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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

besser als alle Delikatessen mundete den Kleinen die bürgerliche Kost der Frau Rath. Einmal, als sie sich Eierkuchen gebacken hatte und ihn zu verzehren im Begriffe war, kamen die Kinder und sahen ihr zu, und dies Gericht reizte ihren Appetit dermaßen, daß sie, als sie ihnen davon zu essen gab, zu großem Ergötzen der Frau Rath es verspeisten, „ohne ein Blatt zu lassen“. Für Frau Rath war und blieb es ein „Hauptspas“, und den Kindern blieben die Eierkuchen unvergeßlich; noch nach Jahren gedachten sie der Lust, mit der sie dieselben verzehrt, und wie köstlich sie ihnen geschmeckt hatten.

Eine gleich reizende Scene spielte sich einmal im Hofe ab.

Der Hof, in den man von der Hausflur über zwei Stufen abwärts gelangte, war zwar ein beschränkter, von Gebäuden umschlossener Raum, aber ein stilles und kühles Plätzchen, und der Hausbrunnen bot den Kindern die schönste Gelegenheit zu Kurzweil und Spiel. War das ein Vergnügen, so recht nach Herzenslust pumpen – in Darmstadt hatten sie ja solche Gelegenheit nicht, und wäre das auch der Fall gewesen, so hätte die fürstliche Etikette die Benutzung derselben unmöglich gemacht. Doch auch hier drohte ihrem harmlosen Spiele Gefahr: die Hofmeisterin Demoiselle Gelieux machte Miene, die Kinder abzurufen, Frau Rath aber war ihr Schutz. Klug und weise, wußte sie „durch alle möglichen Argumente“ die Hofmeisterin abzuhalten, und endlich, als diese nicht mehr darauf Rücksicht nahm und kein anderes Mittel gegeben war, brauchte Frau Rath Gewalt: sie schloß die Demoiselle Gelieux im Zimmer ein. So konnten nun die jungen Prinzessinnen und der kleine Prinz ungestört „sich im Hof am Brunnen recht satt Wasser pumpen“.

„Ich hätte,“ sagte Frau Rath nachher darüber, „mir eher den ärgsten Verdruß über den Hals kommen lassen, als daß man sie in dem unschuldigen Vergnügen gestört hätte, das ihnen nirgendwo gegönnt war, als in meinem Hause.“

Die vierzehnjährige Prinzessin Louise und ihr elfjähriger Bruder am Brunnen der Frau Rath in heller Kinderlust – das ist die Scene, welche Thumann’s Meisterhand auf beifolgendem Bilde so allerliebst dargestellt hat.

Ueberglücklich waren die Kinder, so lange sie im Goethe-Hause logirten, und beim Abschied sagten sie es denn auch der liebevollen Frau Rath, daß sie nie vergessen würden, wie glücklich und vergnügt sie bei ihr gewesen.

Die großen Frankfurter Festtage waren vorüber; Frau Rath konnte an Friedrich von Stein schreiben:

„Nach dem großen Wirrwarr, den wir hier hatten, ist’s jetzt wie ausgestorben. Mir ist das ganz recht; da kann ich meine Steckenpferde desto ruhiger galoppiren lassen. Ich habe deren vier – wo mir eins so lieb ist wie’s andere, und ich ofte nicht weiß, welches zuerst an die Reihe soll. Einmal ist’s Brabanter Spitzenklöppeln, das ich noch in meinen alten Tagen gelernt, und eine kindische Freude darüber habe; dann kommt das Clavier; dann das Lesen und endlich das lange aufgegebene, aber wieder hervorgesuchte Schachspiel.“

Zu den Mecklenburger Fürstenkindern und deren Familie war und blieb aber Frau Rath seitdem in innigem Verhältnisse. Prinz Karl, der Vater, verehrte ihr für die so freundliche Aufnahme seiner Kinder eine prachtvolle Dose mit seiner Brillantchiffre. Zwei schöne Tassen, welche, von Frau Rath lange als werthe Andenken bewahrt, nach ihrem Tode in die Hände ihrer alten Dienerin Lieschen übergingen und sich jetzt in meinem Besitze befinden, sollen Zeichen der Dankbarkeit der beiden Prinzessinnen sein. So oft die letzteren nach Frankfurt oder in dessen Nähe kamen, besuchten sie die liebgewonnene Frau Rath, und diese war nicht wenig stolz auf „ihre Prinzessinnen“ und nahm stets für dieselben entschieden Partei.

Als Louise, fünfzehn Jahre alt, mit ihrer Großmutter einen Besuch beim Kurfürsten von Mainz machte und dort in einem blauseidenen Kleide mit „spitzen Aermeln“, wie man sie damals nannte, in das Zimmer trat, stürzte Frau von Guttenhofen, geborene Gräfin Hatzfeld, eine berühmte Schönheit am Mainzer Hofe, auf die junge Prinzessin mit den Worten zu:

„Wissen Sie wohl, Prinzeß, daß man hier nicht mit langen Aermeln herkommen kann?“

Sofort gefaßt, erwiderte ihr Louise:

„Ich thue alles nach den Befehlen meiner Großmutter, und so hab’ ich auch angezogen, was sie mir befohlen.“

Der Auftritt machte doch einen unangenehmen Eindruck auf sie, und niemals ist sie wieder dort gewesen. Frau Rath vernahm den Vorfall mit großem Unmuth und sprach lebhaft für ihr Prinzeßchen. Wie sie ihrem Unwillen nach Jahr und Tag Ausdruck gab, werden wir später sehen.

Schon am 1. März 1792 starb Kaiser Leopold der Zweite, und am 14. Juli wurde sein Sohn als Franz der Zweite zum Kaiser gekrönt. Es war die letzte Kaiserkrönung, welche die Frau Rath erlebte. Auch die mecklenburgischen Prinzessinnen nahmen an der Feierlichkeit wieder theil, und wohnten sie auch diesmal nicht im Goethe-Hause, so erfreuten sie doch die Frau Rath mit ihrem Besuche.

Im März des nächsten Jahres kamen beide auf der Rückreise von Hildburghausen nach Darmstadt wieder nach Frankfurt. Dort lernte der damalige Kronprinz von Preußen Friedrich Wilhelm die nun siebenzehnjährige Prinzessin Louise kennen und wurde von ihrer Schönheit und Anmuth, von ihrem Geist und Gemüth gefesselt. Wie in späterer Zeit zwei preußische Prinzen mit dem Schwesternpaar von Weimar sich verbanden, so erfolgte damals, am 24. April 1793 die Doppelverlobung in Darmstadt: Friedrich Wilhelm mit Louise, sein Bruder Ludwig mit Friederike. Mit lautem Jubel vernahm Frau Rath die frohe Kunde. Bald darauf weilten beide Prinzessinnen als Bräute mit ihren Verlobten und deren Vater wieder zu Frankfurt. Rahel nennt sie „die beiden schönsten Fürstinnen Deutschlands, holde, blonde, liebe Engel“.

Der König hatte im Theater seine Loge neben derjenigen der Frau Rath Goethe. Sie fehlte natürlich im Theater nicht; ihr Herz frohlockte, daß ihre Prinzeßchen so schönen und vornehmen Prinzen vermählt werden sollten; sie mußte ihrem Logennachbar zeigen, wie nahe sie den hohen Bräuten befreundet war. Wie drollig sie dabei verfahren und die vom Herzog von Mecklenburg empfangene Dose dazu verwandt hat, das hat sie selbst nachher ihren fürstlichen Freundinnen anschaulich erzählt; Friederike hat in liebevoller Erinnerung die Worte der Frau Rath noch nach Jahren wiedergegeben:

„Ich nehme meine Dose, geh’ in’s Theater und stelle sie mit draufdrückender Hand fest auf den Logenrand; der König sieht nichts. Ich nehme eine Prise, setze die Dose näher an den König, und sehe ihn an; er sieht nicht auf die Dose hin; er hat mehr dergleichen gesehen. Ich nehme sie abermals, setze sie noch näher und sehe wieder den König an; endlich blickt er auf die Dose, und wie er sie gesehen hat, sagt er ganz gütig: ,Ei! Madame Goethe, was haben Sie da für eine schöne Dose!’ Ja, Ihre Majestät, antworte ich, die hab’ ich auch von meinen Prinzessinnen von Mecklenburg.“

Und so mußte der König ihre Freude wissen, und die Sache war gelungen.

Am 24. December 1793 wurde Louise mit Friedrich Wilhelm vermählt, und im Jahre 1797 wurde sie die allgeliebte Königin von Preußen. Ihre Freundschaft zu Frau Rath blieb innig wie früher, und als sie im Sommer 1799 nach Frankfurt kam, ließ sie durch ihren Bruder Georg die Frau Rath zu sich einladen. Prinz Georg kam um Mittag zu Frau Rath, die inzwischen, durch die Kriegsunruhen veranlaßt, das Goethe’sche Haus verkauft und ein schönes Logis am Roßmarkt, der Hauptwache gegenüber, im sogenannten „Goldenen Brunnen“ bezogen hatte. Dort speiste der nun zwanzigjährige Erbprinz, der soeben die Universität Rostock verlassen hatte, bei der guten Alten, an deren kleinem Tische in traulicher Unterhaltung über die vergangenen frohen Tage, und lustig klangen die Gläser. Um sechs Uhr holte er sie in einem Wagen „mit zwei Bedienten hinten auf“ in den Taxis’schen Palast zur Königin, deren Schwester die Fürstin von Thurn und Taxis war, und Frau Rath meldete darüber am 20. Juli ihrem Sohne nach Weimar: „Die Königin unterhielt sich mit mir von vorigen Zeiten – erinnerte sich noch der vielen Freuden in meinem vorigen Hauß – der guten Pfannekuchen etc.“

Um jene Zeit mag sich wohl auch die ergötzliche Scene zugetragen haben, in welcher Frau Rath ihren alten Unwillen über Frau von Guttenhofen und das Ereigniß am Mainzer Hofe zum Ausdruck brachte. Königin Louise, die in Wilhelmsbad verweilte, lud die Frau Rath Goethe aus Frankfurt dahin ein; diese leistete der Einladung Folge und saß eines Tages im Brunnensaal neben der Königin, während „aller Welt Menschen“ (erzählt die Schwester Friederike) sich einfanden und ihre Huldigungen darbrachten. Frau

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_763.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2023)