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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Hofdame: um so schmachvoller, daß sie, was keine französische Marketenderin thun würde, gestohlene Hemden und Schmucksachen trägt!

Wir werden daran erinnert, daß die Franzosen auch in deutschen Betten geschlafen und in Deutschland als Herren befohlen haben; doch sie haben nichts bei uns gestohlen als höchstens die Herzen, und die deutschen Frauen haben gern die ihren Reizen gebührenden Huldigungen angenommen. Am Schlusse werden die deutschen Damen ersucht, sich nicht zu beunruhigen: man wolle ja nichts zurückhaben, keine Halstücher und Jacken, keine Bänder und verblichenen Hüte. Und übrigens: ein loyaler Friede löscht unsern ganzen Goll aus: „fahrt fort, ihr guten Deutschen, unsere schmutzige Wäsche zu beschmutzen!“

Wir haben bei der Inhaltsangabe dieses unwürdigen Gedichtes noch einige Stellen fortgelassen, in denen die Muse des Akademikers allzu lebhaft den poetischen Cancan tanzt. Dieses Poem sowie viele andere dichterische Actenstücke des Nationalhasses hat Deroulède, der Held der Straße Saint-Marc, in seiner Zeitschrift „Le Drapeau“ gesammelt; er hat die Sammlung zugleich mit seinen eigenen lyrischen Ergüssen vermehrt. Das Blatt erscheint erst seit Beginn dieses Jahres: ein Beweis dafür, daß die feindliche Wendung gegen Deutschland jetzt mehr als je wieder populär geworden ist. „Le Drapeau“ ist das Organ der patriotischer Liga, welche gegen den deutschen Turnverein mit um so größerem Unrecht in’s Feld rückte, als sie ja nichts ist als eine freie Uebersetzung desselben in’s Französische. In der That will jener französische Verein sich im Turnen, Fechten und Schießen üben und hat zugleich das freiwillige Samariterthum in sein Programm aufgenommen.

Das sind jedenfalls berechtigte Tendenzen, und die Freunde der Turnkunst müssen sich freuen, daß auch Paris jetzt seine Hasenhaide bekommt. Ebensowenig wird man gegen die Verherrlichung des nationalen, besonders des militärischen Ruhmes einwenden können, wenn nur das goldene Buch des „Drapeau“, das ihn feiert, nie in Conflict geräth mit der geschichtlichen Wahrheit, und nie in den Ton des „Horribiliscribifax“ verfällt. Dagegen ist das eifrige Schüren der nationalen Feindschaft gegen Deutschland, wie es dieses Blatt betreibt, durchaus verwerflich. Eine Blüthenlese aus der deutschen Kriegslyrik von 1870 ist dazu auserlesen die französische Kampfeslust von Neuem anzustacheln; selbst alte Gedichte von Rückert aus der Zeit der Befreiungskriege werden zu diesem Zwecke hervorgesucht; jedenfalls ist dies eine eigenthümliche Methode, die Franzosen mit unserer Nationalliteratur bekannt zu machen. Bringt dagegen irgend ein deutsches Witzblatt eine satirische Caricatur über die „große Nation“, so wird dieselbe von französischer Seite sofort in gehässigster Weise als eine Probe deutscher Frechheit, mit den nöthigen Glossen versehen, im „Drapeau“ zum Abdruck gebracht. Zahlreiche Illustrationen stellen die Kämpfe in Bazeilles dar; denn wer in Frankreich den deutschen Vandalismus an den Pranger stellen will, braucht blos dieses Wort in den Mund zu nehmen.

Dazwischen läßt nun Deroulède selbst den kriegerischer Hörnerruf erschallen; er ist zwar ein Hitzkopf, aber jedenfalls ein talentvoller Lyriker, durchsichtiger in seinen Gedankengängen, volksthümlicher in seinen Refrains als Victor Hugo. In einem seiner Gedichte: „La Diane“ läßt er den Weckruf ertönen für das „schlummernde, von Räubern überwachte“ Frankreich. „Eine schwere Last ist der Haß,“ ruft der Dichter aus, „und Vergessenheit, der Friede des menschlichen Gemüthes, führt zur Verzeihung; aber Metz weint, aber Straßburg wacht. O töne, töne, Horn, daß bei deiner Fanfare das große Frankreich, das sich verirrt hat, wieder seinen alten Ton anschlage! Oeffnen wir Herz und Ohren, und möge die Sprache Corneille’s uns die Seele Cato’s einhauchen!“ Die Seele Cato’s! Das können wir abwarten; bis dahin wird Metz noch lange weinen müssen. Einen ähnlichen Geist athmen die anderen Gedichte des „Drapeau“; doch die Prosa schlägt einen ruhigeren Ton an, und es giebt unter den Mitarbeitern Pessimisten, welche nicht zögern auszusprechen, daß bei dem unglücklichen Ausgange eines neuen deutsch-französischen Krieges Frankreich werde fürchten müssen, aus der Reihe der europäischen Großmächte gestrichen zu werden.

Oft sind die Gesänge der Dichter die Sturmvögel, welche großen Ereignissen vorausfliegen; ebenso oft aber verrauschen sie spurlos als der Ausdruck persönlicher Empfindungen, welche nicht die Nation zu ergreifen vermögen. Möglich, daß der Revanchegedanke noch einmal in Frankreich zur Herrschaft gelangt … wir würden es bedauern; denn die beiden großen und hochbegabten Völker diesseits und jenseits der Vogesen sind berufen, in schönem Bunde die höchsten Aufgaben der Cultur zu lösen, ein Streben, bei welchem sich ihre Vorzüge ergänzen; leider hat der letzte Krieg eine Kluft zwischen ihnen aufgerissen, die sich wohl so bald nicht wieder schließen wird.

Rudolf von Gottschall. 


Herbstschauer.

  1.
Ueber dem südlichen Höhenzuge
Leuchtet schon der erste Schnee;
Schwäne rauschen mit mächtigem Fluge
Ueber den neblig dämmernden See.

5
Wie mir bangt vor den kommenden Tagen!

Ach, was hilft uns inneren Streit
Und die lastende Sorge tragen
In der traurigen Winterszeit?

Was versöhnt uns, hilft uns verzeihen,

10
Was belebt uns den sinkenden Muth,

Wenn nun der Wald und die Luft im Freien,
Alles in Todesschlummer ruht?


  2.
Wie oft ein Freudestrahl in banger
Und schwerer Zeit ihr Grau’n durchbricht,

15
Flammt durch Gewölk, vom Regen schwanger,

     Ein mächtig Abendlicht.

Es scheinen Blitze drin zu sprühen;
Ein Regenbogen schimmert hold,
Und Blumen scheinen aufzublühen

20
     In Roth und Strahlengold.


In diesem Licht, o schöne Sage,
Glüh’n wie auf einem Scheiterhauf’
Des hingeschiednen Sommers Tage
     In Todesflammen auf.

25
Verlangen, Hoffen, ausgesponnen

Zu süßen Stunden — Flor
Von tausend Freuden, tausend Wonnen,
     Flamm’ noch einmal empor!


  3.
Durch welkes Laub im dunklen Forste

30
Streift Wild, das noch der Jagd entrann;

Um Wipfel und verlass’ne Horste
Krächzt noch ein Rabe dann und wann.

Betraure, wen es rührt, dies Sterben,
Dies Klagelied in Feld und Flur —

35
Für mich bringt’s nach so manchem Herben

Erweckung und Erhebung nur.

Ergieb dich nicht, sagt dies Ermatten,
Und aus den Blätten rauscht es laut:
Das düstre Weh’n, die tiefen Schatten

40
Sind deinem Herzen längst vertraut.


 Hermann Lingg.




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