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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

könnte, aber vergeblich. Endlich machte ich ihn darauf aufmerksam, daß sein jetziger Aufenthalt ganz nahe bei Ariccia gelegen sei, und dann fragte ich ihn, ob er in letzter Zeit Angelo Beati gesehen habe.

‚Ich bin ihm mehrmals begegnet,‘ antwortete er, ‚im Orte sowohl, wie auf der Landstraße und in den Feldern. Er stiert mich immer frech und unverschämt an, geht aber ganz ruhig vorüber. Da siehst Du, wie viel die Racheschwüre eines solchen Müßiggängers werth sind.‘

‚Daraus ersehe ich noch gar nichts,‘ entgegnete ich. ‚Wohl aber weiß ich, daß er zu nächtlicher Weile das Haus umschleicht und sich hier im Garten zu schaffen macht. Vielleicht will er Dir böse Träume verursachen dadurch, daß er mit seinen schwarzen Augen nach Deinen Fenstern starrt.‘

Dann erzählte ich ihm, wie ich den Italiener jüngst in der grauen Morgenfrühe im Garten getroffen. Wenzel sah mich in sprachlosem Erstaunen an, während der Zorn ihm dunkelroth in das Gesicht stieg.

‚Wenn der Idiot nicht bald die Grenze seiner Narrenstreiche findet,‘ sagte er ingrimmig, ‚so werde ich sie ihm mit Peitschenhieben weisen.‘

Ich steckte die Hände in die Taschen und schlenderte weiter; ich glaube sogar, daß ich ein Lied pfiff. Wenzel sog und kaute wüthend an seiner Cigarre. Endlich, getrieben von einem Gefühl des Mitleids für meinen starrköpfigen Freund, lenkte ich wieder ein und fragte ihn, wann er zu heirathen gedenke.

Er sah mich lange und durchdringend an. Endlich sagte er:

‚Was veranlaßt Dich gerade jetzt zu dieser Frage?‘

,Aber alter Freund, ich bitte Dich, das ist doch wohl eine sehr verzeihliche Neugierde, ein freundschaftliches Interesse –‘

Wenzel warf den Rest seiner Cigarre heftig zur Erde.

‚Nein,‘ rief er erregt, ‚das ist’s nicht. Schweig’ mir von Deiner verzeihlichen Neugierde und von dem andern Zeug! Du hast irgend etwas gemerkt – Du hast irgend einen Verdacht! Wie? Rede doch!‘

Jetzt sagte ich ihm die Wahrheit.

‚Fräulein Helene Dörpinghaus,‘ begann ich, ‚scheint mir seit einiger Zeit ganz verändert und voll von allerlei Ideen, die ihr früher völlig fremd gewesen. Es muß etwas zwischen Euch vor gefallen sein, Freund.‘

,Meinst Du?‘ fragte er bitter, ‚Fräulein Helene Dörpinghaus ist mir eine durchaus räthselhafte Persönlichkeit. Ich kenne ihre Gedanken nicht, aber es wäre mir doch nun und nimmermehr in den Sinn gekommen, daß unserem Glücke etwas im Wege stehen könnte. Helenens Liebe zu mir war niemals demonstrativ; das liegt nicht in ihrer Natur; sie ist passiv, sanft, fast demüthig, aber für jedes liebevolle Entgegenkommen von meiner Seite war sie stets rührend erkenntlich.‘

Er schwieg einen Augenblick.

,Seit einigen Tagen ist das anders,‘ sagte er dann leidenschaftlich; ‚ihre Sanftmuth nahm die Form einer scheuen Schüchternheit an, und meine Freundlichkeit schien ihr beinahe wehe zu thun. Bei Gott – die Weiber sind in ihrer unberechenbaren Launenhaftigkeit wahrhaft unheimliche Geschöpfe. Aber weißt Du, Freund, ich habe vorher gar nicht gefühlt, wie sehr ich das Mädchen liebe, und wenn – –‘

In diesem Augenblicke trat Frau Dörpinghaus plötzlich aus dem Hause und zog ihn auf die Seite; Wenzel lauschte einen Augenblick ihren leisen Worten und eilte dann schnellen Schrittes in die Wohnung hinauf.

‚Wer hätte sich so etwas träumen lassen!‘ wandte sich Frau Dörpinghaus dann an mich. ,Denken Sie nur: soeben noch sitzt Helene ganz ruhig an ihrem Tische und stickt; plötzlich legt sie ihre Arbeit in den Schooß und theilt mir feierlich den Wunsch mit, Herrn Wenzel sogleich unter vier Augen sprechen zu dürfen. Ob ich wohl die Güte haben möchte, ihn herbei zu rufen? Darauf frage ich sie, ob sie nicht lieber die Güte haben möchte, vorher mir, ihrer Mutter, zu erzählen, was es denn so Geheimnißvolles gäbe. Da sieht sie mich an, wie man ungefähr ein fünfjähriges Kind ansieht, das sich vorlaut in die Gespräche Erwachsener gemischt hat. Dann aber fällt sie mir um den Hals und küßt mich und sagt, ich solle ihr nicht böse sein, ich würde ja alles bei Zeiten erfahren. Was will sie nur von ihm? Was hat ihr der arme Mensch gethan?‘

‚Sie liebt ihn nicht mehr,‘ sagte ich.

,Sie liebt ihn nicht mehr? Warum liebt sie ihn denn nun mit einem Mal nicht mehr?‘

,Vielleicht ist dieses Gefühl in ihr gar nicht so plötzlich erkaltet, wie Sie anzunehmen scheinen, verehrte Frau. Dergleichen Veränderungen haben sich schon öfter in Frauenherzen vollzogen.‘

,Ganz recht, aber doch kaum jemals, ohne daß eine neue Neigung dabei im Spiele gewesen. Helene hat wunderliche Einfälle, das ist schon richtig, und – unter uns gesagt! – daß sie sich damals meinen Bruder erkoren, das war auch solch ein wunderlicher Einfall. Aber immerhin – sie folgte doch ihrem eigenen Geschmack. Wie kommt es nun aber, daß sie so plötzlich andern Sinnes geworden? Wie gesagt, wenn hier noch eine andere Neigung vorläge – doch das ist unmöglich.‘

‚Sollte das wirklich so ganz unmöglich sein?‘ fragte ich.

‚Ganz unmöglich! Urtheilen Sie doch selber! Helene hat seit vier Wochen kaum mit einem anderen Mann gesprochen, als mit meinem Bruder. Wer soll es ihr also angethan haben? Etwa der kleine bucklige Mensch, der uns jeden Morgen die Orangen bringt? Oder vielleicht der alte Prinz Doria, der seit einigen Tagen dort drüben in der großen Villa wohnt?‘

Ich fand kein Lächeln für diese kleinen Scherze der trefflichen Dame, hatte ich doch in der That nur zur Hälfte gehört, was sie soeben gesagt; denn ich stand und grübelte und zerbrach mir den Kopf.

Jetzt trat mir eine Frage auf die Zunge, aber ich zögerte lange, derselben Worte zu geben. Endlich brachte ich’s heraus:

‚Auf welcher Seite des Hauses liegt Helenens Zimmer?‘

‚Aber ich bitte Sie! Was meinen Sie …?‘ sagte Frau Dörpinghaus ganz überrascht. ‚Hier, auf dieser Seite.‘

,Nach dem Garten zu?‘

‚Gewiß! Dort oben im zweiten Stockwerk.‘

‚Ich bitte um Verzeihung … welches ist es?‘

,Dort das dritte Fenster; die Läden sind mit einem Taschentuch zurückgebunden.‘

Diese Läden und das Taschentuch begannen jezt plötzlich meine Phantasie auf eine eigenthümliche Weise zu erregen. Ich konnte lange keinen Blick davon verwenden, und als ich endlich wieder Frau Dörpinghaus ansah, da trafen sich unsere Augen … Fräulein Helene, dachte ich bei mir, hat seit Wochen keinen fremden Mann gesprochen. Aber gesehen? Sollte es nicht dennoch sich ereignen, daß die Liebe allein nur durch die Augen ihren Weg in die Herzen findet? Sollte nicht auch eine ungesprochene Zwiesprache geführt werden können, vielleicht zwischen einem schönen, jungen italienischen Manne in einem unter dem gestirnten Nachthimmel liegenden, stillen Garten, und einem blonden, nordischen Mädchen im Fenster droben? …

Frau Dörpinghaus zog fröstelnd ihren Shawl fester um die Schultern und wendete sich der Hausthür zu.

‚Hier bleibt nichts anderes übrig,‘ sagte ich, indem ich ihr den Arm reichte, ‚als morgen in der Frühe Albano zu verlassen.‘

Wir traten auf den Corridor, auf welchen die Zimmer münden. Gleich darauf öffnete sich die Thür des gemeinschaftlichen Salons, und die junge Dame trat heraus. Hinter ihr erschien Wenzel auf der Schwelle mit einer gewaltsam unterdrückten Erregung in den Zügen. Auch Helene war bleich, aber in ihren Augen leuchtete ein ungewöhnliches Feuer; sie ergriff beide Hände ihrer Stiefmutter und küßte dieselben schweigend und demüthig. Darauf wendete sie sich zu mir und reichte mir die Hand. ‚Gute Nacht!‘ sagte sie. Im nächsten Augenblick war sie in ihrem Zimmer verschwunden.

Frau Dörpinghaus ergriff liebevoll die Hand ihres Bruders und führte ihn in den Salon.

‚Mit unserer Verlobung ist’s zu Ende,‘ sagte er kalt.

‚Wenzel!‘ rief Frau Dörpinghaus erblassend. ‚Und aus welchem Grund?‘

Die junge Frau sank in das Sopha und blickte ihren Bruder stumm und voll Mitgefühls an. Dieses ehrliche, unverhohlene Mitleid aber berührte Wenzel unangenehm; er wandte seiner Schwester den Rücken und nahm ein Buch vor das Gesicht. Auch ich griff nach einem solchen, vermochte aber kein Wort zu lesen. Endlich ertrug ich diese peinliche Situation nicht länger und ging hinaus. Frau Dörpinghaus folgte mir; sie beschwor mich, ihr zu sagen, was ich vorhin mit meinen Andeutungen in Bezug auf die Fensterläden und das Taschentuch habe sagen wollen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 791. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_791.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2023)