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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

(vergl. Jahrg. 1874, Nr. 43) brachte, in welchem die Periodicität dieser Erscheinung genau mitgetheilt wurde. Auch ihre Bedeutung für die Sternkunde hat damals Dr. R. Engelmann in klarer Weise unseren Lesern dargelegt, sodaß wir, um Wiederholungen zu vermeiden, nur Folgendes kurz hervorzuheben brauchen.

Die genaue gleichzeitige Beobachtung des Venusdurchgangs an verschiedenen, weit von einander entfernten Punkten der Erde giebt dem Astronomen Daten an die Hand, aus welchen er mit großer Sicherheit die Entfernung der Erde von der Sonne zu berechnen vermag. Vor allen Dingen muß er dabei genau die Augenblicke bestimmen, an welchen die Berührung des Sonnenrandes mit dem Rande der Venusscheibe erfolgt, jene vier Momente, welche auf der Figur 1 mit a, b, c und d bezeichnet sind.

Die im Jahre 1874 mit einem großartigen Aufwand von Geld und Kraft erfolgte Beobachtung des Venusdurchgangs führte leider nicht zu dem erwünschten Resultate, und nach wie vor wissen wir nur, daß die mittlere Entfernung der Erde von der Sonne ungefähr 148,670,000 kilometer oder 20,036,000 geographische Meilen beträgt. „Es scheint,“ bemerkte hierzu treffend ein französischer Forscher, „daß der erste Venusdurchgang nur eine Vorbereitung für den zweiten sein sollte; die Mehrzahl der Astronomen, welche das Phänomen zum ersten Male sahen, war überrascht und erregt; es fehlte ihnen die Sicherheit der Beobachtung, welche sie nach acht Jahren wieder aufnehmen sollten.“

Fig. 1.

In der That verspricht man sich von den am 6. December dieses Jahres vorzunehmenden Observationen einen viel bedeutenderen Erfolg, und die civilisirten Staaten von Europa und Amerika haben gegen vierzig Expeditionen zu diesem Zwecke ausgerüstet. Darunter befinden sich auch vier deutsche, welche bereits an den Orten ihrer Bestimmung, in Hartford (Connecticut), in Aiken (Süd-Carolina), in Bahia Blanca (Argentinien) und in Punta-Arenas (Magellan-Straße), angelangt sind.

Fig. 2.

Die weiten Reisen waren für die deutschen Astronomen unvermeidlich, weil man den Durchgang in Europa in seiner Totalität nicht wird beobachten können; die Venus tritt z. B. von Berlin aus gesehen um 2 Uhr 8 Minuten 51 Secunden (Pariser Zeit) in die Sonnenscheibe ein, ihr Austritt wird aber in Deutschland nicht mehr beobachtet werden können, weil die Sonne für uns noch vor dem Erfolgen desselben untergegangen sein wird.

Alle am 6. December stattfindenden Beobachtungen werden nach einem einheitlichen Plane erfolgen, welcher von der internationalen Commission, die vom 5. bis 13. Dctober vorigen Jahres in Paris tagte, ausgearbeitet wurde.

Wie wir schon oben erwähnt haben, werden die Astronomen ihr Augenmerk ganz besonders auf die genaue Bestimmung der Berührung der Venus mit der Sonne richten müssen. Dies ist aber nicht so leicht, wie man im Allgemeinen anzunehmen pflegt. Jeder Venusdurchgang beginnt nämlich, wie wir auf Fig. 1 bei a sehen, mit der Berührung des Planeten- und Sonnenrandes. Da aber die Entfernung der Sonne von der Erde nicht ganz genau bekannt ist, so läßt sich auch der Ort, an welchem diese erste Berührung erfolgt, nicht mit voller Bestimmtheit auf der Sonnenscheibe angeben, und die erste Berührung kann deshalb auch nicht direct beobachtet werden. Man könnte freilich diesen Moment rückwärts aus dem weiteren Verlaufe des Durchgangs berechnen. Aber die Beobachtung des Ein- und Austrittes unseres Nachbarplaneten ist noch mit anderen besonderen Schwierigkeiten verbunden. Man sollte annehmen, daß, sobald der Planet bei b (Fig. 1) voll in die Sonnenscheibe eingetreten ist, die beiden ihn umgebenden Lichthörner der Sonne sich sofort schließen und zu einer glänzenden scharfen Linie sich vereinigen müßten. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Der Beobachter erblickt vielmehr im Fernrohre ein Bild, wie es unsere Fig. 2 darstellt. Der Sonnenrand erscheint nicht scharf von dem Planetenrande abgegrenzt, sondern beide sind durch einen schwarzen Streifen mit einander verbunden, der erst nach einiger Zeit verschwindet. Diese Erscheinung, welche auf optischer Täuschung beruht, nennt man den „schwarzen Tropfen“, und sie erschwert ungemein die so sehr nothwendige genaue Bestimmung des Zeitpunktes, in welchem die Berührung der Venus mit der Sonne erfolgt ist.

Da dieser „schwarze Tropfen“ bei den beiden zuerst beobachteten Venusdurchgängen in den Jahren 1761 und 1769 die Berechnungen der Astronomen in erheblichem Maße gestört hat, so hat man schon während der Vorbereitung zu den Expeditionen des Jahres 1874 auf Mittel gesonnen, welche denselben beseitigen würden. Man versuchte unter Anderem, die der optischen Täuschung so leicht ausgesetzte Netzhaut des menschlichen Auges durch photographische Platten zu controlliren, und hat mittelst des bekannten mit Revolvermechanismus versehenen photographischen Apparates (vergl. „Gartenlaube“ Jahrg. 1882, Nr. 21) eine Reihe von Photographien des Ein- und Austrittes der Venus angefertigt. Leider erwies sich auch diese Methode nicht zuverlässig, da die Ränder der beiden Himmelskörper auf der Photographie nicht scharf genug hervortraten. Dieser Mißerfolg hat die meisten Astronomen davon abgehalten, zum zweiten Male die Photographie als ihre Gehülfin in Anspruch zu nehmen, und nur bei einigen Expeditionen werden mit bedeutend verbesserten Apparaten photographische Aufnahmen des Venusdurchgangs am 6. December angefertigt werden. Wenn man die bedeutenden Fortschritte der Augenblicksphotographie in den letzten Jahren in Erwägung zieht, so bleibt allerdings die Hoffnung nicht ausgeschlossen, daß ihre Verwendung diesmal brauchbare Resultate liefert.

Viel wichtiger ist dagegen die am 8. December 1874 gewonnene Erfahrung, daß die Bildung des „schwarzen Tropfens“ wesentlich von der Größe des Objectivs in dem Beobachtungsfernrohre abhängt und daß sie in sehr mächtigen Instrumenten gänzlich verschwindet. In Folge dessen werden die diesjährigen Expeditionen mit entsprechenden Teleskopen ausgerüstet werden, und die Astronomen hoffen, diesmal von den Störungen dieser unliebsamen Erscheinung nur in sehr geringem Maße belästigt zu werden.

So haben die Männer der Wissenschaft alles, was in ihren Kräften stand, gethan, um mit möglichst genauer Schärfe den wichtigen Vorgang zu beobachten; sie werden auch im gegebenen Augenblicke sicher ihre Schuldigkeit thun, und nur eins wünschen wir ihnen von Herzen: ein recht klares, heiteres Wetter!

„Aber welchen Werth,“ wird wohl mancher Leser fragen, hat denn für uns die genaue Ermittelung der Entfernung der Erde von dem Leben und Kraft spendenden glühenden Centralkörper unseres Planetensystems?“

Die Antwort lautet: Sobald wir die Erde verlassen und im Geiste die unermeßlichen Himmelsräume durchschweifen, haben wir nur ein Maß für alle uns dort begegnenden Größen, und dieses Maß ist der Halbmesser der Erdbahn oder mit anderen Worten die Entfernung der Erde von der Sonne; sie ist der gewaltige, Millionen Meilen umfassende Meterstab des Weltraumes, welchen der Astronom in allen seinen Messungen verwendet. Kennen wir genau seine Länge in irdischen Kilometern, so werden wir nicht nur die annähernde, sondern auch die wahre Entfernung der einzelnen Glieder unseres Sonnensystems und einiger Fixsterne, sowie die wahre Größe der Planeten berechnen können. – Die Beobachtung des Venusdurchganges ist zwar nicht das einzige Mittel, welches uns zu diesem Ziele führen kann, aber sie giebt uns die beste Gelegenheit, etwaige Fehler anderweitiger Berechnungen zu controlliren, und darum wird ihr so hohe Bedeutung beigelegt. Es ist daher auch eine Ehrenpflicht unseres Jahrtausends, den letzten Venusdurchgang, welcher in ihm in nunmehr wenigen Tagen stattfinden wird, zu Nutz und Frommen der Wissenschaft mit der genauesten Schärfe zu beobachten.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_795.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)