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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


No. 51.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



 Weihnachtlied.

Nun ist die liebe Weihnachtzeit
     Mit ihren Wundern kommen:
Durch alles deutsche Land ist weit
     Ein heller Glanz erglommen:
Das ist der Glanz vom Weihnachtbaum,
Im Schnee ein Sommersonnen-Traum,
Der Kindheit sel’ger Wonnen-Traum –
     Nie sei er uns genommen! –

Die Kindheit flieht; die Jugend flieht:
     Der Weihnacht-Traum soll dauern.
Wie süß er Mannesbrust durchzieht
     Mit tannenduft’gen Schauern!
Es schmückt den Baum in fernem Land
Des Kriegers waffenmüde Hand:
Wie hat er doch so hell gebrannt,
     Paris, vor deinen Mauern!

Denn was die Weihnacht wahrhaft weiht,
     Ihr Mädchen und ihr Knaben,
Ist nicht die bunte Herrlichkeit
     Der hochgehäuften Gaben:
Das ist die Reinheit, kindlich wahr,
Der Gier, des Neids, der Lüge bar,
Die sich an Lichtglanz still und klar
     Als höchstem Glück kann laben.

Solch reiner Sinn – er bleib’ uns treu –
     Auf allen Lebensbahnen:
Dann wird uns rühren immer neu
     Der Weihnacht hehres Ahnen:
Dann wird der Glanz vom Weihnachtbaum,
Nicht nur ein flücht’ger Wonnentraum,
Im Alters-Schnee ein Sonnentraum
     Uns sel’ger Jugend mahnen.

Königsberg, Weihnachten 1882.   Felix Dahn.




Im Banne der Musen.

Alle Rechte vorbehalten.
Novelle von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


„Conradus aber legte nunmehro das Büchlein auf seine Kniee und erzählete mit leuchtenden Augen, wie arg verfeindet die Sippe der Capuletti und Montague gewesen, und wie Romeo und Julietta sich ganz von ohngefähr bei einer Lustbarkeit gefunben und allsogleich in Liebe für einander entbrannt waren; was der vielliebe Genesende las, das wogete klangvoll und gleichwie Musik durch das Gemach, als schwebeten die Worte schier auf Flügeln.

Noch niemalen hatten mich Menschenworte also durchschauert; wie unter eines Zaubers Bann horchte ich auf und wagete kaum Athem zu schöpfen, und dennoch spürete ich wohl, daß mir das Blut heiß in die Wangen stieg, und ich senkete die Augen. War nicht tausendmal schöner als all das, welches Conradus las, das Wort der Heiligen Schrift, so meine Mutter in die Bibel geschrieben, allwelche ihr erstes Präsent war an den Vater: ,Wo Du hingehest, da will ich auch hingehen; wo du bleibest, da bleibe ich auch; Dein Volk ist mein Volk und Dein Gott ist mein Gott!’

War das nicht herrlicher in seiner Einfachheit denn Julietta’s Liebesworte? Dahinein vermocht ich mich zu denken, nimmermehr aber in solchen Ueberschwang, bei dem mir so lebendig das Liedlein von der Nachtigall vor der Seele stund, das Liedlein von Schuld und Sünde.

Ich folgete nicht mehr des theueren Jünglings Worten und verlor mich schier in tiefes Sinnen. Erst da er verstummte, schreckte ich jach empor und sah Hedwiges blasses Angesicht, aus dem die großen Augen gar geisterhaft zu ihm hinüber schaueten; da sah ich seine Blicke den ihren begegnen, als sei es ein stumm Fragen und Antworten.

,Verstehet Ihr, wie schön es gesaget und gesetzet?’ fragte Conradus endlich.

Hedwige aber sprang auf, ein glühend Roth färbete ihre Wangen, und mit der Hand fuhr sie zum Herzen. Als wollte sie sprechen, stund sie einen Augenblick regungslos da; dann setzete sie sich wieder.

,Und Du, Christel?’ forschte er, und sein begeistert Antlitz wendete sich mir zu. ,Hat es Deinen Beifall, lieb Schwesterlein?’

Ich weiß nimmer, warum ich so abwehrend die Hände ausstreckete und herbe sagte:

,Mit nichten, Conrade, es bedrücket mich und schaffet mir Pein.’

,Nun, so gehe!’ rief er, trutziglich emporspringend, ,lies den Catechismum mit der Base und studire Dein Kochbüchlein!’ Das mag Dir besser taugen.’

Da sah ich, daß er sehr zurnig war, ich wollt’ meine Arme um seinen Hals schlingen, aber er wehrete mir und fing an im

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