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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

der Feinde der Fische die Schongesetze und die Schutzmaßregeln zu unterstützen.

Nun zählt man aber ganz irrthümlich unter die Feinde der Fische auch Thiere, deren Eingriffe in den Fischbestand nicht von solchem Belang sind, daß man berechtigt wäre, sie für vogelfrei zu erklären und so hat man denn auch, bewogen durch eine überspannte Liebe zum Fischereigewerbe und zur Fischzucht, neuerdings zwei Vögel ganz ungerechtfertigter Weise vor Gericht gezogen. Eisvogel und Wasseramsel - ja sie haben sogar an gewisser Stelle schon ihr Urtheil empfangen - das Todesurtheil.

Den Eisvogel, diesen fliegenden Edelstein, dessen Smaragd- und Lasurschiller das Auge des Menschen wahrhaft entzückt, brauchen wir nicht näher zu schildern denn alle Welt kennt ihn, und sein Bild ist dem Leser durch die „Gartenlaube“ (Jahrg. 1870,S. 388) bereits vorgeführt worden. Das Minnespiel eines Eisvogelpaares im Frühling oder das Treiben der Alten und der ausgeflogenen Jungen im Sommer prägen sich dem Naturfreunde unvergeßlich ein, wenn sein beobachtender Blick sich einmal daran ergötzt hat. Ein solches Juwel unserer Gewässer der Vernichtung preiszugeben - dieser Entschluß kann nur gebilligt werden, wenn der Verurtheilte des schweren Verbrechens völlig überwiesen ist und kein Milderungsgrund das Strafmaß oder die Strafart abzuschwächen vermag.

Wohl steht der Eisvogel seiner Natur und Körperbeschaffenheit nach als ausgeprägter Fischfresser in der Reihe der befiederten Fischjäger. Man betrachte nur den langen, geraden, vierseitigen Schnabel und den keilförmigen Bau seiner ganzen Gestaltung, und man wird hierin schon die typische Grundlage zu einem tüchtigen Taucher, Ruderer und Stoßfischer erblicken.

In der That liegt er der Fischjagd vom frühen Morgen bis zum späten Abend ob, und lauernd sitzt er an Wehren, auf Schleußen und seinen sonstigen Lieblingsplätzen, um sich kopfüber in das Wasser zu stürzen, sobald sich ihm ein Opfer darbietet. Doch stößt er auf seinen Fischjagden nach unserer sorgfältigen Beobachtung sehr oft fehl, zumal wenn das Wasser trüb ist. Auch betreibt er keineswegs ganz nebensächlich die Insectenjagd, mit Vorliebe sogar die Verfolgung der Libellen. Er erscheint überaus als rastloser Fischer, und da er ausgezeichnet verdaut und sich nach kurzer Siesta durch den Auswurf des Gewöllballens den Appetit immer wieder erneuert, so darf die täglich ihm zur Beute fallende Anzahl kleiner Fische nicht unterschätzt werden.

Nun entsteht die Frage, in wie fern ein solcher Raub den vorhandenen Fischbestand schädigt.

Zunächst fällt entlastend für den Schaden der Umstand ins Gewicht, daß die eigentliche Heimath des Eisvogels die Ebene bildet mit ihren größeren und breiteren Flüssen, welche reich sind an allerlei gemeinen Fischarten, besonders an kleinen Fischen, welche eben ihrer Unbedeutendheit wegen gar nicht oder nur in sehr geringem Umfange den Menschen zur Nahrung dienen und etwa nur als Futter für Raubfische willkommen erscheinen. Unter diesen Arten und weniger unter den edleren Fischen räumt der Eisvogel auf, aber seine Räubereien sind außerdem schon darum für den Fischer weniger empfindlich, weil er ein weites Jagdgebiet beherrscht, das oft eine viertel oder halbe Stunde Weges beträgt; denn die verschiedenen Paare grenzen eifersüchtig ihre Wohngebiete gegen einander ab. Die in der Nähe von großen Flüssen liegenden Teiche werden ab und zu auch von dem Eisvogel besucht, aber auch hier hält er sich hauptsächlich an die werthloseren Fische, wenn sie ihm durch Fürsorge der Teichbesitzer geboten werden.

Anders freilich verhält es sich mit seinem Raube in den Gebirgsgewässern, welche seicht sind und vorzüglich die edle Forelle beherbergen. Wäre er da so häufig vertreten, wie in der Ebene, so würde man genöthigt sein, sein Artcontingent zu beschränken. Aber wie wenige Paare trifft der Forscher und Beobachter im Gebirge an, wie hoch erfreut ist er, wenn er an einer Mühle endlich auf einen Eisvogel stößt! Und nun gar im Winter, wo die Nahrung des Eisvogels lediglich aus Fischen besteht! Er weicht alsdann dem Gebirgsklima aus oder wird oft, wie in dem kalten Jahre 1879, ein Opfer des Todes. Hier, wie in der Ebene hat die allwaltende, ausgleichende Natur Sorge getragen, daß seine Vermehrung nicht allzu bedenklich werde: den Bruten der Eisvögel drohen die Elemente und gewisse Thiere sehr häufig Zerstörung.

Nur an Fischzüchtereien soll man den Eisvogel nicht dulden. Da verurtheile und vertilge man ihn! Fern von denselben aber verdient dieser brillanteste der europäischen Vögel rücksichtsvolle Schonung. Nichtsdestoweniger hat der Fischerei-Verein in Kassel die Entfernung des Eisvogels aus der Reihe der durch das Gesetz geschützten Vögel bei der betreffenden Regierung durchgesetzt, sodaß seine Tödtung mit einer Prämie belohnt wird, und ein gleiches Schicksal theilt mit ihm die anmuthige, allerliebste Wasseramsel (Cinclus aquaticus), der Sänger der klaren, kies- und steinreichen, erlenbewachsenen Gebirgsflüßchen

Die Thierschutzvereine haben gegen diese unbillige Maßregel Protest eingelegt, und unser Gutachten über das Verhältniß beider Vogelgattungen erbeten. Wir haben uns mit den besten Gründen dem Proteste angeschlossen.

Wir sind es allerdings gewesen, die zuerst durch tagelange Beobachtungen mittelst des Doppelperspectivs im Freien zu der Einsicht gelangt sind, daß und wie die Wasseramsel die Fischjagd betreibt. Auf die von uns erlangten Resultate berief sich der Fischerei-Verein ohne zu vermuthen, daß der Vogel trotz seiner Vorliebe für Fischfleisch unserer warmen Fürsprache sicher sei.

Die Grundstimmung der weniger bekannten und nur im Gebirge heimischen Wasseramsel ist eine auffallend heitere und findet in den sich häufig wiederholenden Knicksen des Vogels ihren charakteristischen Ausdruck. Die Wasseramsel taucht vortrefflich, schwimmt mit raschen Ruderstößen, als ob sie durchs Wasser stiege, und läuft sogar ganze Strecken auf dem Boden der Gewässer. An klaren, seichten Stellen erbeutet sie die kleinen Fische durch raschen Sturz in das Wasser, jedoch nicht als Stoßfischer; an tieferen Plätzen, namentlich in der Fluth und an Orten, die von Wassergewächsen umgeben sind, gebraucht sie, schwimmend und am Ufer watend, den Schnabel, ähnlich der Ente, als Tastwerkzeug. Oder sie stürzt sich auch in die Tiefe und treibt die Fischchen in die Enge, wo sie dann leichter von ihr ergriffen werden können.

Die stecknadelgroßen Fischchen verschlingt sie ganz, die größeren zerstückt sie auf Steinen oder am Ufer mit Schnabelhieben. Im Frühjahre 1879 haben wir bei hoher, reißender Fluth im Flüßchen Schwalm bei Alsfeld mehrere Paare beobachtet, wie sie sich vereinigt der Fischjagd hingaben. Mit bewundernswürdiger Gewandtheit fingen die Wasseramseln die winzigen Fischchen, und da ihnen andere Nahrung mangelte, so war ihre Ausbeute eine beträchtliche. Nachdem aber der normale Wasserstand wieder eingetreten war, fanden wir die Paare auf je zwei Kilometer Entfernung von einander getrennt und hauptsächlich der Jagd auf den Flohkrebs (Gammarus pulex), ein zwanzig Millimeter langes Thierchen, welches unter Steinen, im Uferrasen und Schlamm des Flüßchens und der Mühlgräben lebt, eifrig hingegeben. Der Vogel wälzte sogar mit dem Schnabel faustdicke Steine am seichten Ufer um und pickte eilend die darunter befindlichen Flohkrebse im Wasser auf - ein Beweis seiner Vorliebe für diese Nahrung.

Im Winter bildet der Flohkrebs, wie wir uns unwiderleglich überzeugt haben, die Hauptnahrung der Wasseramsel, und was sie da an Fischchen erbeutet, berührt nur in verschwindendem Maße den Bestand der Forellen, die sich in der Tiefe halten. Im Sommer aber tritt die Fischjagd zurück vor der Menge der Wasserinsecten und den Weichtieren, die dieser Vogel nicht weniger als die Fische liebt. Hauptsächlich sind es dann auch Insecten und Flohkrebse, mit welchen er seine Jungen im Neste und bei der Führung außerhalb desselben füttert. Das Paar beherrscht die bereits angegebene Strecke von zwei Kilometern und duldet in seinem Jagdgebiete kein zweites Paar, es sei denn zur Zeit der Noth, welche im strengsten Winter eintreten kann, und außerdem bei Hochfluth. Die Schädigung des Fischlaichs durch die Wasseramsel ist kaum in Anschlag zu bringen, jedenfalls aber nicht im Entferntesten mit der Raubtätigkeit unserer zahmen Enten nach dieser Richtung hin zu vergleichen. Eine Uebervölkerung der Wasseramsel ist vermöge der Unduldsamkeit derselben gegen Ihresgleichen nicht möglich. Selbst die Jungen müssen, sobald sie selbstständig geworden sind, der rücksichtslosen Herrschsucht und Selbstsucht ihrer Artgenossen weichen und sehr oft in andere Fluß- oder Bachthäler auswandern.

Gestützt auf unsere gründlichen Untersuchungen und Beobachtungen rufen wir den Verfolgern der Wasseramsel ein ernstes Halt zu und alle Regierungen zum Schutze der verkannten und mißhandelten Vögel an. Wir wiederholen an dieser Stelle, was

wir in unserem eben scheinenden illustrirten Werke „Thiere der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_811.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2023)