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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Gar oft sagte meine Mutter zu mir, wann die Karosse der Prinzessin mit dem Isabellengespann aus dem Schloßgarten durch die Gitterpforten rollte: ‚Geh vor die Hausthür, Christiane, faß Dein Röcklein und mach ein compliment! Prinzeß Liselotte kombt anitzt.‘ Und dann stand ich auf den Stufen der Treppe mit pochendem Kindesherzen und sah das schöne Frauenhaupt sich vorbeugen. Ich weiß nicht, wie es kam, aber es dünkte mich oftmals, es sei das Lachen von ihren Lippen gewichen, da sie unser Haus geschauet. –

Prinzessin Liselotte war unvermählet geblieben. ‚Sie schlägt alle Freier aus,‘ behauptete Base Wieschen. Base Wieschen wußte auch, sie sei hochmüthig und leichtsinnig. Das klang meinen Ohren nicht wohl, und ich begann zu weinen darum.

Die Sonntage meiner Kinderzeit, sie leuchten wie güldne Sternlein aus meiner Erinnerung. Wie feierlich war es schon beim Erwachen, wie schön erschien mir das Röckchen von grünwollnem Atlas, mit dem Base Wieschen mich schmückte! Im ganzen Hause duftete es gar lieblich nach frischen Tannenzweigen, die wir Tages zuvor aus dem Walde geholet, und die nun, klein zerpflücket, auf dem weißen Sande des Estrichs lagen. Kaum geredet wurde beim Morgensüpplein; das theilete der Vater heute nicht mit uns. Er pflegte beim ersten Anläuten langsam feierlich im schwarzen Talar aus seinem Studirstüblein zu treten und gemessenen Schrittes den Schloßberg hinanzuwandeln, denn dazumalen war noch der Gottesdienst in der Kapellen, innerhalb der fürstlichen Gemächer. Klangen zum drittenmale die Glocken, so folgten wir zur Kirche, auf meinem Gebetbüchlein aber fand ich jedesmal einen frischen Strauß, zumeist rother und gesprenkelter Nägelein, deren würziger Duft mir der liebste war unter den Blumen. Das hatte Conradus gethan. Und dann faßte ich seine Hand, so gingen wir zusammen, die Mutter mit Walther folgte.

Von des Vaters Predigten verstand ich nicht viel, von all seinen Reden ist mir nur eine erinnerlich geblieben, die, so er an dem Tage hielt, da Conradus und Walther confirmiret wurden. Alles andere flog wie leerer Schall an meinen Ohren vorüber, denn ich sah immer nur Eines in der Kirchen, und das war Prinzeß Liselotte. Gar oft beim sonntäglichen Abendbrode, wann der Vater uns über den Text seiner Predigt ausforschete, um zu sehen, ob das Samenkorn, so er gesäet, auf guten Boden gefallen, wußte ich nimmer Bescheid zu thun, und er zürnte dann:

‚Träumerin, woran denkst Du in unseres Gottes Hause?‘

Conradus aber erging es vielemale nicht anders, und das war schlimmer, da er doch dem geistlichen Stande bestimmet war. Und eines Sonntages geschah es, daß ein heftiger Auftritt uns Alle sehr erregete. Damals zählte Conradus sechszehn Jahre und gedachte im Herbst das Gymnasium zu absolviren, um darnach in Helmstedt seine studia theologica zu beginnen.

Es war nach der Abendmahlzeit und ein regnerisch Wetter hielt uns in der Stuben, nur Walther war in die Wildmeisterei geschlichen, den Fuchs an der Kette zu necken, mit den Hunden zu spielen und sich von den Jägerburschen sonderliche Abenteuer berichten zu lassen. In der Dämmerung hockte ich am Fenster und schauete nach dem Schlosse hinauf, wo ein Lichtlein nach dem andern aufflammete, Conradus aber lehnte mir gegenüber in der tiefen Wölbung und sah träumend hinaus, wo Regen und Wind selbander kämpften; die Mutter schaffte in der Gesindestube.

,Wie denkest Du, Conrade,’ fragte dann auf einmal des Vaters Stimme dicht neben uns, daß wir erschrocken emporfuhren; ‚wie denkest Du über die Auslegung des Vaterunser, wie ich sie heute vorgebracht in meinem Sermönlein? Es stehet geschrieben: Führe uns nicht in Versuchung! Unser Herr Christus hat siegreich bestanden, aber kann es dem schwachen Menschen als eine so große Sünde angerechnet werden, so er nicht standhaft ist, wiewohl er doch verlocket und verblendet wird von höllischer Macht?‘

Sein jung blaß Gesicht färbte sich dunkelroth, er schwieg.

‚Ich wage nicht, Entscheid zu thun,‘ antwortete er dann.

‚Weil Du zu faul bist zum Nachdenken!‘ brauste jäh der Vater auf, ‚sonsten würdest Du sagen müssen „mit unserer Kraft allein vermögen wir solches nicht, so uns Gott nicht gnädig hilft.“‘ Der Vater hatt' absonderlich heftig gesprochen. ‚Du solltest Dein Augenmerk mehr auf diese Materiam richten,‘ fuhr er fort. ‚Woran denkest Du, welch’ thörichte Sachen treibest Du? Ist es schicklich für einen angehenden Studiosum theologiae, Verse zu machen, die an Farbe und Gluth jene übertreffen, so Du im Ovidio liesest?‘

Und er hielt zorniglich ein Blättlein Papier dem Sohne vor die Augen, der aber war mit einem Satze vom Fenstertritt herunter, und lag auf den Knieen vor dem Vater.

‚Ich bitte Euch,‘ rief er schier außer sich, ‚lasset mich ein ander Studium erwählen, so paßlicher ist für mich!‘

Der ernste Mann antwortete nicht, es war ein unheimlich Schweigen in dem Gemach; nur der Regen schlug an die Fenster und der Wind rüttelte die Läden.

‚Geh' hinaus, Christiane,‘ gebot der Vater, da ging ich und setzete mich in der Küche auf die Herdbank und faltete die Hände; denn ich ahnete, daß sich dort innen das Glück oder Unglück eines Menschenlebens entschied.

Die Base saß und schlief, und ein Heimchen zirpete am Herde, dann schritt die Mutter leisen Fußes über den knisternden Sand des Flurs; eine Stubenthür knarrete, und jetzt ward es ganz stille, lange – lange. Und nun gingen wankende Schritte die Stiegen hinan – das war Conradus. Ich stund auf, ihm zu folgen, da hörete ich der Mutter flüsternde Stimme:

‚Conrade! Conrade! Laß mich noch reden mit Dir, mein herzliebes Kind! Haben wir nicht allzeit als treue Eltern gesorget für Dich?‘

Er aber stürmete hinauf, und die Mutter eilte ihm nach, eine Thür schloß sich oben, und bangen Herzens schlich ich in mein Kämmerlein, das ich mit Base Wieschen theilete, und dorten lag ich und kunnt nimmer schlafen.

Die Alte ruhete längst im Schlummer, als ich Tritte vernahm auf dem Vorplatze, ich warf mein roth Röcklein über und schlich hinaus, da sah ich Conradus in dem falben Dämmerlichte, das der Mond trotz der Regenwolken spendete, auf der obersten Treppenstufe sitzen, er hielt die Hände vor dem Antlitz. Ich lief zu ihm und schlug die Arme um seinen Hals, ‚Conrade, warum weinest Du?‘ Da hob er sein Gesicht, es sah schier aus wie das eines Todten. Ich hockte neben ihn und liebkosete ihn, und dabei tastete ich von ohngefähr auf etwas – was war das? sein Reisetäschlein, wohlgepackt und verwahrt, und sein Wanderstecken lag daneben.

‚Was willst Du thun, Conrade?‘ fragte ich erschrocken.

‚Ich weiß es nicht, Christiane, der Kopf ist mir gar so heiß – am liebsten ginge ich fort und käme niemalen wieder, am allerliebsten aber möcht' ich sterben –'

‚Aber hast Du denn die Mutter nicht lieb?‘ forschete ich in großer Herzensangst. Da fuhr er empor wie von Schlangenbissen gestochen, und dann senkete er den Kopf gegen die Säule der Stiege und begunnte bitterlich zu weinen.

So saßen wir stumm neben einander, und endlich küssete er mich auf den Mund und sagte: ‚Geh schlafen, Christel, Du verstehest nicht, weshalb ich weine.‘ Und er nahm mich auf den Arm, damit meine nackten Füße den kalten Gyps nicht berührten, und ich küssete ihn wieder und schlang die Arme um ihn und nennete ihn meinen lieben, herzlieben Bruder und fragte, ob er jetzund schlafen gehen werde und bei uns bleiben? Da vernahm ich ein ‚Ja!‘ aber es klang schier verzagend und leise.“

(Fortsetzung folgt.)




Populäre heimische Vögel auf der Anklagebank.
Eine praktische vogelkundliche Untersuchung.
Von Gebrüder Adolf und Karl Müller.
(Schluß.)


3. Eisvogel und Wasseramsel.

Es ist im volkswirthschaftlichen Interesse freudig zu begrüßen, daß zum Zweck einer stärkeren Bevölkerung unserer Gewässer mit schmackhaften Fischen größere und kleinere Gesellschaften in neuerer Zeit eine segensreiche Arbeit beginnen. Zum Schutz der Fischereien reichen sich Regierungen und Freunde des Volkswohls die Hände, und man folgt dabei auch mit Recht den Winken der Autoritäten, um durch Verfolgung und Vertilgung

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