beispielsweise in den Gotteshäusern eine Krippe hinter dem Altare erbaut und darauf das Bild der heiligen Jungfrau gestellt. Vor dem Chor auf einer Erhöhung stand ein Knabe, welcher den Engel darstellte und die Geburt Christi verkündete. Dann aber erschienen die Hirten; sie begrüßten Maria und beteten das Kind an. Ihnen folgten die drei Könige etc.

Anfangs wurden diese Darstellungen nur von Geistlichen aufgeführt, später aber auch Laien zu diesem Zwecke verwendet, bis die Spiele zu argen Ausschreitungen führten und aus den Gotteshäusern verbannt wurden. Da gab es z. B. ein Fest der Unterdiaconen, auch das Fest der Narren und das Eselsfest genannt, bei welchem sich die Schuljugend einen Bischof wählte und die kirchlichen Ceremonien nachahmte. Durch Einmischung älterer Personen artete jedoch dieser Brauch bald in so hohem Grade aus, daß die Baseler Kirchenversammlung ihn untersagte, „weil die Einen, in bischöfliche und priesterliche Gewänder gekleidet, den Segen ertheilten, Andere sich als Könige und Fürsten verkleideten, Andere verlarvt Schauspiele, wieder Andere Tänze und Gelage abhielten, und zwar alles in der Kirche.“

Ungebundener entwickelte sich in den späteren Jahrhunderten das Weihnachtspiel auf dem weltlichen Boden. Privathäuser und Gastwirthschaften bildeten seine Zufluchtsstätte. Weltliche dichteten es in verschiedenen Variationen, und Weltliche führten es auf. Eine Sammlung der noch erhaltenen Texte dieser Dichtungen finden wir in dem K. Weinhold’schen Werke „Weihnacht-Spiele und Lieder“ und ersehen aus derselben, daß solcher Spiele Werth tief unter dem der verwandten Passionsspiele steht.

Das gebräuchlichste unter ihnen war das Christkindspiel, welches die Verkündung des Engels Gabriel, die Geburt Christi, die Hirtenanbetung und die Huldigung der drei Könige, sowie den Bethlehemitischen Kindermord behandelte. Einige Proben aus diesem Spiele werden den Lesern einen Einblick in die Composition des Ganzen gestatten. In einem „geistlichen Gespiel“ aus Obersteiermark singt der Chor im Anfange des Stückes:

„In Galiläa ein Jungfrau wohnt
Von großen Qualitäten,
Zu Nazareth ganz wohl bekannt
Von hohen Dignitäten –
Regalisch war sie anzuseh’n etc.“

In einem anderen Christkindspiel lesen wir bei der Darstellung des Kindermordes:

„Hesel der dritt trabant hat ains am Spieß,
Kumbt getreten und spricht:
Ir lieben gselln, wol her wol her,
Zu würgen steet nur mein beger
Die Kinder, so ich han bekummen.

Ich hab ir viln das Leben gnumen,
Darvon trag ich ains an meim Spieß.
Haut drauf, stecht tot, poz peul, poz drües[1]!
Und laßt bei leib gar kaines leb’n.“

Nicht seltener wurde gegen Weihnachten das „Paradiesspiel“ aufgeführt, welches in einigen Texten gleichfalls bis auf den heutigen Tag erhalten blieb. Das eine führt den Titel: „Comedia vom Fahl Ade und Eve biß auf den verheißenen Sahmen Christum, auß fünff Historien zusammen gezogen und in eine kurtze ordnung gefaßt durch Georgium Roll.“

In diesen Paradiesspielen werden die Erschaffung des ersten Menschenpaares, sein Fall und seine Vertreibung aus dem Paradiese dargestellt. Die Sündigen werden dann von den Teufeln vor Gott gebracht, und es erfolgt ein Proceß, in welchem die Gerechtigkeit gegen und die Barmherzigkeit für die Menschen sprechen etc.

Diese allgemeinen Andeutungen dürften wohl genügen, um unseren Lesern das Verständniß für die Weihnachtspiele der Deutschen in Ungarn zu ermöglichen – die einzigen Weihnachtspiele, welche neben den steirischen sich bis jetzt im Volke erhalten haben.

Oberufer bei Preßburg, Zürndorf, Wiesen und Pötschen bei Oedenburg, hart an der nieder-österreichisch-ungarischen Grenze, zumeist nur von Deutschen bewohnte kleinere Dörfer, feiern alljährlich Weihnachten durch „heilige“ Spiele, durch welche die Geburt Christi verherrlicht wird und an welchen sich Alles, was laufen und stehen kann, betheiligt. Die handelnden Personen sind: die heilige Mutter Maria, der heilige Nährvater und Zimmermeister Joseph von Nazareth, ein Stern- und ein Christbaumträger, der Erzengel Gabriel, der Beelzebub, auch Satanas genannt, die drei gläubigen Hirten, Wittak, Richus und Gallus, dann Crispus, der ungläubige Hirt, die Rechtsgelehrten und Pharisäer, ferner die heiligen drei Könige Caspar, Melchior und Balthasar, der römische Reichsverweser Herodes, ein Hauptmann nebst Lakai, und der Wirth. Mithin handeln im Ganzen zwanzig Personen, ausnahmslos junge Burschen oder ledige Männer, die in ihrer charakteristischen Vermummung auf unserm umstehenden Bilde dargestellt sind.

Lange Zeit vor Weihnachten, oft schon zu Ende des Monats September werden die hierzu befähigten Personen gewählt, dürfen jedoch nur dann „mitspielen“, wenn sie sich verpflichten, während der Zeit der Vorbereitung bis zum Schlusse der Spiele allerorts ein frommes tadelloses Leben zu führen. An der Einhaltung dieses Versprechens wird derart strenge festgehalten, daß nicht selten Dawiderhandelnde aus der Reihe der Spieler gestoßen werden, auch dann sogar, wenn der Ersatzmann nicht mehr im Stande ist, die ihm übertragene Rolle vollinhaltlich zu lernen. In einem solchen Falle ist die Stellung des Ausgestoßenen unter den Dorfinsassen keine angenehme; denn er bleibt lange Zeit die Zielscheibe für Hohn und Spott der Jugend, und oft, selbst bei Nacht, wenn er müde unter wärmenden Federn die Glieder streckt, dringt es an sein Ohr:

„Sixt’, warst du schön brav g’west,
Häst’ heuer mit g’macht,
So aber ist’s nix g’west,
Und a no ausg’lacht.“

Nach Erforderniß, oder je nachdem es die Arbeit gestattet, versammeln sich die handelnden Personen bei ihrem Instructor, der entweder der Herr Pfarrer oder der Schulmeister ist, um ihre Rollen dort zu lernen, was nach ihrer Meinung bei einem „g’studirten Mann“ leichter geht, und so lange die Bewegungen des Körpers zu üben, bis sie dieselben tadellos inne haben. Ist der Tag des Festes gekommen, so jagt Satanas, die kurzweiligste Figur des Spieles, durch das Dorf und ladet die Insassen zum Besuche des Spieles ein, indem er, auf einem Kuhhorn tutend, einen ohrenzerreißenden Lärm macht, mit schweren eisernen Ketten rasselt, mit Allen scherzt, Viele schreckt und ängstigt. Bald darauf beginnt der Auszug: Voran geht der Sternträger und ihm zur Linken ein kräftiger Mann, welcher einen mächtigen mit bunten Papierstreifen, Rauschgold, vergoldeten Aepfeln und Nüssen reichgeschmückten Tannenbaum trägt. Ihnen folgen in der Reihenfolge der Hauptmann, Maria, den Erzengel an der Hand führend, Joseph, Herodes und der Lakai, dann die heiligen drei Könige, die drei gläubigen Hirten, die Pharisäer und Gelehrten, diesen zunächst der Wirth und schließlich weit hinter dem Zuge, den Blick auf den Boden gerichtet, Crispus. Der Zug bewegt sich lautlos durch die Dorfstraßen nach

  1. Beule und Drüse.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 842. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_842.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2023)