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verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

welche er noch in den letzten Jahren verfaßt und mit ungedruckten älteren Dichtungen erst jüngst herausgegeben hat.

Nicht allein die geistige Kraft aber ist ihm treu geblieben (erst vor etwa Jahresfrist stellte er seine Collegien über Mineralogie an der Universität ein) – auch seine durch nichts dauernd zu trübende Heiterkeit, sein unverwüstlicher Humor, ja auch seine harmlos spottende Schalkhaftigkeit verließen ihn nicht bis zuletzt. Als die Siebenziger herangekommen waren, begrüßte er sie unehrerbietig genug, indem er den fatalen Monsieur Sieben als „Galgenfigur“ charakterisirte und es ganz offen aussprach, er traue „dem Kerl“, welcher nun sein Begleiter sein solle, nur „mit Rückhalt“. Jedoch ließ er der Zahl die eine Möglichkeit offen, daß sie statt eines Galgens ein Krahn sei, welcher (wenn auch noch lieber in die Achtzig hinein) wenigstens sanft in die Ewigkeit hinüberdrehe. „In letzterem Sinne“ (so schließt er das Gedicht)

 „will ich’s interpretiren
Und grübeln nicht weiter und sinniren;
Nur soll der Krahn in freundlichen Gnaden
Sich nicht beeilen bei’m Ueberladen
Und nicht sich umdreh’n vor der Zeit;
Denn da ohne Ende die Ewigkeit,
So braucht’s keine Hast, zu leeren den Krug –
Ich komm’ ja doch immer noch früh genug.“

Der „dickbauchige Achter“ war ihm freilich lieber, als der „Galgensiebener“, ja wir sind fest überzeugt, daß ihm unter allen Umständen am allerliebsten gewesen wäre, „auf neunzig eingeschrieben“ zu sein (um was sich die köstliche Geschichte des – dem Dichter congenialen – Brandnerkaspers dreht); denn Kobell hat im höchsten Alter sich seines Lebens mit demselben kindlichen Gemüthe gefreut, wie in glücklichster Jugend.

Mit wahrhaft jugendlicher Lust gewann er selbst dem Gebrechen des höchsten Alters eine heitere Seite ab. Gerade Kobell wurde vom Alter im Verhältniß zu anderen wetterharten Jägernaturen früh gebeugt. Er widmete dem Alter ein besonderes Gedicht: „Der Rucksack“ (jener für alle Bergsteiger unübertrefflich praktische Reisebegleiter). In diesen Rucksack, welchen Jeder trägt, sagt Kobell, kommen nämlich die Jahre hinein. In der Jugend trägt man leicht daran, allein es kommen dann Jahre, welche schwer niederdrücken:

„Schaug’s an die alten Kraxler, gel’!
Wie müssen die sich plag’n
Mit so an’ Sack, wenn’s d’rinn amal
An achtzgi ebba tragn’!

Der Buckl allwei’ krummber werd;
Der Sack wird allwei’ schwaarer,
Und Koaner hat’s no’ zweg’n bracht,
Wie daß er’n machet laarer.

Dees is ja recht a’ zwidri Gschicht,
Und kannt’ ’ma wohl studir’n:
Für was denn trag’n die dumme Jahr,
Die kunnt’n zu Fuß marschir’n!

No! ’s werd schon müssen a so sein,
Und dees ist halt das Beßti,
Daß’s Oan wie dem Andern geht –
Schau Bua und mit dem tröst’ Di’!“

Dies die Lebensweisheit eines Mannes, welcher – wissenschaftlich tüchtig wie Wenige – bis zum höchsten menschlichen Lebensalter heiter und glücklich gelebt, welcher allerdings auch bescheiden wie wenige über Vieles sich gefreut hat, was Andere als pflichtschuldigsten Tribut für ihre Verdienste kalt hinnehmen. Wie herzlich freute er sich in seinem dankbaren Sinne noch über die ihm zu Theil gewordenen Ehrenbezeigungen der letzten Zeiten, besonders bei Gelegenheit der im December 1876 gefeierten goldenen Hochzeit! Freilich Eins ist hierbei nicht zu vergessen und von gar Wenigen nachzumachen. Er lebte sein an Arbeit und Genuß, an Enttäuschungen und Freuden reiches Leben zugleich als Dichter von Gottes Gnaden, welcher Alles, was das Menschenherz bewegt, im verklärten Lichte schaut. Drum war sein heißestes Gebet auch das, daß ihm dieser Blick nie getrübt werde. Die lieblichste Seite war seine Dichterliebe zur Natur.

„O lieber Mai, wie grüß ich dich
Mit der singenden Nachtigall,
Und daß du wieder blühst für mich,
Wie dank’ ich’s tausendmal!“

So sang er noch in der letzten Zeit.

Wie rührend hatte er denselben Gedanken in jüngeren Jahren ausgeführt! Er sprach damals dem Frühling sein Mitleid aus, weil dieser über die Unbilden seitens der Menschen traurig war. „Gelt, rupfen thun sie dich,“ so sagte er zu ihm – die frühlingsheiteren Menschen nämlich, welche es in ihrer Freude nicht lassen können, Blumensträuße zu pflücken. Von sich aber singt er dann:

„Versteh’ mi’ recht! I’ nimm koa Bliemi,
I’ laß dir s’ gern – bleib g’rad bei mir;
Geh’ bleib’ bei mir a bisl länger;
I’ dank dir tausendmal dafür.“

Und auch dieses sein Gebet, es ist erhört worden. Der Frühling blieb bei ihm bis in sein achtzigstes Jahr. Danken jetzt wir, denen er sein unsterblich Theil in Gedichten hinterlassen, tausendmal dafür.

D. E. B.

Denselben Dank schulden wir dem Dichter, der uns nur drei Tage nach Franz von Kobell, aber um zwölf Jahre jünger als dieser, plötzlich entrissen wurde: Gottfried Kinkel. Ein Schlagfluß, der ihn am 13. November traf, legte ihn schon am folgenden Tage auf die Bahre, einen Tag vor dem 15. November, der ihm vor vierundzwanzig Jahren im Exil zu London seine Johanna geraubt.

Wenn auch die „Gartenlaube“ diesem Dichter und Patrioten ihre Anerkennung in einer Reihe von Artikeln bereits bethätigt und ihm selbst die Gelegenheit geboten hat, die Erinnerung an seine „Kindheit“ und seine „Schuljahre“ (Jahrgang 1872 und 1873) in ergreifenden Schilderungen dem deutschen Volke darzulegen, so kann uns doch diese Hinweisung allein nicht genügen, um das Andenken eines so hervorragenden deutschen Mannes, Dichters und Kämpfers zu feiern. Wir werfen heute im Geiste eine Hand voll Erde auf seinen Sarg – den Nachruf an seinem Grabe aber wird die „Gartenlaube“ ihm nicht lange schuldig bleiben.

D. Red.




Unheimliche Schlafgenossen. „Die Noth bringt Einen zu seltsamen Schlafgesellen,“ sagt Shakespeare im „Sturm“, und dieser Ausspruch gilt nicht blos für die Menschen, sondern auch für die Thiere. Auf den Pampas Südamerikas haust die Kaninchen-Eule, welche sich in den Erdlöchern der Viskache einnistet, bisweilen mit dieser zusammen, und in den Prairien Nordamerikas wohnen Erdeule, Prairiehund und Klapperschlange nicht selten in demselben Loche friedlich bei einander, sodaß es nach Dr. Fintsch ein beliebter Vorwurf für Ausstopfer ist, diese „glückliche Familie“ zu einer Gruppe zu vereinigen. In dem unlängst ausgegebenen neuesten Bande der Publicationen des Neuseeland-Institutes hat Professor v. Haast nach den Beobachtungen eines zuverlässigen Naturkenners, Namens Reischek, einen weiteren und wo möglich noch groteskeren Fall solcher Schlafgenossenschaft mitgetheilt: Auf den kleineren Inseln rings um Neuseeland lebt ein auf den Hauptinseln längst ausgerottetes großes Reptil, von dem die Eingeborenen schon dem Capitain Cook unheimliche Geschichten erzählt haben, die Tuatara- oder Stacheleidechse (Sphenodon punctatus), die auch noch heute in den dortigen Volkssagen dieselbe unheimliche Rolle spielt, wie der Lindwurm oder Höhlendrache in den germanischen Sagen. Das äußere Aussehen dieses Thieres ist in der That nicht sehr vertrauenerweckend, da es zum Theil wie ein Krokodil gepanzert ist und außerdem in der Mittellinie seines Rückens vom Kopfe bis zur Schwanzspitze eine nur an wenigen Stellen unterbrochene, mehr oder weniger dichte Reihe spitzer Dornen und stumpfer Höcker trägt. Dieses große, dickleibige, mit gelben und weißen Tüpfeln auf olivengrünem Grunde übersäete Mittelding zwischen Molch und Drachen, welches auch in seinem anatomischen Bau einen uralten, in der heutigen Lebewelt sonst nicht weiter vertretenen Typus darstellt, fand Reischek noch in Menge auf den kleinen Inseln der Mangarei-Bai im Osten der Nordinsel Neuseelands, welche man ihrer Kleinheit wegen die Kücken („the chickens“) genannt hat, am Leben, und hier könnte man glauben, diese Drachenbrut habe wirklich, wie erzählt wird, alle menschlichen Bewohner aufgefressen; denn es fanden sich nur noch Küchenmüllhaufen vor, die von der einstigen Anwesenheit der Menschen auf diesen kleinen Eilanden zeugen. Aber die Tuatara-Eidechse ist im Gegensatze zu ihrer drohenden Rüstung ein sehr friedfertiges Thier, welches sich zu seiner Wohnung unterirdische Höhlen gräbt und dieselben freundlich mit Sturmvögeln (Procellaria Gouldi und Cooki), sowie mit Sturmtauchern (Puffinus gavius) theilt, die mit ihm die hauptsächlichste Bevölkerung der Inseln bilden. Meistens wohnt auf der einen Seite des Eingangs, und zwar gewöhnlich auf der rechten, der gefürchtete Drache, und auf der linken der Sturmvogel; mitunter wohnen auch zwei Sturmvögel bei einander, während nebenan der Drache, um seiner Rolle wenigstens darin getreu zu bleiben, immer allein haust.

Bisweilen soll auch umgekehrt der Sturmvogel die Wohnung aushöhlen und der Drache bei ihm in Kost und Logis ziehen, sofern er von den Fischen und Krebsen, welche der Sturmvogel zu Neste trägt, mitzehrt. Er selbst verläßt erst nach Sonnenuntergang seine Höhle und geht seither nicht mehr auf die Menschenjagd, sondern begnügt sich mit kleinen Würmern und Insecten; auch soll er beim Umherwandern wie ein Schwein grunzen. Man kann ihn dann leicht fangen; in den letzten Jahrzehnten ist das Schreckensthier der Neuseeländer wiederholt nach London gebracht worden, wo es sich im Käfig sehr zahm und gutmüthig benahm.

C. St.




Am Kreuzwege.
(Mit Abbildung S. 792 und 793.)

Was steht Ihr voll Verlegenheit
Im frisch beschneiten Haine?
Beherrscht Ihr doch zu jeder Zeit
Des Volkes Herz und Beine!

Das ist ein schlechter Musikant,
Ein Männlein zum Erbarmen,
Der, ist der Weg ihm unbekannt,
Sucht nach des Weisers Armen.

Braucht Eure Instrumente nur
Flottauf mit Mund und Händen –
Und freudig sucht nach Eurer Spur
Das Volk von allen Enden.




Zu unserem „ältesten Soldaten der deutschen Armee von 1870 bis 1871“ (vergl. Nr. 44) hat sich noch ein gleich alter gefunden, und zwar ein Baier, welcher zwei Jahre älter an Dienstjahren, aber nahezu zwei Jahre jünger an Lebensjahren ist als der preußische Husar Ferdinand Roggisch. Dieser Zeit- und Kampfgenosse desselben ist Peter Göttling, der Stabstrompeter vom 6. Chevauxlegers-Regiment in Bayreuth.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1882, Seite 803. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_803.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2023)