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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

gehören sie den Besitzern der „Canneries“. Besorgen die Fischer ihre eigene Ausrüstung, sowohl die der Böte, welche durchschnittlich 250 Dollars kosten, wie die der Netze, deren Herstellung an 400 Dollars Auslagen erfordert, so erhalten sie den vereinbarten Preis von 60 Cents pro Fisch. Hiervon bezahlt der Eigenthümer des Bootes und des Netzes seinem Gehülfen 15 Cents pro Fisch. Liefert dagegen eine „Cannerie“ die Ausrüstung, so werden für jeden abgelieferten Fisch 50 Cents berechnet, von welcher Summe noch ein Drittel für den Gebrauch des Bootes und des Netzes an die „Cannerie“ zurückerstattet wird. Auf die Größe der Fische kommt es dabei nicht an. Der Fischer erhält denselben Preis für jeden Fisch, den er abliefert, einerlei ob derselbe 15 oder 50 Pfund wiegt.

Die kostspieligen Netze sind unter der ganzen Ausrüstung das riskanteste Eigenthum; denn sie gehen nicht selten bei stürmischem Wetter verloren, oder werden von riesigen Stören und boshaften Seelöwen zerrissen. Mitunter kommt es auch vor, daß sie sich in mächtige, den Strom herabschwimmende Baumstämme verwickeln und zerschnitten werden müssen, damit man sie wieder loslösen kann. Im günstigsten Falle halten sie nicht länger als eine Saison aus, müssen also in jedem Jahre durch neue ersetzt werden.

Der Nutzen, welchen der Lachsfang bietet, entspricht jedoch vollkommen der Capitalanlage und den Ansprüchen der Fischerleute. Das leuchtet ein, wenn wir bedenken, daß bei warmem Wetter die Salmen zuweilen in Schaaren, welche nach Millionen zählen, in den Fluß kommen, sodaß die Fischer in kurzer Zeit eine volle Bootladung fangen. In diesem Falle sind die Leute sogar mitunter gezwungen, einen Theil der Beute wieder fahren zu lassen, um nicht zu riskiren, daß die Böte in Folge der Last untersinken oder bei schwerem Wetter kentern – Vorfälle, die durchaus nicht zu den Seltenheiten gehören.

Das Einbringen von 2000 Lachsen wird für ein Boot als der geringste Ertrag während der Saison angesehen, obgleich es schon oft vorgekommen ist, daß ein einzelnes Boot während der Fangzeit 5000 bis 6000 Fische eingeheimst hat. Unter diesen günstigen Umständen erwirbt ein gewandter Bootführer sich 600 bis 700 Dollars in der Saison, und wenn nur Wenige von diesen Leuten ihr Erworbenes wirklich capitalisiren, so liegt die Ursache davon in den Verhältnissen des lebensgefährlichen Handwerks, welches die rohen Naturen verführt, durch Schlemmen und Zechen die flüchtigen Stunden nach Kräften auszunutzen, ohne für die Zukunft zu sorgen.

Die Böte fahren, wie bereits erwähnt, stets gegen Abend nach der Strommündung und kehren bei Tagesanbruch wieder zurück; selten bleiben sie länger als zwei Nächte aus, da die Netze nothwendiger Weise wieder ausgebessert werden müssen. Bei Tage auf den Fang auszugehen, würde ganz zwecklos sein, weil die Fische alsdann die Netze sehen können und zu schlau sind, um in’s Garn zu laufen. Wenn die Lachse, die das kalte Flußwasser scheuen, bei eintretender warmer Witterung in ungeheueren Schwärmen vom Meere in den Columbia ziehen, dann pflegen die in einer Entfernung von dreißig bis vierzig englischen Meilen stromaufwärts liegenden „Canneries“ ihre Böte Abends in großer Zahl durch kleine Dampfer stromabwärts bugsiren zu lassen und dieselben Morgens, mit Fischen beladen, ebenso zurück zu befördern, um die gute Zeit auszunutzen und sowohl den Fang wie den Geschäftsgang in den Packanstalten möglichst zu beschleunigen. Die Fischerböte der in der Nähe von Astoria liegenden „Canneries“ segeln dagegen in der Regel nach der „Bar“.

Da die größeren „Canneries“ im Besitze von dreißig bis fünfzig und noch mehr Böten sind, die alle auf einmal von einem Dampfer in’s Schlepptau genommen werden, so ist das Schauspiel der den breiten Columbia in langen Reihen auf- und abziehenden Böte ganz einzig in seiner Art und höchst interessant.

(Schluß folgt.)


Blätter und Blüthen.

Ein ultramontaner Geschichtsschreiber des Jahres Achtundvierzig. „Wie man immer über die innere Berechtigung oder Nothwendigkeit, sowie über die unmittelbaren Resultate der großen Sturmbewegung (von 1848) denken mag, so bleibt sie doch für alle Zeiten eine der bedeutungsvollsten und, wenn richtig erkannt und gewürdigt, lehrreichsten Erscheinungen der neuern Geschichte, indem sie einen festen Wendepunkt und Markstein zwischen der Vergangenheit und der Zukunft unseres Staatslebens bildet. Das Jahr 1848 hat zugleich eine ernste Warnungstafel für die Regierungen, wie für die Völker aufgerichtet, auf welcher in Lapidarschrift die Worte: Weisheit, Mäßigung, Ordnung! eingegraben stehen. Niemals vordem sind in einer so kurzen Spanne Zeit mit so geringfügigem Kraftaufwande so große, anscheinend festbegründete Regierungen umgestürzt worden – aber auch niemals hat der ungezügelte Freiheitsdrang der Völker sich ohnmächtiger erwiesen, aus sich heraus gesunde und dauernde Schöpfungen zu begründen.

Dieses Jahr ruft vor Allem mit der Stimme einer großen Nation in tausendfachem Echo den zunächst verantwortlichen[WS 1] Regierungen die Wahrheit in’s Bewußtsein, daß alle äußere Staatsmacht, wie sie in einem wohlgeschulten Beamtenheere und einer zahlreichen Armee geschaffen werden mag, im entscheidenden Augenblicke den Dienst versagt, wenn ihr nicht ein innerlich befriedigtes und darum zuverlässiges Volk zur Seite steht.“

Im Jahrgang 1872 der „Gartenlaube“ (S. 140) haben wir unseren Lesern „Parlamentarische Charaktere aus Preußen“ vorgeführt und als Nr. 1 vorangestellt: „Die Führer der Ultramontanen“, und zwar: Windthorst, August und Peter Reichensperger und Mallinckrodt. Diese Männer standen damals schon in einem Alter, wo ein Wandel der Grundsätze und Ueberzeugungen im Menschen ausgeschlossen ist. Wer nun heute jene vier Charakteristiken wieder liest, wird nicht in Zweifel sein, welcher von den dort Geschilderten die Worte niedergeschrieben haben kann, die in der Einleitung zu der oben bezeichneten Geschichte des Jahres Achtundvierzig zu lesen sind. Es ist Peter Reichensperger, in dessen „Erlebnisse“[1] uns von dem Herrn Verleger derselben noch vor deren Veröffentlichung freundlich ein Einblick gestattet worden ist.

Peter Reichensperger, der Bruder des älteren August Reichensperger, der als der eigentliche Papst oder Vater der katholischen Fraction bezeichnet wird, hat sich als einer der besten Redner des preußischen Parlamentarismus erwiesen und als „ein Idealist von reinem Bewußtsein und naivem Glauben, der den Katholicismus als ewige Wahrheit betrachtet, welcher Lüge und Schlamm der Zeit in ihrem Kern nichts anhaben können“, – und „der fest davon überzeugt ist, daß eine heilsame Staatspolitik mit den Interessen der katholischen Kirche nothwendig übereinstimmen müsse“.

Trotz dieser seiner Ueberzeugungen lag es ihm jedoch ernstlich daran, die Schroffheit des Culturkampfes zu mildern, indem er sich wenigstens bemühte, die Feindseligkeit der Curie und seiner Fraction, wenn sie allzu offenbar gegen das neue deutsche Reich gerichtet war, möglich zu bemänteln. Ein redliches Streben nach Mäßigung und gesetzlicher Haltung ging bisher aus allen seinen Reden hervor. Mit um so gespannterer Erwartung muß man einem Rückblicke in das eigene Leben gerade eines solchen Mannes entgegen sehen. Peter Reichensperger hat die Zeit der großen Bewegung vom Anfang bis zum Ende mit durchlebt; er hat mitten in der Handlung gestanden und ist mit seiner Persönlichkeit mehrmals in wichtigen und entscheidenden Augenblicken hervorgetreten. Allerdings hat er in Frankfurt am Main nur die Tage des Vorparlaments mit erlebt und folgte schon Mitte Mai der Wahl in die preußische Nationalversammlung. Um so genauer führt er uns in diese Berliner Sturmtage ein, Manches enthüllend, das bis jetzt der Oeffentlichkeit entzogen war, die ganze dortige Bewegung aber von dem Standpunkte aus schildernd, den er vertreten.

Wie von diesem Standpunkte aus in einem Auge, das wir unbedingt für das eines ehrlichen und rechtsliebenden Mannes halten, die Bilder der gepriesensten Volkshelden sich gestalten, wollen wir wenigstens in einigen Beispielen zeigen.

Seite 35 der „Erlebnisse“ lesen wir: „Robert Blum hatte sich durch eisernen Fleiß und angeborenes Talent als Autodidakt aus der kümmerlichsten Jugend zur Stellung eines angesehenen Volksmannes erhoben, indem er nach seinem eigenen Geständnisse in Leipzig den Ronge’schen Deutsch-Katholicismus unbehelligt von der sympathisirenden Polizei und Censur dazu benutzte, das Volk socialpolitisch zu erregen und an sich zu fesseln.

An Geist, Kraft und Klugheit, sowie an natürlicher, oft blendender Beredsamkeit mit den entsprechenden Schlagwörtern der Zeit und der erforderlichen Stentorstimme hat es ihm ebenso wenig gefehlt, wie an Rücksichtslosigkeit und jener tribunizischen Gewandtheit, welche mit dem Pöbel und seinen Fäusten kokettirt, damit dieselben sich vorbereiten, dem Kronprätendenten der Volksmajestät im gekommenen Augenblicke die Steigbügel zu halten. Er erwies sich im späteren Parlamente als der bedeutendste Führer der demokratischen Partei, und sein standrechtlicher Tod in Wien am 9. November desselben Jahres wegen erfolgreicher Aufforderung zum bewaffneten Widerstande und persönlicher Theilnahme am Barricadenkampfe gegen die Truppen des Feldmarschalls Windischgrätz hat einen nicht zu lüftenden Schleier über manche Verirrungen seiner Vergangenheit gezogen.“

Worin diese „Verirrungen seiner Vergangenheit“ bestehen, ist leider nicht verrathen; ob das ausführliche Lebensbild, das Hans Blum von seinem Vater in der „Gartenlaube“ gegeben, den „Schleier“ davor für unsere Gegner noch immer nicht genug gelüftet?

Seite 37 heißt es über Gagern und Bismarck: „Heinrich von Gagern war in der That ein ganzer deutscher Mann, dem auch meine wärmsten Sympathien trotz wesentlicher Gegensätze unserer politischen Bestrebungen stets zugehört haben. Bekanntlich ist Niemand verpflichtet, ein großer Mann oder gar eis[n] Genie zu sein; das Vaterland aber sieht mit gerechtem Stolze und mit Dank auf alle seine Söhne, die eine hervorragende


Anbei eine Beilage „Zwanglose Blätter“ Nr. 1.

  1. Erlebnisse eines alten Parlamentariers im Revolutionsjahre 1848. Von Peter Reichensperger. (Berlin, Julius Springer.)

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: verantwortichen
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 771. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_771.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2023)