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verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


No. 49.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Im Banne der Musen.

Novelle von W. Heimburg.

Es war vor ungefähr fünf Jahren, als ich vom Hofmarschallsamt zu Z. den ehrenvollen Auftrag erhielt, ein in der fürstlichen Sommerresidenz Falkerode belegenes Haus stilgerecht zu renoviren und zum künftigen Wohnsitze der Prinzessin einzurichten, welche nach kaum zweijähriger Ehe und noch nicht vierundzwanzig Jahre alt, verwittwet an den väterlichen Hof zurückgekehrt war.

Die hohe Dame hatte einen äußerst regen Kunst- und Schönheitssinn, der sich namentlich der altdeutschen Kunst zuneigte, und dem entsprechend wünschte sie ihren Wittwensitz eingerichtet zu haben. Sie schrieb mir persönlich:

„Das schöne alte Haus zu Falkerode, welches ich durch Sie, geehrter Herr, restaurirt und für mich ausgebaut haben möchte, steht seit vielen Jahren unbewohnt. Es ist ein Bau aus der besten Zeit der Renaissance und war einst die Wohnung des fürstlichen Hofpredigers. Als die Residenz vor mehr als fünfzig Jahren nach Z. verlegt wurde, hat Seine Durchlaucht, mein Vater, das Haus schließen lassen.

Mir ist das alte Gebäu von jeher interessant gewesen, und ich bitte Sie, mir dasselbe zu einem gemüthlichen Heim zu gestalten. Sie werden Vieles schadhaft und vernachlässigt finden, wie es nicht anders sein kann; ich bitte Sie, erstatten Sie mir deshalb zunächst Bericht, in welchem Zustande Sie das Gebäude gefunden haben …“

An einem nebeligen Septembermorgen, nicht lange nach Empfang dieser Zeilen, keuchte denn mühsam eine Extrapost, deren einziger Insasse ich war, den steilen Weg hinan, der, immer durch den herrlichsten Hochwald, nach Falkerode führt. Die Kuppen der Harzberge waren von dichtem Nebel umhüllt, aber schon zeigte er jenen silbernen Glanz, der das Hervorbrechen der Sonne jeden Augenblick erwarten läßt. Noch war das Laub der Buchen üppig und frisch; nur zur Seite des Weges schauten, an den Herbst mahnend, purpurn die Ebereschen aus grüner Blätterfülle hervor. Ein wunderbares Düften, wie ich es niemals anderswo, als gerade im Harz, wahrgenommen, quoll mir aus dem Walde entgegen. Rings umher feierliche Stille, nur unterbrochen durch den Schall einer Axt, der tief aus dem Buchenschlage zu mir herüber klang.

Ich war die Nacht hindurch gefahren, in Folge dessen müde und – daß ich es gerade heraus sage! – auch nicht sonderlich erbaut von der Aussicht, ein halbes Jahr oder länger inmitten der Harzwälder in einer ehemaligen Residenz zu sitzen, die, nach Allem, was ich davon gehört, das langweiligste Nest sein mußte, das auf der Welt existirt. Ich hatte mich vor einigen Wochen verlobt, und begreiflicher Weise kam mir der Auftrag Ihrer Durchlaucht jetzt nicht gerade gelegen; meine kleine Braut hatte sogar herzhaft gescholten über „Prinzessinnen-Launen“ – es klang fast hochverrätherisch, und um ein Haar hätte ich jetzt in meiner Extrapost das Scheltwort meiner Braut ingrimmig wiederholt, wäre nicht im Hintergrunde, wenn auch vorerst nur in äußerst blassen Farben, ein altes spitzgiebeliges Haus aufgetaucht, mit massivem Sandstein-Frontispiz, mit Eckthürmchen und all dem köstlichen Schmuck der edelsten Renaissance, das wohl im Stande ist, den Baumeister zu reizen, wie ein edles Wild den Jäger oder ein seltenes Gemälde den Sammler. Wenn es nur nicht gar so weit von D., wenn wenigstens Bahnverbindung vorhanden gewesen wäre, daß ich über Sonntag manchmal bei meiner Braut hätte sein können, in der gemüthlichen Wohnstube der Schwiegermutter, aber so? Weihnacht vielleicht, und das war noch so entsetzlich lange hin.

In diese Betrachtung verloren, hatte ich nicht bemerkt, daß wir auf der Höhe des Berges angekommen waren, und wurde erst durch die schmetternden Töne des Posthornes aufgeschreckt: der Schwager blies ein Liebesliedchen, als hätte er meine Gedanken errathen.

„Lebt wohl, ihr Augen, ihr schönen blauen,
Die ich nicht mehr bewundern kann –“

flüsterte ich mit, aber dann brach ich ab und vermochte kaum einen Ausruf des Erstaunens zu unterdrücken. Der Nebel hatte sich vertheilt; wie umflattert von weißen Schleiern thürmten sich bewaldete Berge nahe vor mir empor, und von einer dieser Kuppen grüßte im Glanz der Herbstsonne das weiße stattliche Schloß zu mir herüber, mit seinen schlanken Thürmen sich prächtig abhebend von dem dunklen Hintergrunde des mit Tannen untermischten Buchenwaldes. Ein feiner Duft lag über dem schönen Bilde, das mir nun plötzlich alle Sinne gefangen nahm. Der Wagen rollte rasch bergab und bog dann, ein Wildgatter passirend, in den Schloßgarten ein, der sich, Hunderte von Morgen groß, in schattiger Einsamkeit vom Schloßberge zu Thale zieht, stille Teiche umschließend, laubreiche Wildnisse und köstliche Blumenparterres bildend, in denen der plätschernde Springbrunnen oder die Gestalt eines Gärtnerburschen das einzige Lebende waren, was meine Augen erblickten. Dann gelangten wir durch eine kunstreiche schmiedeeiserne Gartenpforte, vorüber an den fürstlichen Marställen, auf einen freien Platz; links neben uns wird er von dem Bergkegel, der das Schloß trägt, vor uns und zur rechten Seite aber von mannigfachen Wirthschaftsgebäuden umgrenzt, und gerade abwärts führt eine üppige Kastanienallee in das winzige Städtchen, welches inmitten seiner Obstgärten am Fuße des Berges liegt.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1882, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_805.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)