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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Reisen her bekannt, und vertrauend auf seine gründliche Kenntniß von Land und Leuten rüstete er eine verhältnißmäßig schwache Expedition aus, die nur aus zwei Matrosen und sechszehn waghalsigen farbigen Senegalschützen bestand. Was er mit diesen geringfügigen Mitteln zu erreichen wußte, ist entschieden großartig und nur ein Erfolg seines persönlichen Muthes und seiner schlauen Gewandtheit. Trefflich charakterisirt den französischen Forscher ein Brüsseler Correspondent des „Export“:

„In der That versteht Savorgnan de Brazza es ausgezeichnet, mit den Wilden umzugehen. Wie jener alte Römer, der den Karthagern in den Falten seiner Toga Krieg und Frieden zur Wahl vorlegte, pflegt er den Eingeborenen in der einen Hand eine französische Flagge, in der andern eine Patrone vorzuhalten. Er erklärt ihnen dann die Vortheile eines Handelsvertrages und die Schrecken des Krieges und läßt sie wählen. Alle haben die Fahne gewählt als Symbol des Handels und sodann feierlichst die Patrone vergraben, um damit den ewigen Frieden zu besiegeln.“

Im Jahre 1880 trat Brazza seine Reise an, um vom obern Laufe des Ogowe den Alima, einen Nebenfluß des Congo, zu erreichen und sich zu überzeugen, ob dieser Weg für eine Handelsstraße geeignet sei. Im Juni desselben Jahres gründete er die Station Franceville, die auf unserer umstehenden Karte den Ausgangspunkt der weiteren Reise Brazza’s bezeichnet. Er wurde von dem Stamme der Nghimi, die jene Gegend bewohnen, auf das Freundlichste aufgenommen, und es fehlte ihm – der dortigen Landessitte gemäß – niemals an eingeborenen Frauen, welche ihm zur Besorgung seiner Hauswirthschaft die Häuptlinge verehrten. Nach einigen Tagemärschen gelangte seine Karawane in das Land der Bateken, die zu den Menschenfressern zählen, aber, so lange sie nicht gereizt werden, fremde Reisende durchaus friedlich und zuvorkommend empfangen. Erst bei den Abumas, einem Volke, welches vom Sclavenhandel und von der Herstellung feiner Bastgewebe lebt, erfuhr er, in welcher Richtung er den Congo suchen müsse. Seine Karawane verließ bald den Fluß Lerina, auf dem sie bis dahin auf Canoes der Eingeborenen vorwärts drang, und trat zu Fuß einen beschwerlichen Weg an, der durch ein ödes, den sengenden Strahlen der Sonne ausgesetztes unbewohntes Plateau führte. Zwei Tage lang dauerte dieser ermüdende Marsch, und schon glaubte Brazza, daß er absichtlich irre geführt würde. Da erblickte er um elf Uhr Abends eine unendliche Wasserfläche, deren Glanz sich in den Schatten der hohen Gebirgszüge am Horizonte verlor.

„Der Congo,“ erzählt Brazza wörtlich, „wälzte, vom Nordosten kommend, wo er einem Meere glich, majestätisch seine Fluthen tief zu unsern Füßen, ohne daß der Schlaf der Natur geweckt wäre durch das schwache Gemurmel seiner Wogen. Das war einer jener Augenblicke, welche dem Reisenden ein andächtiges Schweigen (religienx silence) auferlegen, und in diesem Schweigen schlug mein Herz höher, das Herz eines Franzosen, da ich daran dachte, daß sich hier das Schicksal meiner Mission entscheiden müsse.“

Von hier aus gelangte Brazza auf dem Congo bis zu der seeartigen Erweiterung des Stromes, welche zu Ehren ihres Entdeckers den Namen Stanley-Pool trägt. Das ganze Gebiet, welches er jetzt durchkreuzte, gehört dem mächtigsten Fürsten Centralafrikas, dem „Könige von Makoko“, und Brazza versäumte nicht, diese schwarze Majestät aufzusuchen und mit ihr ein Freundschaftsbündniß zu schließen. In den „Tuilerien“ dieses Herrschers, welche nur aus einigen Hütten und einem Palissadenzaune bestehen, wurde der berühmte Vertrag, der jetzt ein so großes Aufsehen erregt, geschlossen. Der König nahm ein wenig Erde, legte sie in ein Kästchen und ließ dasselbe durch seinen Oberpriester dem französischen Reisenden mit den Worten überreichen:

„Nimm diese Erde und trage sie zu dem großen Häuptlinge der Weißen und sage ihm, daß wir ihm angehören.“

Brazza pflanzte hierauf das französische Banner neben der Hütte des Königs auf und hielt folgende Ansprache:

„Das ist das Zeichen der Freundschaft und des Schutzes, welches ich euch zurücklasse. Frankreich ist überall da, wo dieses Friedenszeichen weht; es achtet die Rechte aller derjenigen, welche sich um dasselbe schaaren.“

Seit jenem Tage pflegt der König von Makoko an jedem Morgen und an jedem Abend die französische Tricolore auf dem Dache seiner „Residenz“ aufziehen zu lassen.

Dies geschah am 3. October 1880, und kraft des Vertrages erhielt Brazza ein Gebiet von zwölf Quadratmeilen oberhalb des Stanley-Pool. Sofort gründete er eine neue Station Brazzaville, in welcher er den schwarzen Unterofficier Malamine und zwei Senegalschützen zurückließ. Er selbst aber fuhr den Congo hinab, und kehrte, fast von allen Mitteln entblößt, über Boma nach Europa zurück. Auf diesem Wege traf er mit Stanley zusammen, dem gegenüber er aber von seinem Vertrage mit dem Könige von Makoko nichts verlauten ließ. – –

In derselben Zeit, da Brazza seine Reise ausführte, wurde von Boma aus ein Versuch im großen Stil unternommen, das Congogebiet zu erschließen. Haftet dem Brazza’schen Vorgehen in gewisser Hinsicht ein abenteuerlicher Zug an, so sehen wir in dem anderen Unternehmen eine entschieden großartige Schöpfung vor unsern Augen entstehen. An seiner Spize steht der „Heros der afrikanischen Forschung“, der berühmte Stanley, dem es gelungen ist, den König von Belgien und eine Anzahl großer Capitalisten für seine praktischen Pläne zu gewinnen. Auf seine Anregung bildete sich bereits vor vier Jahren eine Gesellschaft unter dem Namen „Comité d’études du Haut-Congo“, welche über große Capitalien verfügt und Stanley mit der Erschließung der Congoländer beauftragte.

Unsere Landkarte zeigt uns, daß der untere Lauf des Congo drei bedeutende Wasserfälle aufweist, zunächst die Yellala-Fälle, dann die Isandschila-Fälle und endlich die Ntamo-Fälle in der Nähe des Stanley-Pool, zwischen welchen noch etwa zwanzig kleinere Katarakte liegen. Da durch dieselben die Schifffahrt auf dem Strome besonders erschwert wird, so beschloß man hier eine Landstraße den Congo entlang zu bauen, um den Verkehr mit dem Inneren des Landes zu ermöglichen. Zu diesem Zwecke wurde Stanley mit großartigen Mitteln ausgerüstet. Sieben kleinere Dampfschiffe und Remorqueure befahren schon den Strom zwischen den einzelnen Katarakten, und für die Expedition selbst wurden sechszig Europäer und drei- bis vierhundert Zanzibariten engagirt.

Dem Laufe des Stromes folgend, hat Stanley eine Reihe von Niederlassungen gegründet, welche Anfänge von Städten bilden; sie haben ihre Straßen und ihre besondere Fahne, welche einen goldenen Stern im blauen Felde zeigt; denn es sind nicht belgische, sondern afrikanische Städte, die hier gegründet werden. Jede dieser Stationen hat einen weißen Vorsteher, während die übrige Einwohnerschaft aus Zanzibariten und Eingeborenen der Umgegend sich zusammensetzt. Die Cultivirung des Bodens wurde sofort in Angriff genommen, und wo man noch vor Kurzem wildes Buschwerk und Gestrüpp sah, erheben sich heute Plantagen und blühende Gärten. Zwischen den Eingeborenen und der Expedition herrscht das beste Einvernehmen, da Stanley auf gerechte Behandlung der Ersteren ein besonderes Gewicht legt. So wird z. B. der Grund und Boden, welchen man zur Gründung von Niederlassungen braucht, stets im Wege des Kaufes erworben, und die eingeborenen Häuptlinge erhalten von der Expedition monatlich einen Tribut, der ihnen als der einheimischen Obrigkeit zukommt. Dank dieser humanen Handlungsweise ist bis jetzt am Congo noch kein einziger Flintenschuß in feindlicher Absicht abgegeben worden.

Trotzdem hat die Expedition bereits große Opfer gefordert; neun von den Europäern, welche Stanley nach Afrika folgten, sind den Strapazen und dem Klima erlegen, während viele andere aus Gesundheitsrücksichten nach Europa zurückgeschickt werden mußten. Die Zanzibariten dagegen erweisen sich als vortreffliche Arbeiter, und da ein Theil derselben nach Ablauf ihres dreijährigen Contractes in ihre Heimath zurückkehren wird, so hat man bereits 250 Arbeiter von Neuem in Zanzibar engagirt und an den Congo befördern lassen.

Mit diesen Mitteln versuchte nun Stanley möglichst weit in das Innere des Landes den Congo entlang vorzudringen und die projectirte Straße auszubauen.

Von Boma aus fuhr er mit dem Dampfer bis eine Meile unterhalb der Yellala-Fälle und gründete hier im November 1879 die erste Station, Vivi. Nach einem Jahre errichtete er weiter stromaufwärts, sieben deutsche Meilen entfernt, Ndambi Mbongo, und im Frühjahre 1881 die dritte Station, Isandschila. Da er von hier aus den Strom benutzen konnte, gelang es ihm, schon im Mai desselben Jahres die zwanzig deutsche Meilen lange Strecke bis Manjanga zurückzulegen und die vierte Station zu errichten. Hiermit waren die größten Schwierigkeiten überwunden;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 783. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_783.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)