Seite:Die Gartenlaube (1882) 778.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Die wenigen weißen Knaben, welche noch in den „Canneries“ Beschäftigung finden, empfangen fünfzehn Dollars per Monat und Beköstigung, erwachsene weiße Arbeiter fünfunddreißig Dollars per Monat nebst Verpflegung, während die weißen Aufseher einen Gehalt von zweihundert Dollars per Monat beziehen, falls sie nicht, was nicht selten vorkommt, einen Antheil im Geschäft haben.

Die „Cannery“, welche ich zuerst besuchte – Kinney’s Cannery, eine der größten und in unmittelbarer Nähe von Astoria gelegen – ist, wie viele andere am Columbia, das Besitzthum eines englischen Hauses. Die Engländer haben fast das Monopol des Lachshandels. Das zum Anfertigen der Büchsen nöthige gewalzte Blech, das Garn für die Netze etc., alles dies wird direct von England importirt, und auch der weitaus größte Theil von präservirtem Lachs wird nach Liverpool verschifft, theils auf Segelschiffen direct, theils auf Dampfern über San Francisco. Columbialachs ist in allen kleinen englischen Landstädten eine beliebte Hausmannskost, und was von Columbialachs nach Australien und dem europäischen Continent gelangt, geht fast ausschließlich durch englische Hände.

Die von mir besuchte Packerei hatte auch ein oberes Stockwerk, wo eine Fabrik für das Anfertigen von Blechbüchsen eingerichtet war. Der Geschäftsführer bot sich mir sofort als Führer an und geleitete mich durch das ganze bedeutende Anwesen. Wie er mir mittheilte, beschäftigt diese „Cannery“ zur Zeit hundertvierzig Chinesen und verpackte im letzten Jahre dreißigtausend Kisten Lachs, jede Kiste zu vier Dutzend Blechbüchsen à ein Pfund. Fünfzig Böte, die der Anstalt gehören, besorgen das Herbeischaffen des Rohmaterials in Gestalt von frisch gefangenem Salm.

In dem weiten und hohen inneren Raume des weitläufigen Gebäudes waren ganze Berge von Holzkisten und Blechbüchsen aufgespeichert, in welchen der präservirte Lachs in’s Ausland verschifft wird. Ein Schwarm von Chinesen war emsig bei der Arbeit, theils an langen Holztischen, wo die Lachse geköpft, ausgeweidet, zerschnitten und verpackt werden, theils an großen Wannen mit kochend heißem Wasser, in denen die mit Lachs gefüllten Blechbüchsen den Proceß des Siedens durchzumachen haben. Alles war im großen Fabrikstil eingerichtet und ging schnell und maschinenmäßig von Hand zu Hand.

Zunächst führte mich mein freundlicher Begleiter nach der am Fluß gelegenen Veranda, wo gerade – es war am frühen Morgen – einige Segelböte ihre Fracht von frisch gefangenen Salmen abluden. Eine Freude war es, die prächtigen Fische zu betrachten, von denen manche fünfzig bis sechszig Pfund schwer sein mochten und nur wenige unter zwanzig Pfund wogen.

Unser nächster Gang führte uns zu einem langen Tische, wo die Salmen ausgeweidet wurden. Ein Sohn des himmlischen Reiches besorgte mit staunenswerther Geschicklichkeit das Amt des Zuschneiders an den ihm von einem Gehülfen in schneller Reihenfolge hingelegten Lachsen. Mit einem Schnitt seines riesigen Handmessers köpfte er den Fisch, mit zwei weiteren Schnitten wurden die Eingeweide bloßgelegt und entfernt. Kopf und Eingeweide fielen in einen Trog. Aus diesen Abfällen wird in einem Kochapparat ein Oel gewonnen, welches einen namhaften Handelsartikel bildet, wie auch in einigen Lachspackereien der Rogen aufbewahrt wird, um als Material zu einem vorzüglichen Caviar zu dienen.

Der Chinese, dessen Specialität im Köpfen und Ausweiden der Lachse besteht, wirft die Fische in einen großen mit Süßwasser gefüllten Kübel, damit sich Schleim und Blut von ihnen loslösen. Hierauf werden die Schuppen von den Salmen mit einem großen Messer entfernt und diese dann in einen andern Kübel voll Salzwasser geworfen, wo sie einen weiteren Proceß des Reinigens durchzumachen haben. Sauber und von allem Blut und Schleim gereinigt, gelangen die Lachse nun an das Zerlegemesser, welches mit acht breiten Klingen versehen ist, die sich um ihre eigene Achse drehen. Mit einem einzigen Schnitt wird der vor das Messer gelegte Salm in acht Stücke von gleicher Größe getheilt, von denen jedes eine Blechbüchse ungefähr füllt. Die zerschnittenen Lachstheile werden auf einen anderen langen Tisch gelegt, wo ein Schwarm von Chinesen dieselben in Blechkapseln verpackt.

Während die Zopfträger ihrem Geschäfte emsig oblagen, musterten sie mich öfters mit ängstlichen Seitenblicken, und so oft ich meine Beobachtungen in mein Notizbuch eintrug, sahen sie meinem Schreiben mit mißtrauischer Miene zu.

Mein Begleiter erklärte mir das seltsame Gebahren der Chinesen dahin, daß diese mich für einen Angestellten im Abgabenbureau hielten, der sie für das Eintreiben von Taxen notire. Die Versicherung, welche ich einem der Herren Zopfträger gab: ich sei bei meiner Ehre kein „tax collector“, schien ihn aber durchaus nicht zu beruhigen; denn die geängstigten Leute verfolgten mich unausgesetzt mit häßlichen Blicken, als ich von Tisch zu Tisch ging und, das Notizbuch in der Hand, mit dem verdächtigen Geschreibsel fortfuhr.

Die Blechbüchsen, welche mit der nöthigen Menge Lachsfleisch gefüllt worden sind, gelangen in schneller Reihenfolge an einen anderen Tisch, wo zunächst Deckel aufgesetzt und festgelöthet werden. Von hier aus werden sie auf hölzernen Gestellen, welche etwa 120 Büchsen fassen, in das „Bad“ gebracht, eine lange mit lauwarmem Wasser gefüllte Wanne. Hier müssen sie eine Probe auf die luftdichte Festigkeit ihres Verschlusses bestehen. Die in den Büchsen enthaltene Luft wird nämlich durch die Wärme des Bades ausgedehnt, entweicht durch die Oeffnungen eines etwa mangelhaften Verschlusses und gelangt in Gestalt von Bläschen an die Oberfläche des Wassers. Die defecten Exemplare werden gleich wieder aus dem Bade herausgenommen und der nöthigen Reparatur unterworfen.

Nun werden die Büchsen stockweise über einander gestellt und in große mit Süßwasser gefüllte Kübel gesetzt, an deren Boden sich eine in Schlangenwindungen gelegte Röhre befindet. Durch einen Druck von neunzig Pfund auf den Zoll wird das über den Dampfröhren liegende Wasser in zwölf Minuten zum Sieden gebracht. In dem kochenden Wasser bleiben die Büchsen eine volle Stunde lang, worauf sie herausgenommen und nach einander punktirt, d. h. fein durchlöchert werden, damit der Dampf aus ihnen entweichen kann. Die kleinen Oeffnungen werden sofort wieder verlöthet, und hierauf gelangen die Büchsen in andere mit kochendem Salzwasser gefüllte Kübel oder in große mit Dampf erhitzte Kessel, worin sie weitere anderthalb Stunden verbleiben.

Nachdem die Lachsbüchsen diesen ziemlich langwierigen Proceß des Siedens etc. durchgemacht haben, werden sie in das Verpackungszimmer gestellt, wo sie zwei Wochen hindurch unangerührt bleiben. Sie werden alsdann der Reihe nach genau geprüft, und zwar in der Weise, daß ein Sachverständiger mit einem Stabe auf den Deckel der Büchsen schlägt; er entdeckt mittelst dieses Experiments sofort, ob die Büchsen in gutem Zustande sind. Diejenigen, welche die Prüfung bestanden haben, werden schließlich mit Firniß überzogen und mit hübschen Etiquetten versehen, worauf sie zu je vier Dutzend in hölzerne Kisten verpackt werden und zum Versenden fertig sind.

Der große Raum der „Cannery“ bietet während der Hauptfangzeit der Salmen ein außerordentlich bewegtes Bild. Die vielen Chinesen liegen ihren verschiedenen Pflichten beim Reinigen, Zerschneiden und Verpacken der Lachse mit einer Anstelligkeit und einem Eifer ob, die staunenswerth sind. Jeder weiß genau, was er zu thun hat, und Alles greift maschinenmäßig in einander. Eine Dampfmaschine producirt den zum Sieden nöthigen Dampf. Hier stehen die großen Kübel, in denen die mit Lachs gefüllten Blechbüchsen „gebadet“ werden, in langer Reihe neben einander, während die mächtigen eisernen Cylinder, welche die Weite von großen Dampfkesseln haben, ihre Mäuler aufthun, um die Büchsen zu empfangen und ihren saftigen Inhalt für den Gaumen der Bewohner des fernen Albions lecker herzurichten. Tausende von nagelneuen Holzkisten bilden wahre Chimborazzos, und die hoch in Reihen über einander geschichteten Blechbüchsen machen den Eindruck, als ob eine belagerte Festung auf ein Jahr mit Lachs verproviantirt werden sollte. Im oberen Raume befindet sich eine Fabrik zum Anfertigen von Blechbüchsen. Das Ausschneiden des Blechs, das Verlöthen der Kapseln etc. wird ebenfalls von Chinesen besorgt, und Alles greift dort mit rasender Schnelligkeit in einander.

Der erste Versuch, präservirten Lachs vom Columbia zu exportiren, wurde im Jahre 1867 mit 7000 bis 8000 Kisten gemacht. Seit 1871 hat sich diese Industrie in’s Riesige vergrößert, und im Jahre 1882 belief sich der Ertrag der Lachsfischereien am Columbia auf 530,851 Kisten im Vollwerthe von 2,813,510 Dollars. Wenn ich sage, daß seit 1867 ungefähr 15 Millionen Lachse im Columbia gefangen worden sind und der Export von 32 am Columbia etablirten „Canneries“ gegenwärtig mehr als 2 Millionen Dollars pro Jahr repräsentirt, so

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_778.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2023)