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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Durchführung des Riesenwerkes erscheint lediglich noch als eine Frage der Zeit. Freilich nicht einer kurzen; umfaßt doch die Wasserfläche, welche man zu bändigen beabsichtigt, einen Raum von beinahe 200,000 Hectaren, wovon ungefähr 146,000 Hectare oder 32 geographische Quadratmeilen dem Grundgebiete des Staates als Bauland zu Gute kommen würden. Man denke sich nämlich eine ziemlich gerade Linie, welche von Enkhuizen über die Insel Urf nach der Mündung der Yssel führt: die gesammte südlich von dieser Linie gelegene Wasserfläche ist es, welche abgedämmt und trocken gelegt werden soll, während zahlreiche Canäle die Wasserverbindung zwischen den bedeutenderen Ortschaften aufrecht erhalten werden.

Man pflegt zu sagen: das Meer trennt nicht, es verbindet. Von der Zuydersee, wie sie heute ist, gilt das Umgekehrte. Es wird als ein großes Verdienst gelten müssen, diese hemmende Schranke des mitteleuropäischen Verkehrs wenn nicht ganz beseitigt, so doch möglichst eingeengt zu haben. Hoffen also auch wir das Beste und beschließen wir demgemäß diese Zeilen mit dem Ausdrucke der Zuversicht, daß unsern niederländischen Stammesverwandten der Sieg in dem aufgenommenen Kampfe mit einem feindlichen Elemente beschieden sein möge! Dieser Sieg wird dem kleinen Nachbarstaate eine neue Provinz eintragen, aber es wird eine Eroberung sein, die Niemanden neidisch verstimmt und die das „europäische Gleichgewicht“ nicht erschüttert.


Blätter und Blüthen.

Literarische Weihnachtsneuigkeiten. Wir beschließen heute unsern Ueberblick über die uns vorliegenden Novitäten für den Weihnachtsfesttisch mit einer Nachlese aus dem Gebiete der Romanliteratur und einem gedrängten Hinweis auf einige hervorragende Prachtwerke und illustrirte Kinderbücher. - Zuerst also zwei Prosadichtungen:

Eines der liebenswürdigsten Bücher, die jedem Familientisch zur Abendlust gereichen und folglich auch den Weihnachtstisch würdig schmücken, sind die „Altfränkischen Bilder und Geschichten aus dem Erinnerungsschatz meiner alten Tante“ (Coburg, I. G. Riemann’sche Hofbuchhandlung). Hier haben wir ein Muster von Memoiren aus dem Bürger- und Beamtenleben im patriarchalischen Kleinstaat, die bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts zurück und nahe bis zur Gegenwart heranreichen. Aus einem protestantischen Pfarrhause, in welchem sich die städtische Bildung der lieblichen Pfarrtöchter mit bäuerlicher Beschäftigung verbindet, werden wir nach der Residenz Coburg und sogar in den erbprinzlichen Haushalt geführt. Er war sehr einfach, ja fast noch mehr als dies. Das Prinzeßchen Victoria hatte in den Unterrichtsstunden ein ausgewaschenes rosa Kattunkleidchen an, das mit Stücken neuen Kattuns ausgebessert war, und die Prinzen hatten gleichfalls in den Beinkleidern, da, wo sie von den Knieen durchgearbeitet waren, große Stücke eingesetzt, und es waren schon ziemlich lange junge Herrchen, als sie noch mit stark ausgebesserten Stiefeln einhergingen. Das könnte den Leser gleichgültig lassen, aber es erhält Bedeutung durch das, was aus diesen Kindern geworden ist. Das Prinzeßchen mit dem geflickten Kattunkleidchen wurde die Mutter der Königin Victoria, und von den Prinzen wurde der Aelteste Herzog Ernst der Erste von Coburg-Gotha, der zweite der Vater des Königs von Portugal und der Jüngste erster König von Belgien. - Die Fürsten waren damals mächtiger im Lande als jetzt, aber sie standen doch dem Volke näher. Dazu gab’s noch viele Originale, auch unter den Frauen, von denen das Buch die ehrwürdigsten, wie die ergötzlichsten Beispiele vorführt. - Auch die Geistiggroßen sind gut vertreten. An ihrer Spitze stehen Friedrich Rückert und Christian von Stockmar, König Leopold’s Freund. - Hinsichtlich Schad’s, des gewesenen Banzer Mönchs, ist die alte Tante im Irrthum. Er hieß nicht Bruder Placidus, sondern Pater Roman, und wurde nach seiner Flucht aus dem Kloster nicht Clavierspieler in Petersburg, sondern Professor erst in Jena, dann in Charkow, und starb in Jena 1834, wie dies in der „Gartenlaube“ 1869, Nr. 1, erzählt ist. - Wahrhaft erhebend und tiefergreifend äußert sich der Patriotismus der alten Tante in den Befreiungskriegen. Man muß an sich halten, die prachtvolle Stelle hier nicht abzuschreiben. Noch im hohen Alter sagte sie oft: „Ihr wißt gar nicht, Ihr junges Volk, was Freude ist; wer den Einzug unserer Truppen in Paris (1814) erlebt hat, der weiß es.“ - Die herrliche Frau hätte es verdient, noch 1870 mit uns zu jubeln.

Eine sehr beachtenswerthe Gabe der jüngsten Zeit ist: „Die Rose von Urach“. Historischer Roman von Franz Siking. (Mannheim, F. Nemnich.) Um das Leben einer einfachen Försterstochter, der frischen, liebreizenden Waldrose, gruppirt der nach ihr benannte Roman jene Scenen aus dem Hof- und Intriguanten-Treiben, welche mit der unglücklichsten Zeit des Schwabenvolkes beginnen und versöhnend enden mit der Rettung des Fürsten und des Landes durch Hand und Herz der zur Landesmutter erhobenen Franziska von Hohenheim. Die geschichtlichen Gestalten, vom Herzog Karl selbst bis zu jenen gewaltthätigen Männern, welche das Volk „Schwabens Landplage“ nannte, sind mit Portraittreue dargestellt, und die Schilderungen des Hofes und des Adels verrathen ebenso viel ernstes Studium, wie die Bilder aus dem Volke, denen man ansicht, daß sie mit genauer Kenntniß des schwäbischen Volksherzens ausgeführt wurden. Ein Held der Wahrheit, wie der Pastor Theuring, der selbst einem Herzog Karl Achtung abzwingt und ihn zur Einkehr in sich zu bewegen vermag, ist eine herzerhebende Erscheinung, wie kein gewöhnliches Talent sie in’s Leben ruft. Und wenn wir die schöne Waldrose selbst, die Emmy Theuring, vom höchsten Glück der Liebe bis zum tiefsten Wehe der Verlassenheit versinken und in Sehnsucht nach dem würdigen Gatten dahin siechen sehen, so hat doch Muth, List und Treue eines Mannes aus dem Volke sie davor bewahrt, als Betrogene und Entehrte unterzugehen: sie stirbt mit der reinen Würde einer Gattin und Mutter, und nach ihr waltet „die Hand der Vergeltung“. Wir freuen uns, ein solches Werk empfehlen zu können, um so mehr, als wir aus der Feder F. Siking’s bereits eine historische Erzählung für die „Gartenlaube“ erworben haben.

Aus der Zahl der uns vorliegenden Prachtwerke heben wir die folgenden mit Auszeichnung hervor:

Goethe’s Werke, illustrirt von ersten deutschen Künstlern“. Herausgegeben von Heinrich Düntzer (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt). Ein dankenswerthes Unternehmen, das sich den in demselben Verlage erschienenen früheren illustrirten Prachtausgaben bedeutender Dichter (Shakespeare und Schiller) als drittes würdig anschließt. Es liegen uns bis jetzt fünfzehn Lieferungen des Werkes vor, und wir dürfen auf Grund derselben diese Goethe-Ausgabe als eine literarisch-künstlerische Publication bezeichnen, die, was elegante Ausstattung und ästhetischen Werth betrifft, alle Achtung verdient, wenngleich wir uns nicht verhehlen können, daß die Illustrationen, die theilweise von bedeutenden Meistern herrühren, von einigermaßen ungleichem Werthe sind; neben ganz Vorzüglichem, wie es die Zeichnungen zum West-östlichen Divan sind, steht einiges Minderwerthige. Trotzdem aber hält sich alles hier Gebotene auf der achtbaren Höhe eines edlen Geschmackes, und dürfen wir daher die Aufmerksamkeit unserer Leser auf das Werk nachdrücklich hinlenken.

Gustav Freytag-Gallerie“. Nach den Originalgemälden und Cartons der ersten Meister der Neuzeit photographirt in 30 Blättern von F. Bruckmann in München. Mit begleitendem Texte von Johannes Proelß und Julius Riffert (Leipzig, Edwin Schloemp). Die längst im Buchhandel befindlichen, beliebten und bekannten Kunstblätter sind hier zu einem geschlossenen Werke vereinigt, in welchem sich zur Veranschaulichung des reichen poetischen Schatzes, welchen Gustav Freytag der deutschen Literatur zugeführt hat, die bildliche Darstellung mit der des literarischen Essayisten (Proelß-Riffert) verbindet. Es wird uns somit in dieser Textausgabe ein vollständiges Bild von des Dichters Enwickelungsgang und Bedeutung in artistisch reicher Form vorgelegt, womit die Verlagshandlung gewiß dem Bedürfnisse kauflustiger Besucher des Weihnachtsbüchermarktes in jeder Weise entgegenkommt.

Rom in Wort und Bild“ von Rudolph Kleinpaul (Leipzig, Schmidt und Günther). Diese Schilderung der „ewigen Stadt“ und der Campagna zeigt sich mit jeder neu ausgegebenen Lieferung ihrer Aufgabe mehr und mehr gewachsen: in Text und Illustrationen ein anschauliches und instructives Bild der Trümmer des alten und der Prachtbauten des neuen Rom zu bieten. Die durchaus auf Selbstanschauung und eingehenden Studien beruhenden Schilderungen werden durch eine Reihe von Bildern geschmückt, welche ausnahmslos eine gute technische Herstellung documentiren und dem Verständnisse des den Text studirenden Lesers auf das erfreulichste zu Hülfe kommen. Alle Freunde Roms werden in dem Kleinpaul’schen Werke eine willkommene Lectüre finden.

Griechenland in Wort und Bild“. Eine Schilderung des hellenischen Königreiches von A. von Schweiger-Lerchenfeld (Leipzig. Schmidt u. Günther). Ein Werk, welches sich dem soeben erwähnten in Idee und Anlage eng anschließt. „Es soll,“ heißt es in der Einleitung, „dem Leser in großen und erschöpfenden Zügen ein Gemälde der hellenischen Welt vorführen, und zwar vorwiegend, wie sie sich heute darstellt. Auf dieser reellen Unterlage soll dann die Erinnerung an das antike Leben ihre verschollenen Herrlichkeiten aufbauen, die Landschaften beleben, den Zusammenhang der Erscheinungen zwischen Ereigniß und Schauplatz herstellen und die Lücken zwischen Vorstellung und Wirklichkeit überbrücken.“ Das vollendet vorliegende Werk hat dieses Programm auf’s Beste verwirklicht und ist eine Publication von dauerndem Werthe.

An Rom und Griechenland fügt sich zwanglos an: „Palästina in Bild und Wort“. Herausgegeben von Georg Ebers und H. Guthe (Deutsche Verlagsanstalt, Leipzig und Stuttgart). Ein Prachtwerk im vollsten Sinne des Wortes, auf welches wir bereits im vorigen Jahre die Aufmerksamkeit unserer Leser hingelenkt. Der soeben erschienene erste Band enthält 21 Stahlstiche und an 300 Holzschnitte, welche fast ohne Ausnahme als Meisterwerke der vervielfältigenden Kunst bezeichnet zu werden verdienen. Aber nicht allein diese geschmackvolle, echt künftlerische Ausstattung und der Reiz der Geschichte sowie der biblischen Legende gestaltet das Buch zu einer äußerst anziehenden Erscheinung, sondern auch der textliche Theil desselben bietet einen fesselnden und gediegenen Inhalt. Der Name Georg Ebers bürgt schon allein für eine wahrheitsgetreue und meisterhafte Schilderung jenes „heiligen Landes“. Der Umstand aber, daß einer der Herausgeber, Hermann Guthe, im vorigen Jahre um wissenschaftlicher Forschungen willen Palästina bereiste, hat es noch ermöglicht, daß in diesem Werke überall den neuesten Zuständen in maßgebendster Weise Rechnung getragen wird. Wir finden in dem ersten Bande Schilderungen von Jerusalem und Bethlehem, von Judäa und Galiläa, von Sichem und Samaria, sowie von Damascus, Palmyra und Ba’albek. In dem geschmackvollen Einbande, welchen die Deutsche Verlagsanstalt ihren Abonnenten liefert, ist dieses Prachtwerk wohl geeignet, selbst den anspruchsvollsten Weihnachtstisch zu schmücken.

In der Sommerfrisch“. Federzeichnungen von Hugo Kauffmann (Stuttgart, Bonz u. Comp.) und „A Hochzeit in die Berg’“.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 818. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_818.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2023)